Aus der Lobbywelt

Stuttgart 21: wie die Bahn den Bürgermeister-Wahlkampf 1996 beeinflusste

Die Oberbürgermeisterwahl 1996 in Stuttgart war brisant für die Deutsche Bahn. Der Grüne Rezzo Schlauch lehnte Stuttgart 21 offensiv ab und war der gefährlichste Gegner des CDU-Kandidaten und Stuttgart 21-Befürworters Wolfgang Schuster. In dieser Situation engagierte die DB Projekt Stuttgart 21 GmbH die Lobby-Agentur Burson-Marsteller, um die OB-Kandidaten zu unterstützen, die Stuttgart 21 befürworteten. Die […]
von 26. September 2012

Die Oberbürgermeisterwahl 1996 in Stuttgart war brisant für die Deutsche Bahn. Der Grüne Rezzo Schlauch lehnte Stuttgart 21 offensiv ab und war der gefährlichste Gegner des CDU-Kandidaten und Stuttgart 21-Befürworters Wolfgang Schuster. In dieser Situation engagierte die DB Projekt Stuttgart 21 GmbH die Lobby-Agentur Burson-Marsteller, um die OB-Kandidaten zu unterstützen, die Stuttgart 21 befürworteten. Die Agentur sollte zudem für die Projekt GmbH die Meinungsführerschaft in der Debatte um Stuttgart 21 sichern. Es ging also um eine Einflussnahme auf die Wahlentscheidung zugunsten der Deutschen Bahn und deren Großprojekt Stuttgart 21.

Dabei habe die Projekt GmbH als 100-prozentige Tochter der Deutschen Bahn großen Wert darauf gelegt, „daß bei der Außendarstellung die Konzernmutter im Hintergrund bleibt.“ So heißt es in einer stichpunktartigen Fallstudie, mit der Burson-Marsteller Ende der 90er Jahre auf ihrer Webseite für die eigene Arbeit warb. Die Fallstudie verschwand 2001 nach einem Relaunch der Webseite wieder – wir haben sie jetzt nochmal ausgegraben (hier zum Nachlesen als pdf).

Zielgruppe: stimmberechtigte Bürger und Top-Entscheider

Anzeige für das S21-Infotelefon, Stuttgarter Zeitung, 18.10.1996

Anzeige für das S21-Infotelefon, Stuttgarter Zeitung, 18.10.1996

Zielgruppe der PR-Kampagne waren sowohl „Top-Entscheider“ in Politik und Wirtschaft als auch die stimmberechtigten Bürger Stuttgarts. Für deren Ansprache wurden Flyer und Werbeanzeigen produziert sowie eine Telefon-Hotline eingerichtet. Am Ende der nur knapp drei Monate dauernden Kampagne konnte die Bahn aufatmen. Im zweiten Wahlgang am 10. November 1996 gewann Schuster knapp mit 43,1% der Stimmen vor Schlauch mit 39,3% (Wahlbeteiligung 53,9%). Damit errang auch die Deutsche Bahn Sieg gegenüber der erstarkenden Protestbewegung gegen das Bahnhofsprojekt.

Burson-Marsteller hat es geschafft, im Hintergrund zu bleiben. Nach unseren Recherchen war die direkte Beeinflussung des Stuttgarter OB-Wahlkampfs durch Burson-Marsteller weder prominenten Stuttgart 21-Kritikern noch Rezzo Schlauch bekannt. Auch Wolfgang Schuster ließ auf unsere Anfrage durch seinen Pressesprecher antworten, dass er natürlich 1996 Kontakt zur Deutschen Bahn gehabt habe. Die Agentur Burson-Marsteller sei ihm aber nicht bekannt. Sein damaliger Wahlkampf-Manager Christoph Palmer sagte ebenfalls, dass es keine Kontakte zu der Agentur damals gegeben habe.

Bahn und Burson-Marsteller: keine Informationen mehr dazu

Die Bahn antwortete auf unsere Anfrage: „Dazu liegen uns hier nach so langer Zeit keine belastbaren Informationen vor. Ich bitte daher um Verständnis, wenn wir uns deshalb dazu nicht äußern können.“ Der Bahnsprecher wollte aber auch keine genaue Auskunft geben, welche Agenturen von der Bahn in den letzten fünf Jahren zum Thema Stuttgart 21 beauftragt wurden.

Burson-Marsteller schrieb, sie hätten keine Dokumente gefunden, dass die Agentur 1996 für die DB Projekt Stuttgart 21 GmbH gearbeitet habe. Der CEO von Burson-Marsteller Deutschland erklärte uns gegenüber, dass er zumindest für seine Tätigkeit bei der Agentur seit 2005 mit Sicherheit sagen könne, dass Burson-Marsteller in dieser Zeit nicht für das Projekt Stuttgart 21 der Deutschen Bahn tätig war.

Der einzige, der sich problemlos erinnern konnte, war der damalige Pressesprecher der DB Projekt Stuttgart 21 GmbH, Hans Dieterle, heute Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Baden-Württemberg. Nachdem er im Sommer 1996 neu als Pressesprecher eingestellt worden sei, wäre erstmals ein Budget für die Öffentlichkeitsarbeit vorhanden gewesen. Über dieses Budget sei dann Burson-Marsteller engagiert worden. Das wären die ersten Schritte in der Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt gewesen. Seiner Erinnerung nach sei es eher zufällig gewesen, dass das parallel zum OB-Wahlkampf lief. In der Darstellung des Auftrags durch Burson-Marsteller selbst war die Einflussnahme auf den Wahlkampf dagegen ein Kernziel des Auftrags.

Kriseneinsätze für heikle Kunden

Kriseneinsätze sind für Burson-Marsteller normales Geschäft. Die Agentur hat eine lange Geschichte problematischer Kunden. Nach dem Reaktorstörfall von Three Mile Island in den USA im Frühjahr 1979 polierte die Agentur das angekratzte Image des Betreibers wieder auf. Dem Chemieriesen Union Carbide standen sie nach der Katastrophe im indischen Bophal zur Seite, bei der über 2000 Menschen ihr Leben verloren. Auch Staaten und Herrscher mit verbesserungswürdigem Image vertrauen auf die Künste von BM, darunter in der Vergangenheit die nigerianische Regierung nach dem Biafra-Genozid, die argentinische Militärjunta nach der Ermordung von 35.000 Zivilisten, das saudische Königshaus und Rumäniens Ex-Diktator Nicolae Ceausescu. In Deutschland kam die Agentur beispielsweise im März diesen Jahres zum Einsatz. Im Auftrag von Luftshansa, Condor und Fraport inszenierte Burson-Marsteller eine Demonstration für den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Die Unternehmen bezahlten Fahrkarten und stellten einen Shuttle-Service zur Verfügung (Korrektur: in der ersten Version hieß es, die Agentur habe Fahrkarten bezahlt und einen Shuttle-Service gestellt. Das war ein Fehler). Auch dies war ein Kriseneinsatz, um die beteiligten Unternehmen gegenüber den wachsenden Protesten gegen Fluglärm zu stärken.

Welchen Einfluss die Arbeit von Burson-Marsteller auf das Wahlergebnis im November 1996 tatsächlich hatte, lässt sich kaum rekonstruieren oder messen. In der Fallstudie selbst hält sich Burson-Marsteller selbst einige Erfolge zugute: Einem Kommentar in der Stuttgarter Zeitung im Oktober 1996 zufolge sei die Öffentlichkeitsarbeit der Projekt GmbH „besser in Schwung gekommen“, das sei fünf Wochen nach Burson-Marstellers Engagement gewesen. Außerdem habe es positive Resonanz auf die Telefon-Hotline bis zum zweiten Oberbürgermeisterwahlgang gegeben, und auch die 30.000 produzierten Flyer seien sehr gut angenommen worden. Ob es sich dabei nur um Eigenlob zur Kundenwerbung handelt, lässt sich im Nachhinein schwer einschätzen.

Unabhängig von Burson-Marsteller erwies es sich für Schuster damals als günstig, dass Reinhard Brechtken seine Kandidatur für die SPD auch im entscheidenden zweiten Wahlkampf aufrecht erhielt und sogar ein zweiter Kandidat aus der SPD antrat – beide Stuttgart 21-Befürworter. Damit verhinderten sie eine direkte Stichwahl zwischen Schuster und Schlauch. Der ehemalige SPD-Kandidat Brechtken sagt heute, dass ihm die Agentur Burson-Marsteller ebenfalls nicht bekannt sei.

Die Bahn profitierte von der Wahl Schusters

Fest steht, dass sich die Wahl Schusters in der Folgezeit für die Bahn ausgezahlt hat. Schuster ist durch seine beiden Amtszeiten hindurch ein klarer Befürworter von Stuttgart 21 geblieben. Und nicht nur das – er setzte sich mit zum Teil sehr umstrittenen Mitteln vehement für das Projekt ein. Das zeigen die folgenden Beispiele:

  • Kein Bürgerentscheid trotz Zusage vor Stichwahl: Nach der knappen Oberbürgermeisterwahl im Jahr 1996 wurde es auch bei der Wahl 2004 knapp für Schuster. Im ersten Wahlkampf kamen seine beiden aussichtsreichsten Konkurrenten – Ute Kumpf für die SPD und der entschiedene S21-Gegner Boris Palmer für die Grünen – zusammen auf 53%. Boris Palmer verhandelte daraufhin mit seinen beiden Konkurrenten um Bedingungen für eine Rücknahme seiner Kandidatur. Schuster sagte ihm zu, dass er sich im Falle erheblicher Mehrkosten des Projekts S21 für einen Bürgerentscheid einsetzen würde. In einer Pressemitteilung der Stadt Stuttgart aus dem Jahr 2007 ist von einem dreistelligen Millionenbetrag die Rede. Nach dem Rückzug Palmers und seiner erfolgreichen Wiederwahl führte Schuster allerdings trotz gestiegener Kosten keinen Bürgerentscheid durch. Schuster rechtfertigte seine Entscheidung damit, seine Zusage sei an eine Milliarde Euro Mehrkosten geknüpft gewesen. Dies wiederum bestritt Palmer und wirft ihm Wortbruch vor. Tatsächlich lagen schon im Jahr 2010 die Mehrkosten der Stadt Stuttgart deutlich im dreistelligen Millionen-Bereich.
  • Schuster schafft Fakten und verhindert damit ein Bürgerbegehren: Im Jahr 2007 gründete sich ein Bündnis aus Stuttgart 21-Gegnern mit dem Ziel, Unterschriften für einen Bürgerentscheid in Stuttgart zu sammeln. Auch die Grünen planten ein Bürgerbegehren. Nachdem allerdings der Gemeinderat gegen den Bürgerentscheid gestimmt hatte, unterschrieb Schuster schon am nächsten Tag die Finanzierungszusage der Stadt Stuttgart für das Projekt Stuttgart 21. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens kritisierten diese Entscheidung, da Schuster damit – ohne Zeitdruck und mit dem Wissen um die bevorstehende Unterschriftensammlung – rechtlich bindende Fakten geschaffen hatte. Die anderen Projektpartner – Bund, Land und die Bahn – leisteten ihre Unterschrift erst eineinhalb Jahre später. Nachdem die Aktivisten 60.000 Unterschriften gesammelt hatten, erklärte das Verwaltungsgericht das Bürgerbegehren trotz ausreichender Stimmen für ungültig, da bereits „rechtlich bindende Verträge“ vorlägen.

Die Bahn soll über den Burson-Marsteller-Auftrag aufklären

Anzeige Stuttgart21, Stuttgarter Zeitung vom 6.11.1996

Anzeige pro Stuttgart 21, Stuttgarter Zeitung vom 6.11.1996

Nach zwei Amtszeiten wird Schuster bei der Oberbürgermeisterwahl am 7. Oktober nicht mehr antreten. Als Vermächtnis soll noch ein Buch erscheinen über die Debatten um Stuttgart 21, an dessen einseitiger Autorenschaft es Kritik gibt. Laut Kontext Wochenzeitung habe auch die Bahn ein längeres Kapitel über die Lehren aus Stuttgart 21 zugesagt. Ob die Bahn dabei auch die Geschichte der PR- und Lobby-Arbeit für Stuttgart 21 offenlegt und reflektiert, ist fraglich. Das wäre aber nötig anstelle der bisherigen Auskunftsverweigerung.

Die damaligen Anzeigen waren als Anzeigen der DB Projekt Stuttgart 21 GmbH erkennbar und sind heute noch auffindbar. Problematisch ist allerdings, dass die DB Projekt Stuttgart 21 GmbH nicht nur im Wahlkampf für S21 werben wollte, sondern laut Fallstudie auch als Ziel hatte, im eigenen Interesse die Pro S21-Kandidaten zu unterstützen. Zudem bleibt unklar, was z.B. mit der Direktansprache der Entscheider über VIP-Mailings gemeint war. Die Bahn sollte den Auftrag an Burson-Marsteller nochmal recherchieren und alle verfügbaren Informationen offen legen.

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