Seit peerblog.de Anfang dieser Woche startete, löste das von unbekannten Geldgebern finanzierte Blog eine kontroverse Debatte über diese Form der intransparenten Wahlkampfhilfe aus. Gestern gaben die Betreiber an, das Projekt auf Grund von Hackerangriffen nicht weiter verfolgen zu wollen. Anonyme Hacker legen das Projekt anonymer Steinbrück-Unterstützer lahm – besonders demokratisch ist der Vorgang nicht. Auch wenn das Blog nun Geschichte sein sollte, ist die Diskussion über anonyme, finanzielle Beteiligung an Wahlkämpfen wichtig. LobbyControl hatte Steinbrück aufgefordert, seine Unterstützung für das Projekt zurückzuziehen. Steinbrück selbst sagte gegenüber Spiegel Online, er „könne daran nichts Anrüchiges erkennen„. Zwar hat die Bundestagsverwaltung eine Untersuchung angekündigt. Man möchte der Frage nachgehen, ob es sich bei dem Projekt um eine verdeckte Form der Parteienfinanzierung handelt. Die Macher des Blogs gaben jedoch an, nur den Kandidaten und nicht die Partei unterstützen zu wollen. Kommunikative Unterstützung des Wahlkampfes ist in Deutschland nicht im Parteiengesetz geregelt. Das Parteienrecht bietet keinen Hebel, um etwa die Geldgeber des Projekts zu Transparenz zu verpflichten.
Warum auch? Es gibt schließlich rechtlich geregelte und politisch gewollte Wege, eine Partei und damit auch deren Kandidaten zu unterstützen. Unternehmen, Verbände und die Bürgerinnen und Bürger dürfen den Parteien in Deutschland sogar in unbegrenzter Höhe Geld- und Sachspenden zukommen lassen. Die Parteien können damit – und durch die staatliche Parteienfinanzierung – ihre Wahlkämpfe finanzieren. Im Gegenzug verpflichten sich die Parteien, zumindest Großspenden über 10.000 Euro offenzulegen. Ein Projekt wie peerblog.de erinnert dagegen an US-Methoden der Wahlkampfunterstützung.
Der Vergleich mit den USA kommt nicht von ungefähr. Die Macher des Blogs gaben selbst an, sich am US-Wahlkampf zu orientieren. Obamas Kampagne habe sie beeindruckt, und die politische Kommunikation in den USA sei ohnehin viel weiter. Doch den Bundestagswahlkampf mit US-Wahlkämpfen zu vergleichen, hinkt aus mehreren Gründen: Parteien in Deutschland spielen eine bedeutendere Rolle beim Wahlkampf (und in der Politik) als in den USA. Die staatliche Parteienfinanzierung ist hierzulande wesentlich ausgebildeter. Die Tatsache, dass Unternehmen viel Geld in den US-Wahlkampf investieren, sollte kein Vorbild für Deutschland sein.
Vorbild US-Wahlkampf? – Der Vergleich hinkt
In Deutschland sind es die politischen Parteien, die primär für Wahlkämpfe verantwortlich sind. Sie erhalten dafür eine staatliche Finanzierung, abhängig von ihrem bisherigen Wahlerfolg und eingesammelten Spenden von Einzelpersonen. In den USA ist die Rolle der politischen Parteien wesentlich schwächer, egal ob es um das Präsidentenamt oder einen Sitz im Repräsentantenhaus geht. Die US-Kandidaten müssen sich bereits in Vorwahlkämpfen (den Primaries) gegen andere Kandidaten aus ihrer eigenen Partei durchsetzen, um offiziell als Kandidat oder Kandidatin nominiert zu werden. Bereits in dieser Phase sind US-Wahlkandidaten stark von externer Finanzierung abhängig. Wer mehr Geld einsammeln kann, hat größere Chancen, sich zuerst in der eigenen Partei und schließlich auch im eigentlichen Wahlkampf durchzusetzen. Außerdem gilt: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Denn ist ein Sitz im Repräsentantenhaus erobert, müssen die Abgeordneten bereits wieder daran arbeiten, ihre Wahlkampfkassen für die nächste Wahl zu füllen, wenn sie ihren Sitz behalten wollen. Da das Repräsentantenhaus alle zwei Jahre gewählt wird, herrscht eigentlich permanenter Wahlkampf. Und damit permanenter Fundraising-Druck.
Zugang zu Politikern entscheidend
Dass der Wahlerfolg vom Kontostand abhängt, führt wiederum zu einer Abhängigkeit von Geldgebern. Gut für die Demokratie ist das sicherlich nicht. Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Geldspende direkten Einfluss auf politische Entscheidungen hat. Korruption ist auch in den USA verboten. Jedoch wird es einem politischen Entscheidungsträger sehr schwer fallen, Entscheidungen zu treffen, die für seine Finanziers unliebsam sind. Zugleich erkaufen sich die Spender zwar nicht unbedingt konkrete Entscheidungen, aber sehr wohl einen privilegierten Zugang. Großspender erhalten sehr viel leichter einen Termin bei einem Entscheidungsträger als ein einfacher Bürger. Und diesen Zugang können die Geldgeber nutzen, um bei Entscheidungen von Anfang an mitzureden, wenn es um die eigenen Interessen geht. Dabei ist es letztlich nachrangig, ob die Unterstützung direkt über Spenden in die Wahlkampfkasse des Kandidaten erfolgte oder indirekt über die Finanzierung formell unabhängiger Kampagnen für oder gegen einen Kandidaten. Gerade letztere Form der Wahlkampfunterstützung hat in den letzten Jahren in den USA erheblich an Bedeutung gewonnen.
Hintergrund: Wahlkampfregulierung in den USA
Mit einem Urteil im Frühjahr 2010 machte der US Supreme Court den Weg für Unternehmen und andere frei, sich in unbegrenztem Maße finanziell an Wahlkämpfen zu beteiligen. Bisher war es Unternehmen untersagt, den sogenannten PACs Geld zu spenden. PAC steht für Political Action Committee. Diese Aktionsgruppen führen im Wahlkampf Kampagnen zur Unterstützung bestimmter Kandidaten durch und dürfen den Kandidaten und Parteien in begrenztem Umfang Spenden weiterleiten. Ihr Geld bekommen die PACs von Einzelpersonen, die maximal 5.000 US-Dollar pro Jahr und PAC bei Präsidentschaftswahlkämpfen spenden dürfen. Unternehmen, Gewerkschaften und anderen Organisationen war es untersagt, PACs direkt zu unterstützen. Allerdings ist es üblich, dass etwa Gewerkschaften eigene PACs gründen, die durch individuelle Spenden der Gewerkschaftsmitglieder finanziert werden. Mit dem Urteil von 2010 und einem folgenden Berufungsgerichtsurteil kam eine neue Form der erlaubten Beteiligung am Wahlkampf hinzu.
Unternehmen und Interessengruppen dürfen sich direkt am Wahlkampf beteiligen
Der US Supreme Court entschied, dass Unternehmen, Gewerkschaften und andere Rechtspersonen sich wie Individuen auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen können, wenn es um die Finanzierung von Wahlkampagnen geht. Um dieses Recht auszuüben, dürfen – so das Gericht – Unternehmen und Verbände Wahlkampagnen in unbegrenztem Maße unterstützen. Nach wie vor dürfen Unternehmen die Kandidaten und Parteien nicht direkt mit Spenden bedenken. Dies bleibt den klassischen PACs vorenthalten. Doch wenn es sich um eine formell unabhängige Kampagne zur Unterstützung eines Kandidaten handelt, sind den Ausgaben keine Grenzen mehr gesetzt. Diese formell unabhängigen PACs werden umgangssprachlich Super PACs genannt. Es gelten keine Obergrenzen dafür, wie viel Geld Einzelpersonen, Unternehmen und Gewerkschaften den Super PACs für ihre Kampagnenarbeit zur Verfügung stellen dürfen. Im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf haben Super PACs rund 240 Mio. US-Dollar ausgegeben, um Kandidaten mit Werbespots und anderen Mitteln „unabhängig“ zu unterstützen.
Auch Super Pacs müssen sich Regeln unterwerfen
Deutschland ist eine parlamentarische Parteiendemokratie und keine Präsidialdemokratie wie die USA. Sollten sich dennoch auch hierzulande formell unabhängige Wahlkampagnen etablieren, bräuchten wir – wie die USA – eigene Regeln und Gesetze dafür. Super PACs müssen sich immerhin formell registrieren lassen. Das Federal Elections Committee wacht darüber, dass sich PACs und Super PACs an Richtlinien halten. Super PACs müssen selbstverständlich ihre Finanzierung offen legen – auch wenn sich die Transparenzpflicht durch Schlupflöcher bisher leicht umgehen lässt. Auch auf Grund dieser Schlupflöcher sind Super PACs in den USA heftig umstritten. Das Urteil des Supreme Court fiel mit 5:4 Stimmen äußerst knapp aus. Möglicherweise verändert sich die Rechtsprechung in Zukunft wieder. In der Öffentlichkeit stießen Super PACs ebenfalls auf Skepsis. Die US-amerikanische Antikorruptionsorganisation united re:public veröffentlichte vor einem halben Jahr mit einem Augenzwinkern eine Umfrage dazu. Ergebnis: Der Anteil der US-Bürger, die an Gespenster glauben ist mit 24 % höher als der Anteil derer, die glauben, dass Super PACs keinen korrumpierenden Einfluss auf die Demokratie haben. Das glaubten nur 14 %. Ersteres lässt einen den Kopf schütteln, letzteres wird dagegen von nüchterneren Studien bestätigt. So zeigte eine Umfrage des Brennan Center for Justice der New York University, dass 70 % der US-Bürger der Ansicht sind, Super PACs würden „zu Korruption führen“. Zudem gaben 25 % der Befragten an, auf Grund des starken Engagements von finanzkräftigen Spendern weniger geneigt zu sein, überhaupt an der Wahl teilzunehmen.
Peerblog erinnert an Wahlkampf in den 1970er Jahren
Sicherlich können die Parteien in Deutschland einiges von der professionellen und modernen Online-Kommunikation eines Barack Obama lernen. Intransparente Unterstützungskampagnen wie das peerblog führen allerdings zu einem Vertrauensverlust der Wählerinnen und Wähler in Kandidaten und Parteien. Bleiben die Macher und Geldgeber solcher Projekte anonym, befördert das Verdächtigungen und Misstrauen. Der ehemalige Wahlkampfmanager der SPD im Bundestagswahlkampf 1972, Albrecht Müller, erinnert auf den Nachdenkseiten an eine damalige Kampagne anonymer Geldgeber. Mit Zeitungsanzeigen sollte Willy Brandt diskreditiert werden und dem Gegenkandidaten der CDU, Rainer Barzel, zum Wahlsieg verholfen werden. Genutzt hat die anonyme Unterstütung Barzel nicht. Im Gegenteil. Die anonymen Wahlkämpfer wurden zu einer Steilvorlage für Brandt. Unter dem Motto „Anonyme Millionen fließen für Barzel – Was hat er dafür versprochen?“ gelang es der SPD damals, gegen Barzel zu mobilisieren. Barzel stolperte später über die Flick-Parteispenden-Affäre.
Tranzparenz und Glaubwürdigkeit
Diese Episode der Partei- und Wahlkampfgeschichte der SPD scheint 40 Jahre später in Vergessenheit geraten zu sein. Steinbrück wurde vor dem Start des peerblog offenbar über das Vorhaben informiert und hat dem Projekt seinen Segen erteilt. Nach eigener Aussage kennt er die anonymen Geldgeber nicht. Steinbrück und sein Team hätten sehen müssen, dass anonyme Wahlkampfunterstützung in Deutschland – übrigens auch in den USA – keine Begeisterungsstürme in der Wahlöffentlichkeit auslöst. Vielmehr bietet die Aktion dem politischen Gegner – 1972 genau so wie 2013 – einen einfachen Angriffspunkt. Albrecht Müller schreibt, die Union könnte heute die Wahlkampfsprüche der SPD von damals wieder ausgraben, man müsse lediglich Barzel durch Steinbrück austauschen. Zwar handelt es sich nach Angaben von peerblog bisher lediglich um einen sechsstelligen Betrag und nicht um Millionen. Dennoch hat Müller hat im Grundsatz Recht. Steinbrück hätte seine Zustimmung zu dem Projekt nicht geben dürfen. Statt dessen lässt er sich mit der Aussage zitieren, er könne „daran nichts Anrüchiges erkennen“. Damit schadet er aus unserer Sicht sich und seiner Partei. Und das, obwohl die SPD in dieser Legislaturperiode aus der Opposition heraus durchaus gezeigt hat, dass sie sich dem Problem der unregulierten Lobbyeinflüsse und der intransparenten Geldströme ernsthaft annehmen will. Ein Kandidat, der nach der Debatte um seine Nebeneinkünfte nun ein solches intransparentes Projekt gutheißt, schadet der Glaubwürdigkeit der SPD als Partei, die sich für mehr Transparenz und Lobbykontrolle einsetzen möchte.
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