Lobbyismus in der EU

„Dalligate“-Skandal weitet sich aus

Der Skandal rund um den zurückgetretenen früheren EU-Gesundheitskommissar John Dalli bekommt eine neue Dynamik. Seit Ende März neue Fakten an die Öffentlichkeit kamen, steht in Frage, wie weit sich die Vorwürfe, die zu Dallis Rücktritt führten, eigentlich halten lassen. Heute haben Vertreter unseres Brüsseler Netzwerks, die Allianz für Lobbytransparenz und ethische Regeln, der EU-Kommission unsere Petition: „Klären Sie den blauen Dunst über Brüssel!“ überreicht.
von 5. April 2013

Der Skandal rund um den zurückgetretenen früheren EU-Gesundheitskommissar John Dalli bekommt eine neue Dynamik. Seit Ende März neue Fakten an die Öffentlichkeit kamen, steht in Frage, wie weit sich die Vorwürfe, die zu Dallis Rücktritt führten, eigentlich halten lassen. Heute haben Vertreter unseres Brüsseler Netzwerks, die Allianz für Lobbytransparenz und ethische Regeln, der EU-Kommission unsere Petition: „Klären Sie den blauen Dunst über Brüssel!“ überreicht.

ALTER-EU Mitglieder übergeben die Petition "Klären Sie den blauen Dunst über Brüssel" an Peter Handley, einen Referatsleiter aus dem Generalsekretariat der EU-Kommission (Mitte)

ALTER-EU Mitglieder übergeben die Petition „Klären Sie den blauen Dunst über Brüssel“ an Peter Handley, einen Referatsleiter aus dem Generalsekretariat der EU-Kommission (Mitte)

Der Zeitpunkt für die Übergabe ist mehr als passend: Unsere Forderungen nach Offenlegung der Fakten in dem Fall und für schärferen Lobbyregeln sind aktueller denn je.

LobbyControl hat bereits mehrfach über den Skandal berichtet: Barroso hatte Dalli im Oktober 2012 zum Rücktritt aufgefordert. Die EU-Antibetrugsbehörde OLAF warf Dalli vor, von angeblichen Geldforderungen im Gegenzug für Änderungen am Entwurf der neuen EU-Tabakproduktrichtlinie gewusst zu haben. Ein Dalli bekannter maltesischer Geschäftsmann, Silvio Zammit, soll dem Tabakkonzern Swedish Match ein solches Angebot gemacht haben. Für die Richtlinie war Dalli als Gesundheitskommissar zuständig. Sie soll unter anderem neue Warnhinweise und abschreckende Bilder auf Zigarettenpackungen durchsetzen.

Rolle von Barroso und EU-Antibetrugsbehörde zweifelhaft

Die  EU-Kommission und die Antibetrugsbehörde OLAF haben die Öffentlichkeit bis jetzt darüber im Dunkeln gelassen, woher sie die Sicherheit nahmen, dass Dalli von den Geldforderungen wusste. Die Geheimhaltung wurde mit dem laufenden Ermittlungsverfahren der maltesischen Staatsanwaltschaft begründet.

Giovanni Kessler, der Chef von OLAF, hatte in einer Pressekonferenz Ende 2012 gesagt, es gäbe für die Verwicklung Dallis „unzweideutige Indizien“. Als diese Indizien hatte die interessierte Öffentlichkeit bisher ein Treffen zwischen Dalli, Zammit und einer weiteren Lobbyistin am 10.Februar 2012 in Malta aufgefasst.

Bei der weiteren Lobbyistin handelte es sich um die maltesische Anwältin und Lobbyistin Gayle Kimberley. Swedish Match hatte sie eigens angeheuert, um einen direkten Kontakt zu Dalli herzustellen.

Ein zentrales Indiz für Dallis Verwicklung nur erfunden?

Bei dem Treffen hatte Zammit, laut anfänglichen Aussagen Kimberleys, Swedish Match angeboten, für Zahlungen in Höhe von 60 Millionen Euro Änderungen an der Tabakproduktrichtlinie zu erwirken. Inzwischen hat Kimberley allerdings laut Medienberichten bei einer Vernehmung durch die maltesische Justiz eingestanden, dass sie dieses Treffen erfunden hatte.

Warum sie das getan hat, ist bisher unklar. Auch OLAF wusste möglicherweise, dass es dieses Treffen nicht gab. Dennoch habe die Behörde den Cheflobbyisten von Swedish Match, Gabrielsson, gebeten, bei einer Anhörung im EU-Parlament bei dieser Version der Geschichte zu bleiben – angeblich, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Das behauptet  jedenfalls Gabrielsson.  OLAF widerspricht dem Vorwurf. Stimmt Gabrielssons Aussage, hätte er wissentlich das Parlament belogen und OLAF hätte ihn dazu angestiftet.

Die Affäre rund um den Rücktritt Dallis wird vor dem Hintergrund dieser neuen Entwicklungen immer undurchsichtiger.

Bessere Lobbyregulierung dringend notwendig

So fragwürdig sich dieser Skandal bisher darstellt, eines legt er auf jeden Fall offen: den Mangel an Regeln der EU-Institutionen für den sauberen Umgang mit Lobbyisten.

Dies sind unsere wichtigsten Forderungen:

  • EU-Kommissar/innen müssen alle ihre Treffen mit Lobbyist/innen online veröffentlichen. Das hätte Dalli in diesem Fall sogar helfen können.
  • Die Kommission muss dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter die Vorschriften für Tätigkeiten nach ihrem Anstellungsverhältnis bei der Kommission einhalten. Es kommt immer wieder vor, dass Kommissionsbedienstetein Lobbyätigkeiten wechseln – oftmals in den Bereich, in dem sie vorher für die EU-Kommission gearbeitet haben. Gleich zwei zentrale Akteure des Skandals – der Swedish Match-Cheflobbyist Gabrielsson und die angeheuerte Lobbyistin Kimberley – hatten zuvor in der Kommission gearbeitet und kannten sich daher auch. Der europäische Ombudsmann geht derzeit einer entsprechenden Beschwerde von LobbyControl und weiteren NGOs nach.
  • Zentrale Akteure des Skandals – der maltesische Geschäftsmann Zammit sowie die maltesische Anwältin Kimberley –  sind nicht im Brüsseler Lobbyregister eingetragen, obwohl sich beide als professionelle Lobbyisten im europäischen Politikbetrieb ausgeben. Das zeigt die Notwendigkeit, die Registrierung für alle Lobbyisten verpflichtend zu machen.
  • Die EU-Kommission muss die WHO-Richtlinien zum Umgang mit der Tabaklobby einhalten. Treffen mit der Tabaklobby sollen stets transparent gemacht werden. Wir wissen aber von mindestens fünf nicht veröffentlichten Treffen zwischen Barrosos Kabinett bzw. dem Generalsekretariat der EU-Kommission und der Tabaklobby.

 

Barroso hält sich bedeckt

Da Barroso auf unsere schriftliche Aufforderungen, die richtigen Konsequenzen aus dem Fall Dalli zu ziehen, bisher nicht reagiert hat, bauen wir weiter Druck auf.

Gemeinsam mit der EU-Abgeordneten Inge Gräßle (CDU, laut Bild-Zeitung beschimpfte Barroso die Abgeordnete auf Grund ihrer hartnäckigen Nachfragen zur Dalli-Affäre und warf ihr vor, die fundamentalistischen Positionen eines Taliban einzunehmen) haben wir am 21. Februar im Europäischen Parlament einen Workshop zu Konsequenzen aus dem Fall Dalli veranstaltet.

Außerdem geht der EU-Bürgerbeauftragte einer Beschwerde über die Geheimhaltungstaktik der Kommission durch unseren Netzwerkpartner Corporate Europe Observatory nach. Diese haben auch eine Beschwerde beim Sekretariat des EU-Transparenzregisters über das Verhalten von Swedish Match eingereicht.

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