Konzernmacht

Gesetze stehen und fallen mit ihrer Durchsetzungskraft

In einer Fachtagung im Juni haben wir die EU-Gesetze der letzten Jahre auf ihre Durchsetzungskraft hin geprüft. Das sind unsere Schlussfolgerungen.

von 28. Juni 2024

Wenn niemand auf die Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung achtet, dann wird sie auch nicht eingehalten. Häufiges Unterlaufen der Regeln ist die Folge – mit schwerwiegenden Folgen. So ist es auch generell mit Gesetzen. Sie stehen und fallen mit ihrer Durchsetzung. Wenn diese dauerhaft nicht erfolgt, verliert die Demokratie an Glaubwürdigkeit. Höchste Zeit sich damit auseinanderzusetzen, was zu einer effektiven Durchsetzung von Gesetzen beiträgt.

LobbyControl/Max Bank - CC-BY-NC-ND 4.0
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Fachtagung zu Gesetzesinitiativen der letzten EU-Kommission

Als Demokratieorganisation haben wir uns deshalb in einer Fachtagung mit zahlreichen anderen zivilgesellschaftliche Akteuren die Gesetzesinitiativen der letzten EU-Kommission unter Kommissionspräsidentin von der Leyen angeschaut und auf ihre Durchsetzungskraft untersucht. Das Forum Umwelt und Entwicklung hatte dazu eingeladen, wir haben die Tagung mitgestaltet. Angeschaut haben wir uns das Europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen, das Digitalmarktgesetz, die Chemiekalienstrategie für Nachhaltigkeit, das EU-Lieferkettengesetz und die Maßnahmen der EU-Wettbewerbspolitik im Allgemeinen.

LobbyControl/Holger Müller - CC-BY-NC-ND 4.0

Europas Schutzschild gegen die Macht von Big Tech stärken

Google, Meta, Apple & Co. missbrauchen ihre Macht. Um sie daran zu hindern, braucht das DMA - Digitalmarktgesetz mehr Ressourcen.

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Stärken und Fallstricke der Durchsetzung

Die Bilanz unserer Tagung ist spannend, konnten wir doch Kriterien dafür entwickeln, wie wir Gesetze durchsetzungsstärker ausgestalten und welche Fallstricke entstehen können. Folgende Kriterien sind entscheidend für eine starke Durchsetzungskraft:

  • Bei allen fünf Politikbereichen, die wir uns angeschaut haben, ist die Ressourcenfrage von zentraler Bedeutung. Wir konnten eindeutig sehen, dass für die Durchsetzung der Digitalmarktgesetze, der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit und auch der Wettbewerbspolitik zu wenige Personalressourcen zur Verfügung stehen. Schon jetzt wird deutlich, dass die Durchsetzung gegenüber mächtigen Unternehmen an der Personalfrage krankt.
  • Das Ressourcenungleichgewicht setzt sich auch vor Gericht fort, wenn Unternehmen etwa die Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen durch die EU-Kartellbehörde anfechten. Hinzu kommt hier die unzureichende Ausstattung der Gerichte, die Verfahren oftmals in die Länge zieht.
  • Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, ob Gesetzesinitiativen scharfe Sanktionsmöglichkeiten enthalten und ob diese schnell erfolgen können. Im Chemikalienbereich fehlen Sanktionen praktisch völlig, beim Digitalmarktgesetz erfolgen sie zeitlich nur sehr verzögert. Beim EU-Lieferkettengesetz hingegen ist das Sanktionsregime stark ausgeprägt. Das ist eine große Stärke des Gesetzes.
  • Zentral für die Durchsetzungskraft der Gesetze ist auch die Beteiligung von Drittparteien an der Durchsetzung. Besonders Verbraucherschutz- und Umweltverbände, aber auch die Zivilgesellschaft insgesamt, sind wichtig um Rechtsbrüche aufzudecken und die Verhängung von Sanktionen anzustreben.
  • Damit das jedoch funktioniert, braucht es ein hohes Maß an Transparenz, sodass Drittparteien auf nötige Informationen zugreifen können, um gegen die Nichteinhaltung von Gesetzen vorzugehen. Beispielsweise sollten die großen Techkonzerne beim Digitalmarktgesetz möglichst detailliert über die Umsetzung der ihnen auferlegten Pflichten berichten, damit die Einhaltung geprüft kann.
  • Zur Transparenz gehört auch eine institutionelle Einbindung der Zivilgesellschaft, etwa über Workshops, bei denen die regulierten Unternehmen auf konsequente Umsetzung befragt werden. Das ist etwa beim Digitalmarktgesetz der Fall. Es muss nicht zwingend im Gesetz geregelt sein, kann aber als Teil einer ambitionierten Durchsetzungsagenda erfolgen.
  • Ein entscheidendes Kriterium für die Stärke der Durchsetzung von Unternehmensregeln ist die sogenannte Beweislastumkehr: Wenn Unternehmen nachweisen müssen, dass sie Regeln einhalten, ist das deutlich effektiver und effizienter, als wenn die Durchsetzungsbehörden die Nichteinhaltung der Regeln nachweisen müssen.
  • Wichtig ist es zu vermeiden, dass ein hohes Maß an Selbstregulierung der Industrie in der Gesetzgebung verankert wird. Das ist etwa bei der Chemikalienregulierung und beim Gesetz für kritische Rohstoffe der Fall.
  • Auch die Verankerung von Regulierungsdialogen mit der Industrie in Gesetzen sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Sie schafft Spielräume zur Verwässerung von gesetzlichen Regeln.
  • Zwei Herausforderungen stellen sich in Hinblick auf Gesetze, die eine Umsetzungskomponente auf der Ebene der Mitgliedstaaten haben:
    • Es braucht erstens klare Zuständigkeiten zwischen EU- und Mitgliedsstaatenebene, um Situationen zu vermeiden, in denen sich keiner zuständig fühlt oder in denen unnötiges Kompetenzgerangel entsteht.
    • Gute EU-Initiativen können in den Mitgliedsstaaten verwässert werden. Deshalb bedarf es zusätzlicher Ressourcen, um auch nationale Umsetzungen als Zivilgesellschaft zu begleiten.

Letztlich ist auch der politische Wille der verantwortlichen Institutionen entscheidend. Gleichwohl sind die oben genannten Voraussetzungen wichtige Kriterien für eine erfolgreiche Durchsetzung.

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Zentrale Punkte im politischen Prozess für gemeinwohlorientierte Gesetze

Wie kann die Zivilgesellschaft erfolgreich im Gesetzgebungsprozess für das Gemeinwohl auftreten?

  • Es gibt ein massives Machtungleichgewicht zwischen Unternehmensinteressen und gemeinwohlorientierten Interessen, das sich durch die fehlende europäische Öffentlichkeit nochmal verstärkt. Unternehmen verfügen in der Regeln über deutlich mehr Ressourcen bei der Lobbyarbeit als die Zivilgesellschaft. Sie können sich deshalb stärker und auf vielen Ebenen in politische Prozesse einbringen. Als Zivilgesellschaft sollten wir deshalb stets auf die proaktive Einbindung von Interessenvertreter:innen drängen, die über weniger Ressourcen verfügen und gemeinwohlorientiert sind.
  • Noch immer sind Teile des EU-Gesetzgebungsprozesses sehr intransparent. Das gilt insbesondere für den Trilog, die finale entscheidende Gesetzgebungsphase, in der EU-Parlament, Rat der EU und EU-Kommission einen Kompromiss miteinander aushandeln. Als Zivilgesellschaft fordern wir weiter mehr Trilogtransparenz.
  • Eine erfolgreiche Beeinflussung von Gesetzgebung gelingt uns in Europa vor allem in ressourcenstarken zivilgesellschaftlichen Bündnissen mit engem Austausch. Wichtig dabei ist eine klare Rollenverteilung, unter anderem zwischen Organisationen, die Lobbyarbeit machen, anderen, die eher kampagnenförmig arbeiten, sowie dritten, die sich auf einen transparenten und ausgewogenen Prozess konzentrieren. Auch eine Zusammenarbeit mit Unternehmen kann sehr erfolgreich sein.
  • Eine zentrale Herausforderung bei zivilgesellschaftlichen Bündnissen ist es, etwaige anstehende nationale Umsetzung weiterzubegleiten und die Bündnisarbeit auf die Ebene der Mitgliedsstaaten zu verlagern. Gerade in kleineren Mitgliedstaaten mit schwach ausgebildeter Zivilgesellschaft besteht hier eine Herausforderung auf der Ressourcenseite.

Ausblick: Was wir in der kommende EU-Legislatur besonders beachten sollten

Nach der Europawahl zeichnet sich eine Rechtsverschiebung des Europäischen Parlaments ab, die Folgen für die EU-Gesetzgebung mit sich bringen wird. Tendenziell wird der Einfluss der Wirtschaftslobby auf die EU-Politik steigen, weil konservative Abgeordnete Industrieinteressen tendenziell gegenüber offener sind.

Die Rechtsverschiebung des Parlaments geht einher mit einer breit angelegten Kampagne der Industrielobby unter den Schlagworten „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Bürokratieabbau.“ Beide Schlagworte stehen letztlich für den Abbau von Regeln, in erster Linie für Unternehmen, und für weniger neue Regeln.

In diesem Kontext stellt sich für eine am Gemeinwohl orientierte Zivilgesellschaft die Frage nach den Prioritäten mit Blick auf die Durchsetzungsfähigkeit von Gesetzen. Aus unserer Sicht gibt es vier Punkte zu beachten:

  • Zunächst besteht eine große Gefahr, dass bestehende Regeln abgeschwächt werden, wenn sie unter den gegebenen Umständen aufgemacht werden. Das gilt etwa für die EU-Chemikalienverordnung REACH, die bei allen Unzulänglichkeiten der Durchsetzung doch hohe Standards setzt.
  • In Anbetracht der ungleichen Kräfteverhältnisse zwischen Zivilgesellschaft und Wirtschaftslobby zugunsten der Wirtschaft, lohnt es sich in der nächsten Legislatur auf ein, zwei grundlegende Gesetzesprozesse zu konzentrieren, die idealerweise strukturelle Machtverschiebungen statt Detailregulierung zur Folge haben.
  • Es lohnt sich weiter daran zu arbeiten, die Gesetzgebungsprozesse selbst transparenter zu machen und für mehr Ausgewogenheit beim Lobbying einzutreten. Auf der EU-Ebene haben wir bereits gute Regeln an vielen Stellen, aber in erster Linie auch ein Durchsetzungsproblem.
  • Es stellt sich abschließend die Frage, ob wir uns als Zivilgesellschaft in Anbetracht einiger guter Gesetze der letzten Legislatur nicht stärker auf deren Durchsetzung konzentriert und diese kritisch begleiten sollten, anstatt auf neue Projekte zu drängen.

Als Demokratieorganisation werden uns diese Fragen weiter beschäftigen. Wir setzen uns ein für durchsetzungsstarke Gesetze, die Demokratie Legitimität verschaffen. Das gilt selbstverständlich auch für eine zweite EU-Kommission unter Ursula von der Leyen als Präsidentin, wie sie sich derzeit andeutet. Wir hoffen dazu auf mehr Kooperation und Austausch innerhalb der Zivilgesellschaft zu Fragen der Durchsetzung von Gesetzen. Denn was helfen uns neue Gesetze, wenn sie am Ende nicht Wirkung zeigen?

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