Die Entstehung des Deals zwischen Energiekonzernen und Bundesregierung über die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist ein Paradebeispiel für undemokratische Politik. Wir tragen die Tiefpunkte zusammen:
In der Nacht vom 5. auf den 6. September brütet die Bundesregierung im Kanzleramt über der Frage, ob und wie viel die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängert werden sollen. Kanzlerin Merkel präsentiert das Ergebnis am nächsten Morgen als „Revolution in der Energieversorgung“ – im Schnitt dürfen die AKW 12 Jahre länger laufen als nach dem Atomausstiegsgesetz von 2002 bisher vorgesehen. Im Gegenzug sollen die Konzerne eine Steuer auf Atombrennstäbe zahlen und zusätzlich einen Sonderbeitrag zur Förderung Erneuerbarer Energien.
Kanzlerin verschweigt schriftliche Vereinbarung mit Energiekonzernen
Was die Kanzlerin in ihrer morgendlichen Pressekonferenz verschweigt: Die Energiekonzerne waren in dieser Nacht nicht Adressat einer politischen Entscheidung, sondern Verhandlungspartner der Regierung. Per Konferenzschaltung wurden sie mit ins Kanzleramt geholt. Und am Ende der Verhandlung stand nicht etwa eine Vorlage der Regierung für das Gesetzgebungsverfahren im Parlament, sondern ein schriftlicher Vertrag mit den Energiekonzernen, überschrieben mit den Titel „Förderfondsvertrag: Term Sheet aus Besprechung Bund und EVU“ [Energieversorgungsunternehmen, Anm. H.Klein]. Kein Wort von der Kanzlerin zu diesem Papier.
Am nächsten Tag (Dienstag, 7.9.) kommt es heraus, durch einen Versprecher des RWE-Vorstandsmitglieds Rolf Martin Schmitz, der sich auf einer Konferenz verplappert und den nächtlichen Deal erwähnt. Die Regierung wiegelt ab, spricht von einem „ganz normalen Vorgang“ – aber herausrücken will sie das Papier nicht. Weder das Parlament – noch nicht einmal die Abgeordneten der Regierungsfraktionen – noch die Öffentlichkeit bekommen zu sehen, was im Kanzleramt des Nachts ausgedealt wurde. Die Opposition schimpft, Journalisten versuchen an das Papier zu kommen, LobbyControl fordert die sofortige Offenlegung des Geheimvertrages.
Irreführung der Öffentlichkeit
Am folgenden Tag (Mittwoch, 8.9.) veröffentlichen die Süddeutsche Zeitung und die Financial Times Inhalte aus dem Papier. Das Papier liegt den Zeitungen jedoch nicht vor. Sie wurden scheinbar telefonisch aus informellen Quellen über Teile des Inhaltes informiert. Wie später deutlich wird: es wurden offenbar nur die Aspekte der Vereinbarung an die Journalisten gegeben, die der Regierung zu Gute kamen. Die Süddeutsche titelt „Höhere Lasten für Atomkonzerne“ und berichtet, dass laut Vereinbarung die Zahlungen in den Sonderfonds bei höheren Gewinnen der Energiekonzerne steigen sollen. Die Autoren wundern sich, warum das Papier unter Verschluss gehalten wird. „Dabei entlastet es die Regierung zumindest teilweise von dem Vorwurf, sie habe sich in der Frage, welchen Teil der zusätzlichen Laufzeitgewinne die Konzerne an den Staat abführen müssen, von der Branche über den Tisch ziehen lassen“, schreiben sie. Der Artikel in der Financial Times mit dem Titel „Geheimvertrag: Bund schöpft hohe Atomstrompreise ab“, hat den gleichen Tenor.
Warum die geheime Vereinbarung der Regierung doch nicht so gut zu Gesichte steht, wird klar, als sie schließlich doch an die Öffentlichkeit kommt. Nachdem der Druck aus Opposition und Öffentlichkeit im Laufe des Tages immer größer geworden ist, verkündet Regierungssprecher Steffen Seibert, die Vereinbarung werde „demnächst öffentlich gemacht“. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) schränkt ein: „sofern er nicht Geschäftsgeheimnisse der Energieerzeuger betrifft“.
Am Abend gibt die Regierung endgültig nach und stellt den Vertrag ins Internet (pdf).
Am Donnerstag morgen (9.9.) sieht die Berichterstattung anders aus. Nachdem ihr nun das gesamte Papier vorliegt, schreibt die Financial Times: „Laufzeitverlängerung: Atom-Geheimvertrag schützt Konzerne“. Ganz offensichtlich wurde die Öffentlichkeit, man kann es nicht anders sagen, von der Bundesregierung verarscht. Da klingt es wie der blanke Hohn, wenn Regierungssprecher Seibert anschließend verlauten lässt, die Bundesregierung lege alles offen, was die Bürger zu diesem Konzept wissen wollten. „Transparenz war immer unsere Absicht und Transparenz wird auch weiterhin unsere Devise in dieser Sache sein“. Er kann sich sicher sein: Wir werden ihn beim Wort nehmen!
Offenlegung reicht nicht – Konzerne dürfen nicht mit der Kanzlerin ihre eigene Regulierung aushandeln!
Klar ist aber, dass auch nach der Offenlegung des Deals mit den Energiekonzernen keineswegs alles gut ist. Aus einer demokratischen Perspektive stinkt der gesamte Entstehungsprozess des Energiekonzeptes zum Himmel. Die Konzerne gehören nicht an den Verhandlungstisch im Kanzleramt, wenn über ihre Regulierung und Besteuerung entschieden wird. Sie können angehört werden – aber bitteschön nur als einer von vielen. Greenpeace oder die Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ wurde in der besagten Nacht auch nicht aus dem Bett geklingelt und gefragt, ob sie mit der Vereinbarung einverstanden sind. Auch die Stadtwerke, deren wirtschaftliche Interessen stark betroffen sind, wurden nicht gefragt. Mit Demokratie hat das nichts zu tun. Ganz abgesehen von dem zweifelhaften Gutachten, auf dem das Energiekonzept der Regierung angeblich beruht. Es sind noch viele Fragen offen – etwa die Rolle des Seitenwechslers Gerald Hennenhöfer in dieser Geschichte, der seinen Job in der Atomaufsichtsbehörde gegen Tätigkeiten in der Atomwirtschaft tauschte und nun wieder oberster Atomaufseher ist.
Wir bleiben dran. Helfen Sie uns dabei – mit Ihrer Unterschrift für die Rücknahme des undemokratischen Atom-Deals, mit einer Spende oder langfristig mit Ihrer Fördermitgliedschaft.
Bleiben Sie informiert über Lobbyismus.
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter.
Datenschutzhinweis: Wir verarbeiten Ihre Daten auf der Grundlage der EU-Datenschutz-Grundverordnung (Art. 6 Abs. 1). Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Zur Datenschutzerklärung.