Lobbyismus in der EU

Verheugen: Kommission erlaubte Beratungstätigkeit gegen die Empfehlung des Ethik-Komitees

Die europäische Kommission hat sich bei ihrer Entscheidung Anfang Februar, Ex-Kommissar Verheugen das Betreiben seiner neu gegründeten Lobbyagentur zu gestatten, über die Empfehlung ihres eigenen Ethik-Komitees hinweggesetzt. Dieses hatte empfohlen, ihm die Geschäftsführertätigkeit für die von ihm und seiner ehemaligen Büroleiterin gegründeten „European Experience Company“ (EEC) nicht zu genehmigen. Mit seiner neuen Agentur darf er […]
von 22. Februar 2011

Die europäische Kommission hat sich bei ihrer Entscheidung Anfang Februar, Ex-Kommissar Verheugen das Betreiben seiner neu gegründeten Lobbyagentur zu gestatten, über die Empfehlung ihres eigenen Ethik-Komitees hinweggesetzt. Dieses hatte empfohlen, ihm die Geschäftsführertätigkeit für die von ihm und seiner ehemaligen Büroleiterin gegründeten „European Experience Company“ (EEC) nicht zu genehmigen. Mit seiner neuen Agentur darf er nun bei jeder Dienststelle der EU außer seiner eigenen Lobbyarbeit betreiben.

Medien hatten im August 2010 aufgedeckt, dass Verheugen bereits seit April seine eigene Lobbyagentur als ehrenamtlicher Geschäftsführer betrieb, ohne dies zu melden. Daraufhin war die Kommission aktiv geworden. Im ersten Jahr nach Ende ihres Amtes müssen ehemalige Kommissarinnen und Kommissare ihre Tätigkeiten der Kommission melden. Betrifft die Tätigkeit den früheren Geschäftsbereich des Kommissars, zieht die Kommission ein dreiköpfiges Ethik-Komitee zu Rate und lässt überprüfen, ob Interessenkonflikte drohen. Lange hatte dieses Komitee sich eher durch Blindheit gegenüber möglichen Interessenkonflikten ausgezeichnet, bereits im Falle des Ex-Kommisssars Charles McCreevy aber hatte es sich im Spätsommer 2010 erstmals gegen die Aufnahme einer Tätigkeit ausgesprochen.

Verheugen liefert unbefriedigende Antworten

Wie aus internen Dokumenten bekannt wurde, die das ALTER-EU-Mitglied Friends of the Earth von der Kommission erhielt, hatte das Komitee im Falle Verheugen am 2. November erklärt: “Es ist unvermeidlich, dass Verheugen bei einer derartig breiten Tätigkeit (wie die für die European Experience Company, Anm. d. Verf.)immer wieder Gefahr läuft, bei seiner Arbeit auch seinen früheren Geschäftsbereich zu berühren. Mit einer Fall-zu-Fall-Betrachtung ist es in diesem Fall nicht getan. […] So unklar, wie die geplante Tätigkeit bislang beschrieben ist, kann sie nicht als konform mit Artikel 245(2) des EU-Vertrags gewertet werden.“

Die Kommission hat sich am 11.November daraufhin zunächst wieder an Verheugen gewandt, und ihn um mehr Informationen zu seiner Rolle bei der EEC zu bitten. In einem Schreiben an die Kommission Anfang Dezember erläuterte Verheugen, er befasse sich lediglich mit internen Management-Aufgaben wie Personal und Finanzen. Wäre dies wahr, müsste die offizielle Webseite der European Experience Company allerdings als Farce für alle interessierten Kunden betrachtet werden. Sie erweckt deutlich den Eindruck, dass Günter Verheugen und seine Partnerin Petra Erler beide als Berater aktiv sind. Auch die Kommission scheint dieser Argumentation keinen Glauben geschenkt zu haben. Dennoch hat sie sich über die Empfehlung des Ethik-Komitees hinweggesetzt. Anfang Februar, etwa 7 Wochen nach Eintreffen von Günter Verheugens wenig aussagekräftigem Antwortschreiben, entschied sie, dass Verheugen seine Beratung unter bestimmten Auflagen behalten darf. Demnach darf er 26 Monate lang keinen Lobbykontakt zu seiner eigenen Dienststelle aufnehmen und nicht für etwa 400 Unternehmen und Personen arbeiten, die während seiner Amtszeit als Industriekommissar (2004-2010) von Entscheidungen, Fördergeldern und Verträgen der Generaldirektion „Unternehmen und Industrie“ profitiert haben. Das erste Jahr ist nun bereits vorbei.

Was ist in den fast zwei Monaten passiert, nachdem Verheugens unbefriedigende Antwort auf die Frage der Kommission nach seiner genauen Tätigkeit eingetroffen ist? Wir wissen es nicht. Im Fall McCreevy hatte die Kommission den ehemaligen Kommissar überredet, seine neue Tätigkeit bei der NBNK Investment PLC „freiwillig“ nicht anzutreten. Möglich, dass sie dies auch bei Günter Verheugen versuchte. Wenn ja, war sie jedenfalls nicht erfolgreich. Der Verhaltenskodex gibt der Kommission keine Sanktionen für derartige Fälle an die Hand – außer, die Sache vor Gericht zu bringen. Zu diesem äußersten Mittel wollte die Kommission bei ihrem altgedienten Kommissar vielleicht nicht greifen.

Mit welchen Personen und Unternehmen Günter Verheugen im kommenden Jahr zusammenarbeitet, wird für die Kommission schwer nachzuprüfen sein. Und dass er für eine bestimmte Zeit seine eigene Dienststelle nicht zu Lobbyzwecken ansprechen darf, wird seiner Arbeit keinen großen Abbruch tun. Herr Verheugen war zehn lang Kommissar in zentralen Geschäftsbereichen – er kann auch andere Türen öffnen. Als Industrie-Kommissar hatte große Überschneidungen unter anderem mit den Bereichen Umwelt und Binnenmarkt, wo er sicherlich ebenfalls noch fähig sein dürfte, seinen Einfluss geltend zu machen.

Verhaltenskodex muss überarbeitet werden

Die Entscheidung der Kommission setzt einem Jahr voll skandalöser Entscheidungen bezüglich Seitenwechseln ehemaliger Kommissare die Krone auf. Der Verhaltenskodex für Kommissarinnen und Kommissare muss geändert werden, soviel ist sicher. Die derzeit von der Kommission zur Beratung vorgelegte Neufassung wird dem Anspruch nicht gerecht, zukünftig Interessenkonflikte zu vermeiden. Auch mit Unterstützung Ihrer Unterschriften hat das Europäische Parlament, in diesem Fall ein Gremium aus den Fraktionsvorsitzenden und dem Parlamentspräsidenten, am 10. Februar klar Stellung zu diesem Entwurf bezogen und ihn weiter verwiesen statt ihm zuzustimmen. Die Kommission hat damit die „1. Runde“ verloren. Sie hätte es gern gesehen, wenn die „Konferenz der Präsidenten“ ihren Entwurf einfach durch gewunken hätte. Der öffentliche Druck hat geholfen – nun geht es am 8. März weiter, wenn die Ausschussvorsitzenden den Entwurf beraten. Wir werden die neue Chance nutzen und uns bei den Ausschussvorsitzenden für eine echte Abkühlphase für ehemalige Kommissare einsetzen.

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