Noch auf der Suche nach Sommerlektüre? Wie wäre es mit den öffentlich gewordenen E-Mails von Dirk Notheis zum skandalösen EnBW-Deal? Die Lektüre lohnt sich. Die Mails des zurückgetretenen Deutschland-Chef von Morgan Stanley bieten einen unverstellten Blick auf die Strategien der Strippenzieher – und ein erschreckendes Bild von Teilen der Elite. Wir präsentieren ein paar Zitate als Anregung.
Mappus hatte im Dezember 2010 am Landesparlament vorbei die Anteile an dem Energieversorger EnBW vom französischen Staatskonzern EDF zurückgekauft und dabei anscheinend einen überhöhten Preis gezahlt. Von 840 Millionen Euro zuviel ist die Rede. Notheis hatte den Deal eingefädelt. Die E-Mails zwischen Notheis und Mappus belegen den Einfluss von Notheis auf Mappus. Erschreckend ist nicht nur faktischer Inhalt, sondern auch der kumpelhafte und trotzdem fordernde, manchmal fast aggressive Ton von Notheis.
1) Gib den Ton an
Es hilft, am politischen Geschehen nah dran zu sein. Persönlicher und kumpelhafter privater Umgang ist sehr gut. Notheis ist noch näher dran und liefert gleich das fertige Skript für die Pressekonferenz, inklusive zu erwartender Fragen mit den dazugehörigen richtigen Antworten und stellt am Ende einen Tagesplan für Mappus zusammen. Notheis zeigt Mappus, wie der Hase läuft. Er spricht von:
„du musst“, „du sagst dann“, „Du darfst nicht“, „du musst dann sagen“, „Noch eine Bitte und es ist wirklich wichtig, dass Du das auch so exekutierst “, „Bitte achte darauf, dass Du das o.a. durchziehst. Das verursacht sonst anderenfalls erheblich Sand im Getriebe und das kann ich jetzt nicht gebrauchen“
2) Kenne mögliche Gefahren deines Projektes und neutralisiere diese.
Ködern sie Politker mit lukrativen Jobs in der Privatwirtschaft und signalisiere ‚Entgegenkommen‘ bei den Positionen deiner Gegner. Punkt 4 in seiner To-Do Liste für Mappus:
„4. FDP
Die muessen an Bord sein, ohne wenn und aber. So ein Deal ist nicht ganz einfach fuer Ordoliberale, aber mit der Zusage, das Paket mittelfristig wieder an die Boerse zu
platzieren, solltest Du sie ueberzeugen koennen. Pfisterer [Anm. d. Red.:Ernst Pfister (FDP) bis 2011 badenwürttembergischer Wirtschaftsminister] wuerde ich mit zur PK nehmen und ihm ggfalls einen Aufsichtsratsposten bei der X AG in Aussicht stellen. Das nimmt er bestimmt gerne an:-), zumal er aus der Politik ausscheidet“
3) Spin, baby, spin
Kenne Medienmechanismen, nutze Kontakte und verschaff dir Rückendeckung. Die gleiche Nachricht aus verschiedenen Mündern verschafft Glaubwürdigkeit. Rückendeckung aus der Wissenschaft ist dabei elementar und lässt Meinungen zu Fakten werden. Eine wohlwollende Medienresonanz ist insgesamt besonders wichtig und man sollte dabei nichts dem Zufall überlassen. Dazu müssen die großen Leitmedien natürlich mit ins Boot geholt werden. Am besten man engagiert einen PR-Profi. Einige Auszüge aus der Trickkiste des Dirk Notheis:
„Erwin sollte das auch so unterstuetzen und kommunizieren, wenn angesprochen (…)“ [Anm. d. Red.: Erwin Teufel (CDU) bis 2005 MP des Landes BW ]
„Er sollte zumindest in der Argumentation wie oben bei Erwin mit der Presse kommunizieren.“ [Anm. d. Red .: gemeint ist Gerhard Goll (CDU), Politiker, Jurist, Manager und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der EnBW]
„5. Wissenschaft
Kurz vor Bekanntgabe. Du solltest idealerweise einen renomierten Volkswirt aus BW haben, der das ganze gut findet und den die Presse zitieren kann. Er sollte das als „moderne Industriepolitik“ qualifizieren und Dir damit Rueckendeckung von wirtschaftswissenschaftlicher Seite verschaffen. Denke hier evtl. an Professor Franz in Mannheim. Es sollte jemand sein, der Dir einen Gefallen schuldet bzw. den Du gut kennst und dem Du vertrauen kannst.“„Zu der Mitarbeiterversammlung wuerde ich freundliche Jounalisten mitnehmen“
„- Medienberater
Du brauchst fuer die Wirtschaftspresse bundesweit einen top-Medienspinn-Doctor. Wuerde hierzu Hering&Schuppener aus Frankfurt, Herrn Alexander Geiser, nehmen. Ist mit Abstand der Beste fuer M&A Situationen. Er wird den richtigen Spinn bei FAZ, Handelsbiatt, FTD etc erzeugen und Dich aufs Titelblatt bringen“
4) Absicherung durch Anwälte
Anwaltskanzleien sind wichtiger Bestandteil von Lobby-Strategien. Sie helfen bei Rechtsauslegung, selbst wenn diese sich nachträglich als falsch herausstellt. Notheis kennt die richtigen Leute:
„Welche Berater werden zur Umsetzung benoetigt?
– Anwaltskanzlei
Sollte verschwiegen sein und aus dem Laendle kommen. Mein Vorschlag waere GleisLutz, Herr Dr. Schockenhoff. Vorteil: verschwiegen und gut, Nachteil: Bruder von Schocki und ggfalls durch Presse kritisierbar. Wuerde ihn trotzdem nehmen. Du solltest ihn auch zu dem Geheim-Treffen mit den Landraeten der O mitnehmen.“ [O = OEW, der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke, der zweite EnBW-Großaktionär]
5) Kontakt zu den höchsten politischen Kreisen ist der Trumpf im Ärmel.
„7. Angela M
Kurz davor [kontaktieren]. Sie ueber Deal und Intention informieren und um positive Begleitung bitten. Insbesondere was den Termin bei Nicolas S anbetrifft “„Du solltest ihn dann separat anrufen und darum bitten, dass er das Meeting mit Sarko organisiert. Oder Du fragst Mutti, ob sie das arrangieren kann. Waere dann Mittwoch, 8.12.
Bis spaeter, 19 Dirk“ [Anm. d. Red.: gemeint sind Sarkozy und Merkel]
An den Frankreich-Chef von Morgan Stanley René Proglio schreibt Notheis:
„this is not a fair play anymore. Cfo has agreed on the deal: „we have a deal“ he said tonight. If the prime minister realizes that games are played here, I can guarantee for nothing. If he goes bozo he might even make this all public and you can be asured that Angela Merkel will put a call into the Elysee. (…)
René Proglio ist der Zwillingsbruder des EdF-Chefs Henri Proglio – auch auf dieser Seite helfen also enge informelle Kontakte.
6) Priviligierte Zugänge zur Politik müssen verteidigt werden
Konkurrenz hemmt bekanntermaßen das eigene Geschäft. Mappus sollte sich voll und ganz auf seinen persönlichen Berater Notheis verlassen und keine unabhängige Prüfung veranlassen.
„Noch eine Bitte und es ist wirklich wichtig, dass Du das auch so exekutierst:
Du wirst Anrufe von zahlreichen Banken bekommen,Mangold (fuer Rotschild)
Spaeth (fuer Merril Lynch)
Ackermann u.a.Ist ploetzlich deren bester Freund! Sie werden Dich draengen Ihnen ein Mandat zu
geben und werden anbieten eine „Fairness Opinion“ sogar umsonst (!) zu machen (damit sie sogenannten „league table credit“ bekommen). Du musst das alles ablehnen (!!) und sagen, dass Du bereits vollstaendig beratungstechnisch aufgestellt bist. Die Landesbank koordiniert die Anleihe und Du verweist die Herren auf die LBBW/Vetter bezueglich der Anleihe. Sag denen zusaetzlich, dass Du etwas tun wirst, dass Sie spaeter zu dem Kreis der moeglichen Banken gehoeren werden, wenn es um die Platzierung der Aktien geht, ohne ihnen natuerlich eine feste Garantie dafuer zu geben.Bitte achte darauf, dass Du das o.a. durchziehst. Das verursacht sonst anderenfalls
erheblich Sand im Getriebe und das kann ich jetzt nicht gebrauchen ..Danke u bis morgen abend,
Lg Dirk“
Das Zitat zeigt auch, wie wichtig gut vernetzte Topmanager und Politiker als Türöffner für Unternehmen sind. Für die Investmentbank Rothschild prophezeite Notheis einen Anruf vom deutschen Manager Klaus Mangold, Co-Chairman der deutschen Dependance bei Rothschild, der u.a. bei Quelle Schickedanz AG & Co., Daimler Benz AG, TUI, sowie für den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und den BDI tätig war, bzw. tätig ist. Merrill Lynch kann auf den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) zurückgreifen, seit 2003 Deutschland Chef und später Senior Advisor der Investmentbank.
7) Ein guter Deal – für wen?
Gegenüber dem Frankreich-Chef von Morgan Stanley René Proglio (Zwillingsbruder des EdF-Chefs Henri Proglio) lässt Notheis durchblicken, dass er sich des überhöhten Kaufpreises durchaus bewusst ist.
„Your brother has allready agreed the deal at 4O€, which is more than rich as we know.“ [Anm. d. Red.:Am Ende zahlte Baden-Württemberg sogar 41,50€ pro Aktie]
Erst Einflussnahme, jetzt Ermittlungen
Wie sorge ich dafür, dass die Interessen meines Unternehmens bevorzugt behandelt werden? Wie schaffe ich Vorteile für mein Unternehmen und für mich selbst? Man nutzt die Politik und spannt sie vor seinen Karren.
Der E-Mailverkehr von Dirk Notheis und Stefan Mappus zeigt in erschreckender Manier, wie politische Einflussnahme in der Realität ablaufen kann. Morgan Stanley und Notheis konnten sich über eine satte Vermittlungsgebühr freuen; der französische Verkäufer der EnBW-Anteile EdF konnte ebenfalls ein gutes Geschäft verbuchen (zu 41,50€/Aktie statt der anfänglichen 39,9€/Aktie) und Stefan Mappus erhoffte sich einen politischen Erfolg für den Wahlkampf.
Doch die Rechnung geht auf Kosten der Allgemeinheit und des Steuerzahlers. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Stefan Mappus und den mittlerweile von seinem Posten zurückgetretenen Dirk Notheis, wegen des Verdachts der Untreue und der Beihilfe zur Untreue.
Blaupause für Strategien des Lobbyismus
An diesem Skandal lassen sich exemplarisch einige Muster des Lobbyismus und der Kungelei von Politik und Wirtschaft aufzeigen. Zunächst ist der persönliche Kontakt, im besten Fall sogar eine persönliche Freundschaft zwischen Lobbyisten und Politikern, enorm wichtig. Aufgrund ihrer Kontakte und Netzwerke in der politischen Landschaft sind ehemalige Politiker für Lobbyistenposten in Unternehmen und Verbänden begehrt. Persönlicher Kontakt schafft Vertrauen und erleichtert so die Einflussnahme. Ehemalige Politiker agieren dann als Türöffner zu den politischen Entscheidungsträgern. Die Aussicht auf gut bezahlte Jobs und Aufsichtsratsposten in der Privatwirtschaft, nach Beendigung der aktiven Politikerkarriere, ist ein verbreitetes Mittel des Lobbyismus. Diese Seitenwechsel kratzen an der Unabhängigkeit von politischen Entscheidungsträgern. Des Weiteren sind Medien und öffentliche Wahrnehmung für den Erfolg oder Misserfolg eines Politikers von großer Bedeutung. Ohne die gezielte Einflussnahme auf Medien und Meinungen durch Spin-Doktoren und nahestehende Experten aus Wissenschaft und Denkfabriken wäre der Erfolg von Lobbymaßnahmen nicht in dem Maße möglich.
Der Fall wirft auch ein schlechtes Licht auf die ehemaligen baden-württembergischen Regierungsparteien CDU und FDP und sogar hinauf bis zu Angela Merkel. Notheis und Mappus haben zwar das Parlament und auch andere Regierungsmitglieder bis kurz vor der öffentlichen Ankündigung des Deals umgangen. Aber sie konnten das nur im Vertrauen darauf tun, dass im entscheidenden Moment alle mitmachen und nicht aufbegehren würden. Und damit haben sie Recht behalten. Erst nachdem sich der Kauf der EnBW-Anteile zu einem großen Skandal entwickelt hat, gibt es Absatzbewegungen und Kritik.
Insgesamt ist der undemokratische EnBW-Rückkauf und die Einflussnahme von Notheis auf Mappus als Ministerpräsidenten besorgniserregend. Möglicherweise war das Verhältnis von Notheis zu Mappus außergewöhnlich. Die Kungelei und die grundlegenden Mechanismen des Lobbyismus sind jedoch keine Ausnahme.
Weitere Information zur EnBW-Affäre um Stefan Mappus und Dirk Notheis:
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