Zum zweiten Geburtstag des EU-Transparenzregisters morgen zieht LobbyControl Bilanz: Ob Goldman Sachs oder Amazon, auch nach zwei Jahren bleibt eine kritische Zahl an Lobbyisten dem Register fern. Und es steckt immer noch voller unvollständiger und fragwürdiger Daten. Diese Ergebnisse präsentieren wir heute in unserer Studie: „Rescue the Register! How to make EU lobby transparency credible and reliable“, die wir gemeinsam mit unserem europäischen Netzwerk „Allianz für Lobbytransparenz und ethische Regeln“ (ALTER-EU) erstellt haben. Zeit für EU-Kommission und Parlament, im anstehenden Überprüfungsprozess endlich den Schritt zu einem echten verpflichtenden Lobbyregister zu machen.
Mehr als hundert große Unternehmen fehlen
Wie die Studie zeigt, haben sich immer noch mehr als 100 große Unternehmen, die Lobbyarbeit in Brüssel betreiben, nicht eingetragen. Darunter Goldman Sachs, SAP, Apple oder Amazon- letzteres Unternehmen aktiv in der Lobbyschlacht um die Datenschutzverordnung engagiert, wie sich bei Lobbyplag nachvollziehen lässt. Auch prominente Lobbyberatungen wie EUTOP International oder Ketchum fehlen immer noch. Auffällig ist auch das Fehlen der Agentur European Communications (mit Büros in München und Brüssel). Sie gehört Ingo Friedrich, einem früheren Mitglied des Europäischen Parlaments und Berichterstatter für den Bericht des Eurpäischen Parlaments zur Europäischen Transparenzinitiative 2008.
Anwaltskanzleien bleiben dem Register fern oder machen keine Angaben über ihre Kunden
Anwaltskanzleien tragen sich weiterhin nicht in das Register ein – auch wenn sie eindeutig Lobbyarbeit für ihre Kunden leisten. Es fehlen unter anderem die großen Agenturen Freshfields Bruckhaus Deringer, Wilmer Hale, DLA Piper oder Clifford Chance. Letztere hat den ehemaligen Generaldirektor des juristischen Diensts der EU-Kommission, Michel Petite engagiert. Dieser fiel im letzten Jahr auf, weil er für den Kunden Philip Morris Gespräche mit seiner ehemaligen Abteilung über die Tabakproduktrichtlinie führte – über „juristische Fragen“, wie die EU-Kommission es ausdrückte. Ohne Zweifel hat es sich hier unseres Erachtens um eine Lobbytätigkeit gehandelt.
Andere Kanzleien sind zwar im Register – geben aber keine Auskünfte über ihre Kunden, für die sie Lobbyarbeit leisten. Dies müssten sie aber, ebenso wie Lobbyberatungen diese Angabe machen müssen. Die Kanzlei Linklaters LLP beispielsweise schreibt in ihren Eintrag bei der Abfrage, wo sie ihre Kunden angeben sollen: „Eigene Aktivität ohne Kundenmandat“. Auf der Webseite von Linklaters LLP ist hingegen zu lesen, dass „ihre Beziehungen zu öffentlichen Stellen es Kunden ermöglichen, von direkten Zugängen zu Entscheidungsträgern zu profitieren.“ Zwei weitere Kanzleien, Reed Smith LLP und White and Case, sind wieder aus dem Register verschwunden, weil sie sich geweigert haben, ihre Kunden anzugeben.
Bei der Auswertung des Registers im vergangenen Jahr zeigte die EU-Kommission Verständnis für die Kanzleien. Sie brachte die Idee auf, im Einzelfall Ausnahmen zuzulassen für Unternehmen, die einen besonderen Vertrauensschutz für ihre Kunden beanspruchen. Der Vertrauensschutz ist ein wichtiges Rechtsprinzip – darf aber nicht für den Schutz von Kunden missbraucht werden, die Lobbydienstleistungen in Anspruch nehmen. Damit würde die Idee eines Lobbyregisters, aufzuzeigen, wer in welchem Auftrag für wen Lobbyarbeit betreibt, unterminiert.
Fragwürdige Angaben
Wenn man aus dem Register ein Ranking der 20 Unternehmen zieht, die am meisten für Lobbyarbeit in Brüssel ausgeben, findet sich eine mittelständische franzöische Versicherungsfirma an erster Stelle, deren Lobbybudget angeblich 55 Millionen Euro im Jahr 2011 betrug (zum Vergleich: Die Deutsche Bank beispielsweise, ein durchaus aktives Unternehmen in Brüssel, gibt knapp zwei Millionen Euro für 2012 an).
An zweiter Stelle folgen ein Hersteller von Strohpappe und ein Produzent von Bio-Babybekleidung mit 40 Millionen bzw. 20 Millionen Euro Lobbybudget. Das dürften sicherlich Fehler sein, aber warum sind sie dem Registersekretariat nicht aufgefallen? Andererseits gibt ein Unternehmen wie Ebay an, mit 50.000 Euro Lobbybudget 5 Lobbyisten zu beschäftigen. Der in Brüssel äußerst aktive Dachverband für Unternehmen aus dem Biotechnologiesektor, EuropaBio, gibt ein Budget von 250.000 Euro bei 8 Lobbyisten an. Diese Daten zeigen, dass sich aus den Angaben des Registers überhaupt keine verlässlichen Fakten zur Lobbyarbeit der Registrierten ablesen lassen.
Der zuständige Kommissar Maroš Šef?ovi? hatte bei der Einführung des gemeinsamen Transparenzregisters ein „de-facto-verpflichtendes Register“ versprochen, das alle Akteure enthalte, die an der politischen Debatte in der EU teilnehmen wollen. Davon sind wir Lichtjahre entfernt – daher halten wir den freiwilligen Ansatz für gescheitert.
Was nun passieren soll
EU-Parlament und EU-Kommission hatten mit der Einführung des gemeinsamen Registers vereinbart, nach zwei Jahren zu überprüfen, ob weitere Änderungen am Register nötig sind. Das Europäische Parlament hat sich damals klar positioniert, dass es weiterhin ein verpflichtendes Register will. Die EU-Kommission hält aber am freiwilligen Ansatz fest. Eines ihrer Hauptargumente war bisher die fehlende rechtliche Grundlage für ein solches Register in den EU-Verträgen. Wir haben aber am vergangenen Montag mit der Veröffentlichung eines neuen Rechtsgutachtens aufgezeigt, dass es diese Grundlage sehr wohl gibt.
In den kommenden Monaten müssen Kommission und Parlament gemeinsam darüber entscheiden, welche Änderungen am Register vorzunehmen sind. Unsere zentralen Forderungen und Empfehlungen:
- der Übergang von einem freiwilligen zu einem verpflichtenden Register,
- Lobbyfirmen und Anwaltskanzleien müssen ihre Lobbykunden anhand ihrer Auftragshöhen in Bandbreiten von 10.000 Euro veröffentlichen,
- das Sekretariat des Registers muss die Einträge besser kontrollieren, dazu gehören regelmäßige Stichproben und eine Überprüfung der neuen Einträge auf Plausibilität,
- effektive Durchsetzung der Regeln des Registers,
- Angabe aller Finanzierungsquellen: Alle Akteure sollten jede Art der Finanzierung offenlegen müssen, seien dies öffentliche Gelder, Unternehmensgelder oder andere (mit Ausnahme privater Spenden unterhalb einer festzulegenden Schwelle),
- nicht nur die Lobbyisten mit Zugangspässen zum Parlament müssen mit Namen im Register stehen, sondern alle. Wenn Lobbyisten zuvor in öffentlichen Stellen gearbeitet haben, muss dies vermerkt werden
Die gesamte Studie finden Sie hier.
Einen anschaulichen Einstieg in den Brüsseler Lobbydschungel bietet unser lobbykritischer Stadtführer LobbyPlanet Brüssel.
Fehler im Anhang:
Bei der Recherche für die Liste der nicht registrierten Lobbygruppen (S.7 in unserer Studie) sind uns bedauerlicherweise Fehler unterlaufen: Wir haben die „Confederations of Danish Industries“ als nicht registriert aufgezählt, tatsächlich ist sie aber seit 2008 registriert. Ebenfalls bereits registriert ist das „Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.“, General Motors (registriert als Adam Opel) und WINGAS (registriert als Wintershall). Zudem ist in Anhang 2 „Anna Macdougald EU Public Affairs“ verzeichnet, obwohl hier keine Lobbyaktivitäten mehr vorliegen.
In dem Bericht wurden insgesamt 157 Unternehmen und Lobbyfirmen aufgezählt, die in dem freiwilligen EU Transparenzregister fehlen, obwohl sie aktiv auf EU-Politik Einfluss nehmen (Anhang 1 und 2). 93 Firmen und Verbände wurden zudem entsprechend ihrer deklarierten Lobbyausgaben von über 1 Million Euro aufgelistet (Anhang 3, basierend auf den Daten der holländischen Website Sargasso, wie im Anhang erwähnt). Beispiele aus diesen Anhängen wurden im Hauptteil des Berichtes angewandt. Die 5 angemerkten Fehler wurden inzwischen korrigiert.
Obwohl wir uns für diese Fehler entschuldigen, merken wir an dass sie keineswegs die Schlussfolgerungen des Reports beeinträchtigen, vor allem den Aufruf für eine grundlegende Verbesserung der EU Lobbytransparenz.
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