Handelspolitik

Freihandel für Unternehmen, Intransparenz für die Öffentlichkeit

Mit einem neuen Abkommen zwischen der EU und den USA soll der größte Handelsraum der Welt entstehen. Bisher dominieren Unternehmensinteressen die Verhandlungen. Selbst führende Verhandlungsteilnehmer der USA und der EU halten mehr Transparenz für notwendig. Zivilgesellschaftliche Akteure wurden bisher unzureichend beteiligt.
von 1. August 2013

Mit einem neuen Abkommen zwischen der EU und den USA soll der größte Handelsraum der Welt entstehen. Bisher dominieren Unternehmensinteressen die Verhandlungen. Das geplante Handelsabkommen TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership, soll jedem Bürger jährlich 500 Euro mehr Einkommen generieren, jedoch sind die sozialen und ökologischen Kosten unbekannt. Selbst führende Verhandlungsteilnehmer der USA und der EU halten mehr Transparenz für notwendig. Zivilgesellschaftliche Akteure wurden bisher unzureichend beteiligt. Gleiche Beteiligung aller Betroffenen und mehr Transparenz kann die Dominanz von Unternehmensinteressen reduzieren.

Freihandel als Antwort auf die Finanzkrise?

President of the European Council

Pressekonferenz am G8 Gipfel in Lough Erne, Juni 2013

Seit über 10 Jahren laufen Verhandlungen über ein weltweites Freihandelsabkommen in der Welthandelsorganisation WTO. Da dieser Prozess kaum Fortschritte macht, hat die Europäische Union begonnen, bilaterale Handelsverträge zu schließen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung sieht in Handelserleichterungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten einen hilfreichen Wachstumsimpuls als eine Antwort auf die Folgen der Finanzkrise.

Beim EU-USA-Gipfel im November 2011 wurde einer vorbereitenden Arbeitsgruppe folgende Aufgabe gestellt: „to identify policies and measures to increase U.S.-E.U. trade and investment to support mutually beneficial job creation, economic growth, and international competitiveness” (EU-USA Gipfel 2011)

Unternehmenslobbyisten sehr aktiv

Lobbyverbände fordern seit Jahrzehnten eine transatlantisches Freihandelszone (Marshall 2013). Unternehmensnahe Denkfabriken wie der Atlantic Council hatten bereits in ihrer ersten Publikation „Building the American-European Market“ im Jahre 1967 einen transatlantischen Markt vorgeschlagen. 2004 wurde dies z.B. mit dem Bericht „The Transatlantic Economy in 2020: A Partnership for the Future?“ wieder bestärkt.

Der Start der TIPP-Verhandlungen wurde in Kooperation mit Unternehmenslobbyisten vorbereitet. Die USA und die EU beauftragten das Beratungsgremium, den Transatlantic Economic Council (TEC), eine Arbeitsgruppe zu organisieren. Die „High-Level Working Group on Jobs and Growth“ wurde zwar von den Handelsbeauftragten Ron Kirk und Karel De Gucht geleitet, zu den Mitgliedern des TEC gehören aber hauptsächlich Unternehmenslobbys wie Business Europe, der Transatlantic Business Dialogue (TABD), der oben erwähnte Atlantic Council oder die Bertelsmann-Stiftung. Eine Liste der Mitglieder wurde erst auf mehrfache Anfrage von Nichtregierungsorganisationen wie Corporate Europe Observatory oder durch Gruppen aus der USA bekannt.

Politischer Prozess stark intransparent und asymmetrisch

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz kritisiert in der englischen Tageszeitung The Guardian (5. Juli 2013) mit „So called free trade“ den Verhandlungsprozess: „Es muss eine Selbstverpflichtung zur Transparenz geben. Jene, die mit den Freihandelsverhandlungen beauftragt sind, sollten vorgewarnt sein [dass deswegen die Verhandlungen scheitern könnten].“ (eigenen Übersetzung: there must be a commitment to transparency. Those engaging in these trade negotiations should be forewarned).

In einer Anhörung im Europaparlament setzt sich auch William Kennard, der US-Botschafter in der EU für mehr Transparenz ein. „Wir haben alle die schmerzhaften Lehren aus ACTA und PROTECT IP Act in beiden Parlementen [EU und USA] durchlebt.“ (We have all lived the painful lessons of [the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA)] in this parliament and [the Stop Online Piracy Act] and [PROTECT IP Act] in the U.S. Congress). Ignacio Garcia Bercero, der Verhandlungsführer der EU in den TTIP-Gesprächen, hat Herrn Kennard in der Forderung nach mehr Transparenz und Beteiligung aller interessierten Gruppen zugestimmt. (Inside U.S. Trade 21. Juni 2013)

Seitdem gibt es Anhörungen mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft, jedoch bleiben die privilegierten Informations- und Beratungszugänge der Industrielobbyisten bestehen. Während US-Lobbyisten ihre Aktivitäten vierteljährlich verpflichtend berichten müssen, meiden viele Lobbyisten das freiwillige Register der EU. Einige Dokumente werden öffentlich, aber zahlreiches Material bleibt geheim. Die Eingaben der Industrie an die High-level working group wurden öffentlich gemacht. Auch die EU-Kommission veröffentlicht einzelne Dokumente wie ihre TTIP-Verhandlungsposition, aber erst nach dem ersten Verhandlungstreffen. Entwürfe des Verhandlungsmandats kamen zuerst durch Nichtregierungsorganisationen an die Öffentlichkeit. Andere Dokumente bleiben oft lange geheim. Nichtregierungsorganisationen wie CEO, Power-Shift und Netzwerke (S2B) kritisieren daher zurecht die Verhandlungen als Intransparenz und stellen eine fehlende demokratische Beteiligung fest. Eine Übersicht zu den kritischen zivilgesellschaftlichen Positionen hat das Netzwerk Seattle2bruessels zusammengestellt.

Die Folgen sind bisher unklar

Die inhaltliche Bewertung des Abkommens wird auch sehr einseitig durchgeführt. Die ökonomischen Gewinne und Kosten wurden durch zahlreiche Gutachten ermittelt. Die Europäische Kommission hat ein Studie vergeben, indem von einem ökonomischer Vorteil von 500 Euro für jeden EU-Bürger die Rede ist, falls die besten Ergebnisse eintreten. Auch unternehmensnahe Denkfabriken wie die Bertelsmann-Stiftung haben Studien finanziert, die die ökonomischen Gewinne herausstellen. Die Frage nach sozialen oder ökologischen Folgen wird bisher kaum gestellt. Die Studie der EU spricht auf nur wenigen Seiten davon und stellt Hypothesen auf. Eine Abschätzung der ökologischen und sozialen Folgen findet erst jetzt – nach Beginn der Verhandlungen – statt.

Zivilgesellschaftliche Akteure haben große Schwierigkeiten, klare Aussagen über die Folgen des Abkommens zu machen, da die Themen von Landwirtschaft, gentechnisch veränderten Organismen, Finanzprodukten, Datenschutz, Fracking bis hin zur Buchpreisbindung und Bildung reichen. Diese Ungewissheit und Erfahrungen aus anderen Freihandelsverträgen begründen berechtigte Ängste. Eine kabarettistische Darstellung der möglichen Folgen gibt z.B. das TV-Magazin Quer.

Klar ist, dass die Zölle zwischen der EU und den USA bereits heute recht gering sind. In dem Abkommen wird es deshalb stark um sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse gehen, wie unterschiedliche Standards oder Verfahren für den Marktzugang von Unternehmen. Eine Vereinheitlichung oder Harmonisierung zwischen den EU und den USA kann aber bedeuten, dass es weniger Eingriffsmöglichkeiten oder Kontrollen für Bürgerinnen und Bürger gibt, weil z.B. US-Normen einfach übernommen werden. Die Gefahr besteht, dass das Abkommen einseitig die Rechte von Unternehmen und Investoren stärkt und demokratische Setzung von beispielsweise ökologischen oder sozialen Standards erschwert. Findet eine Einigung auf niedrige Standards der USA bei gentechnisch veränderte Lebensmittel statt? Will die EU die niedrigen Standards bei Banken und Finanzmärkten auf die USA übertragen? Auch die Frage des Klageweges bei Verstößen gegen das Handelsabkommen ist umstritten. Handelsverträge schaffen oft einen neuen Rechtsweg außerhalb von normalen Gerichten. Eine Studie von CEO und TNI belegt, dass private Streitschlichtungsverfahren in privaten Institutionen Unternehmensinteressen bevorzugt und zivilgesellschaftliche Kontrolle stark erschwert.

Transparenz und demokratische Beteiligung nötig

Da der Verhandlungsprozess Vertrauen zwischen den Parteien benötigt, berufen sich viele Delegationen auf Geheimhaltung und Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte mit fehlender Transparenz und öffentlichem Protesten haben aber die Notwendigkeit demokratischer Beteiligung herausgestellt. Internationale Organisationen wie die Handelsorganisation der Entwicklungsländer, die UNCTAD, stellen im Rahmen ihrer Tätigkeit Transparenz und Partizipation der Bürger und Interessengruppen als Grundprinzip auf (vgl. Charnovitz 2004: Transparency and Participation in the WTO, Rutgers Law Review).

Für internationale Politik sollte daher ähnliches wie auf nationaler Ebene gelten. Demokratie und Transparenz sind Grundlagen. Dominanz einzelner Lobbygruppen widerspricht diesen Prinzipien. Arbeit, Soziales und Ökologie sollten im Falle TTIP eine ähnliche Bedeutung haben wie unternehmerische Ziele. Die US-Senatorin Elisabeth Warren kommentiert die TTIP-Verhandlungen so: “ Ich begrüße die Bereitschaft des US-Außenhandelsministeriums verschiedene Dokumente Kongressabgeordneten zugänglich zu machen. Ich glaube nicht, dass dies ein wirklicher Ersatz für öffentliche Transparenz ist. Wenn Transparenz zu breitem öffentlichen Widerstand gegen ein Handelsabkommen führt, dann sollte dieses Handelsabkommen nicht Politik der Vereinigten Staaten sein.“ (eigene Übersetzung) Gleiches sollte sinngemäß auch für die Bundesrepublik oder andere Mitgliedsländer der Europäischen Union gelten.

Weiterführende Informationen:

 

Bild: EU-US Pressekonferenz: Herman Van Rompuy, Präsident des Europarates und Barack Obama, Präsident der USA. Quelle: President of the European Council Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

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