Unsere Beschwerde gegen die Berufung eines Lobbyisten und Seitenwechslers in das Ethik-Komittee der EU-Kommission hatte Erfolg. Michel Petite, der als Anwalt unter anderem für Philip Morris arbeitete und auch in den Dalligate-Skandal verstrickt war, hat das Ethik-Komitee der EU-Kommission verlassen. Die EU-Kommission spricht davon, er sei zurückgetreten. Der reale Hintergrund war, dass die bevorstehende Entscheidung des Europäischen Ombudsmans zu unseren Gunsten die EU-Kommission zum Handeln gezwungen hat. EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly hatte die EU-Kommission aufgefordert, den Posten neu zu besetzen.
Im Februar diesen Jahres hatten wir gegen Petites Berufung in das Ethikgremium Beschwerde eingelegt, zusammen mit Corporate Europe Observatory und Corporate Accountability International. Das Ethik-Komitee prüft unter anderem, ob es bei Seitenwechseln ausscheidender EU-Kommissare zu Interessenkonflikten kommt. In diesem Fall kann das Komitee Seitenwechsel unterbinden oder nur mit Auflagen genehmigen. Michel Petite war eine denkbar schlechte Besetzung für diese Aufgabe.
Der Bock als Gärtner
Petite war bis 2007 Generaldirektor des Juristischen Dienstes der EU-Kommission. Anschließend wechselte er selbst die Seiten und heuerte bei der internationalen Anwaltskanzlei Clifford Chance an. Dort war er dann unter anderem für die Tabakindustrie tätig und traf sich in dieser Rolle mit seinen alten Kollegen beim Juristischen Dienst, um über „juristische Fragen“ der aktuellen Tabakproduktrichtlinie zu sprechen – im Auftrag von Philip Morris. Üblicherweise empfängt der Juristische Dienst keine Interessenvertreter – beim alten Chef machte man wohl eine Ausnahme. Petite nutzte darüber hinaus seine Kontakte zur Kommission für das Tabakunternehen Swedish Match, das in der Affäre rund um den damaligen Gesundheitskommissar John Dalli eine zentrale Rolle spielte.
Trotz dieser Vorgeschichte wurde Petite Ende 2012 für weitere drei Jahre zum Vorsitzenden des Ethik-Komittee ernannt. Unser Protest bei Kommissionspräsident Barroso blieb zunächst ohne Erfolg. Aber die Europäische Ombudsfrau Emily O’Reilly teilt offensichtlich unsere Kritik an Petite. Der Presse gegenüber sagte sie heute: „Es war schwer zu argumentieren, dass die klientenbezogenen Aktivitäten des ehemaligen Vorsitzenden [also Petites] keinen potentiellen Interessenkonflikt darstellten.“ Sie freue sie, dass die Kommission ihrer Empfehlung gefolgt sei, schließlich sei die Glaubwürdigkeit des Ethik-Komitees in Gefahr gewesen. In Kürze wird sie den endgültigen Entscheid über unsere Beschwerde veröffentlichen.
Die Unabhängigkeit des Ethik-Komittees stärken
Mit dem Rückzug Petites kamen EU-Kommission und Petite der sich abzeichnenden Kritik zuvor. Wir freuen uns über diesen Erfolg, der zugleich eine Ohrfeige für Kommissionspräsident Barroso ist. Sowohl in der Aufarbeitung des Dalli-Skandals als auch bei der Überprüfung des freiwilligen EU-Lobbyregisters hat sich die EU-Kommission zu wenig für Transparenz und ethische Regeln eingesetzt.
Die EU-Kommission muss jetzt über die konkrete Personalie hinaus ihren Umgang mit Seitenwechseln und Interessenkonflikten auf den Prüfstand stellen. Das Ethik-Komittee braucht mehr Unabhängigkeit: es sollte nur mit unabhängigen Experten besetzt werden, die früher nicht selbst bei der EU-Kommission gearbeitet haben.
Aktualisierung, 20.12.: die endgültige Entscheidung der Ombudsfrau
Inzwischen liegt die endgültige Entscheidung der Ombudsfrau vor sowie ihr Brief an den Maroš Šef?ovi?, den für Verwaltung zuständigen Vizepräsidenten der EU-Kommission. In diesem Brief vom 26. November 2013 nimmt sie die Argumentation der EU-Kommission auseinander und fordert den Austausch von Michel Petite. Dieser Brief war der Auslöser für den „Rücktritt“ von Michel Petite. Er ist lesenswert und eine deutliche Kritik an der EU-Kommission.
Relevant für zukünftige Fälle ist ihre deutliche und strikte Darstellung, wo bereits ein Interessenkonflikt beginnt:
„The Ombudsman underlines, in this respect, that the concept of a conflict of interests seeks to ensure that no situation arises where a person could be influenced by private interests when carrying out a public function. It is the mere possibility of such influence occurring which the concept of a conflict of interest seeks to address. As such, if a person has a role representing private interests that could influence the manner in which he exercises his role on the Ad hoc Ethical Committee, that person should not be appointed to the Ad hoc Ethical Committee.“ (Absatz 66 der Entscheidung)
In einem kurzen Briefing haben wir die Kernpunkte der Ombudsfrau-Entscheidung im Fall Petite zusammengefasst.
Weitere Informationen
Unsere Pressemitteilung (gemeinsam mit Corporate Europe Observatory und Corporate Accountability International, daher bisher leider nur auf Englisch): NGOS welcome replacement of controversial Michel Petite
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