In Brüssel gehört die Lobby der Automobilindustrie traditionell zu den mächtigsten Akteuren. Dabei spielen insbesondere die deutschen Konzerne als größte europäische Automobilhersteller eine herausragende Rolle. Bereits seit Jahren versuchen VW, BMW und Daimler strengere Umweltstandards zu verhindern. Das gilt gerade auch für CO2-Emissionen und damit verbundene Testverfahren.
Immense Lobbyausgaben deutscher Automobilkonzerne
2014 gaben Automobilkonzerne und ihre Verbände mehr als 18 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus. Das Online-Recherchetool LobbyFacts.eu zeigt, dass die Top 3 nach Lobbyausgaben drei wohlbekannte deutsche Unternehmen sind: Volkswagen, BMW und Daimler. VW gibt mit Abstand am meisten Geld für Lobbyarbeit aus: 2014 waren dies fast 3,5 Millionen Euro, fast fünfmal soviel wie der größte nicht-deutsche Autokonzern Fiat Chrysler (700.000 Euro). Die Lobbyausgaben der drei deutschen Konzerne machen zusammen fast 50 Prozent der Lobbyausgaben aller Autokonzerne in Brüssel aus.
Übergewicht auch beim Personal
Auch bei der Anzahl der Lobbyisten ist VW anderen Automobilkonzernen haushoch überlegen. Während Daimler 14 Angestellte und BMW acht Interessenvertreter in Brüssel hat, verfügt VW über doppelt so viel Personal vor Ort in Brüssel. Insgesamt 43 Personen arbeiten für den Wolfsburger Autobauer in der EU-Hauptstadt, das ist etwa ein Drittel der Lobbyisten aller Autokonzerne in Brüssel. Zum Vergleich: Das Automobilunternehmen mit den größten personellen Ressourcen, das nicht aus Deutschland stammt, ist Honda mit insgesamt zehn Lobbyisten.
Die Macht der Verbände
Auch die Verbände der Automobilindustrie haben in Brüssel viel Gewicht. Allein der europäische Automobilverband ACEA verfügt über 16 Lobbyisten und ein Budget von 2,5 Millionen Euro. ACEA vertritt alle Marken, die derzeit in den VW Skandal verwickelt sind, darunter auch Audi und Skoda.
Das Gewicht der deutschen Automobilindustrie wird auch hier deutlich: Der deutsche Verband VDA gibt mit 2,5 Millionen Euro genauso viel Geld für Lobbyarbeit aus wie ACEA. Zudem hat der VDA doppelt so viele Lobbyisten vor Ort (31). Die deutsche Autoindustrie wird ferner noch über den größten europäischen Arbeitgeberverband BusinessEurope repräsentiert sowie über den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der ebenfalls in Brüssel mit einem eigenen Büro vertreten ist.
Deutsche Autohersteller treffen häufig EU-Kommission
Entsprechend ihrer Lobbyausgaben in Brüssel haben die deutschen Autohersteller auch besonders guten Zugang zur EU-Kommission. Eine Auswertung der Treffen mit EU-Kommissaren und ihren Kabinetten zeigt, dass die EU-Kommission sich in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit mehr als 20 mal mit Vertretern der Autobauer getroffen hat. Drei Viertel dieser Treffen fanden mit Lobbyisten deutscher Unternehmen statt. Auch unterhalb der Kabinettsebene gab es zahlreiche Treffen mit der Autoindustrie. Leider gibt es hier wenig Transparenz, sodass weitere Aussagen dazu nicht möglich sind.
Autoindustrie berät EU-Kommission
Auch in den Beratergruppen der EU-Kommission, den sogenannten “Expertengruppen”, sitzen zahlreiche Lobbyisten der Automobilindustrie. Innerhalb der Beratergruppen werden oftmals Gesetzgebungsprozesse auf EU-Ebene vorbereitet. VW ist in fünf dieser Beratergruppen vertreten, oftmals gemeinsam mit weiteren Lobbyisten der Autoindustrie, darunter die “Working group on Motor Vehicles“ und das „iMobility Forum“, in der auch Daimler und ACEA präsent sind. Der europäische Automobilverband ACEA sitzt auch in der Beratergruppe, die sich mit Luftverschmutzungsfragen beschäftigt.
EU-Parlament: Offene Ohren für die Wünsche der Autohersteller
Auch das EU-Parlament ist in der Vergangenheit offen für die Wünsche der Autoindustrie gewesen. Über die Teilnahme an so genannten „Intergroups“, Austauschforen zwischen EU-Kommission, Abgeordneten und Industrievertretern hat so mancher Änderungsantrag im Interesse der Autoindustrie seinen Weg in die Gesetzgebung gefunden. Dies zeigen auch Untersuchungen unserer Brüsseler Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO). Besonders wichtig ist dafür das Forum für Mobilität und Gesellschaft. Weitere Informationen zu den „Intergroups“ finden Sie in unserer Lobbypedia.
Erfolgsstory: Kooperation zwischen Politik und Automobilobby gegen CO2-Emissionsziele und Testverfahren
Bereits seit Jahrzehnten ist die europäische Automobilindustrie erfolgreich mit ihrer Lobbyarbeit. In den 90er Jahren gelang es ihr, verbindliche CO2-Emmissionsziele zu verhindern. Sie brachte stattdessen ein System der freiwilligen Selbstverpflichtung ein, dass heute als gescheitert gelten kann. Als endlich verbindliche Emissionsziele vereinbart waren, konnten diese wieder stark verwässert werden.
Vor allem hat die Autoindustrie ihre Mitgliedschaft in der CARS21-Beratergruppe der EU-Kommission genutzt, um die Einführung von Emissionsstandards hinauszuzögern. Dies geschah stets mit freundlicher Unterstützung durch die deutsche Bundesregierung. Die deutschen Autobauer konnten auf Kanzlerin Merkel im Ministerrat zählen, wenn es um ihre Interessen ging. Dazu zählt auch die Verzögerung der Einführung von neuen Teststandards, die den jetzigen VW-Skandal hätten verhindern können.
Grundproblem der Machtungleichgewichte in Brüssel
Muss man über den VW Skandal überrascht sein? Warnende Hinweise gab es bereits früh. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen hatten die realitätsfernen Testbedingungen kritisiert und zudem darauf hingewiesen, dass die EU-Kommission und die Deutsche Bundesregierung schon darüber informiert waren, dass es Software zur Manipulation der Testergebnisse gibt. Es ist skandalös und ein Armutszeugnis für die EU und die Bundesregierung, dass erst die Kritik der US-Regulierungsbehörden den VW-Manipulationsskandal aufdeckten.
Der VW-Skandal zeigt darüber hinaus exemplarisch ein Grundproblem der Politik auf: Sie ist zu stark von den Interessen großer Unternehmen beeinflusst. Das gilt sowohl für Brüssel als auch für Berlin. Insbesondere die Macht der deutschen Automobilindustrie ist bislang unangefochten. Dabei ist die immer wieder erfolgte Verzögerung strengerer Standards, ob beim CO2, dem Spritverbrauch oder den Stickoxiden, letztlich auch nicht im Interesse der Industrie, wie die jetztige Situation deutlich zeigt. Die Politik muss sich jetzt einerseits gegen Widerstand aus der Industrie für strenge Standards einsetzen und diese dann auch konsequent durchsetzen. Andererseits muss sie grundsätzlich dafür sorgen, dass der Einfluss von Lobbyisten klaren Regeln und Schranken unterliegt. Andernfalls kommt der nächste “VW-Skandal” bestimmt.
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