Lobbyismus in der EU

Barrosos Wechsel zu Goldman Sachs: Fatales Signal für Europa

Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wechselt zur Investmentbank Goldman Sachs. Der kaltschnäuzige Wechsel zum jetzigen Zeitpunkt ist ein fatales Signal an die europäischen Bürgerinnen und Bürger.
von 11. Juli 2016

Barroso bei Buchveröffentlichung 2009Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wird „Präsident ohne Geschäftsbereich“ und Berater der Investmentbank Goldman Sachs, wie am Freitagnachmittag bekannt wurde. Diesen Wechsel vollzieht er, kurz nachdem seine 18-monatige Rechenschaftspflicht neue Tätigkeiten betreffend gegenüber der EU-Kommission ausgelaufen ist.

Der kaltschnäuzige Wechsel zum jetzigen Zeitpunkt ist ein fatales Signal an die europäischen Bürgerinnen und Bürger. Gerade in Zeiten, in denen die Europäische Union ohnehin mit einer massiven Glaubwürdigkeitskrise zu kämpfen hat, wirkt es wie ein Schlag ins Gesicht, dass Barroso, der immerhin zehn Jahre lang die Geschicke der EU wesentlich mitbestimmt hat, nun seine Kontakte und sein Insiderwissen einer Investmentbank zur Verfügung stellen will.

Ex-Kommissionspräsident beschädigt Glaubwüridkeit der EU-Kommission

Regelmäßig kritisiert LobbyControl Seitenwechsel von Spitzenpolitiker/innen in Lobbyjobs und ist dabei an einige Dreistigkeit gewöhnt. Der Fall Barroso sticht jedoch noch einmal besonders heraus. Zehn Jahre, von 2004 bis 2014, war er selbst EU-Kommissionspräsident. Nach zahlreichen fragwürdigen Seitenwechseln ehemaliger EU-Kommissarinnen und -Kommissare wurde unter ihm die Karenzzeit für scheidende Kommissare verlängert, von damals 12 auf nun 18 Monate. Man könnte davon ausgehen, dass die Glaubwürdigkeit, das Ansehen und das Vertrauen in die Integrität der EU-Kommission jemandem wie Barroso etwas bedeutet.

Tut es aber offenbar nicht. Dieser Wechsel mitten in einer der größten Krisen der EU ist an Kaltschnäuzigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Europäischen Institutionen nicht zu überbieten. Für Goldman Sachs wird Barroso nun Lobbyarbeit machen, damit der „Brexit“ die Bank nicht zu hart trifft: Er werde tun, was er könne, um die negativen Auswirkungen des Brexit auf Goldman Sachs zu verringern, hat er der Financial Times mitgeteilt. Für Goldman Sachs und viele andere Banken geht es um äußerst relevante Fragen, unter anderem darum, ob sie zahlreiche Arbeitsplätze in eine EU-Metropole verlegen müssen, sollte London den Zugang zum Binnenmarkt verlieren. Barroso wird versuchen müssen, direkten Einfluss darauf zu nehmen, was für einen Status Großbritannien gegenüber der EU erhält. Als langjährigem ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten wird man ihm sicherlich gut zuhören.

Goldman Sachs: Beste politische Verbindungen

Kaum eine Bank ist so gut politisch vernetzt wie Goldman Sachs. Lesen Sie dazu das Kapitel über Goldman Sachs in unserem Online Lobbylexikon Lobbypedia. Hier nur ein paar Beispiele: Mario Draghi ist seit dem 1. November 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Von 2002-2005 war er stellvertretender Vorsitzender und Managing Director von Goldman Sachs International und der Bank sicherlich bis heute verbunden. Henry Paulson war US-Finanzminister unter George W. Bush. In seine Amtszeit fielen einige der wichtigsten Bankenrettungsmaßnahmen der USA. Er ist der ehemalige Chef von Goldman Sachs. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi beriet die Bank, genauso wie Mario Monti, ehemaliger EU-Kommissiar und italienischer Ministerpräsident.

Barroso: Fragwürdige Ämter schon ein Jahr nach Ende seiner Amtszeit

Bereits ein Jahr nach Ende seiner Zeit als EU-Kommissionspräsident haben wir Barroso für seine damals neu erworbenen Ehrenämter kritisiert: So ist er etwa Ehrenvorsitzender beim European Business Summit, einer jährlichen Großveranstaltung der EU-Business-Lobby, sowie Mitglied im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Konferenz. Beide Ämter wurden ohne Einschränkung von der EU-Kommission genehmigt. Der Wechsel von Barroso zeigt aufs Neue: Die bestehende Karenzzeit für Kommissare ist deutlich zu kurz. Wir fordern, die Karenzzeit auf drei Jahre auszudehnen. Der Fall zeigt aber auch, dass die Prüfung der neuen Tätigkeiten überhaupt ersteinmal ernsthaft stattfinden muss. Bisher wird fast jede neue Tätigkeit – trotz Interessenkonflikten und anderer Probleme – von dem Kollegium der anderen EU-Kommissare durchgewunken. Das muss sich ändern.

Drei Jahre Karenzzeit – wichtig, aber in diesem Fall nicht genug

Eine dreijähirge Karenzzeit hätte seinen Einfluss auf die EU-Kommission weiter abnehmen lassen und Barosso auf dem Lobbymarkt weniger attraktiv gemacht. Die EU-Kommission sollte jetzt schnell handeln und diese Forderungen endlich umsetzen, um einen weiteren derartig empörenden Seitenwechsel zu verhindern.

Allerdings: Jede noch so umfassende Karenzzeitregel kann und sollte hohe Politiker nicht aus ihrer eigenen Verantwortung entlassen. Aus unserer Sicht hätte Barroso den neuen Job bei Goldman Sachs – Regel hin, Regel her – gar nicht in Betracht ziehen dürfen, zu keinem Zeitpunkt. Als ehemaliger Chef der EU-Kommission wird er nun direkt mächtige Geschäftsinteressen gegenüber der EU-Institution vertreten, die ihm lange unterstand. Als Kommissionspräsident hat er zehn Jahre lang über 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger vertreten und an politischen Entscheidungen mitgewirkt, die weit über die EU hinaus Bedeutung hatten. Die aus dieser Aufgabe erwachsende Verantwortung kann und sollte nicht mit dem Ende der Amtszeit enden. Ein Wechsel in einen Lobbyjob sollte sich schon aus dieser Verantwortlichkeit heraus von selbst verbieten.

Statt nun die negativen Folgen des „Brexit“ für Goldman Sachs – und damit vermutlich auch für andere Finanzdienstleister – abzumildern, sollte ein ehemaliger Kommissionspräsident echte Verantwortung übernehmen und dazu beitragen, die negativen Folgen des Brexit für die europäischen Bürgerinnen und Bürgern und das Projekt Europa insgesamt zu mildern. Mit seinem Wechsel zu Goldman Sachs erreicht Barroso genau das Gegenteil.

Zum Weiterlesen:

  • Unser Kommentar zur Brexit-Debatte
  • Unsere Studie zu den Wechseln der EU-Kommisssare der letzten EU-Kommission und zum Reformbedarf bei den Karenzzeiten

 

Foto: Barroso bei Buchveröffentlichung 2009, European Poeple’s Party, Lizenz: CC BY 2.0.

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