Lobbyismus an Schulen

Kein Lobbyismus im Klassenzimmer: Überraschende Debatte im Bundestag

Erstmals in seiner Geschichte hat der Bundestag auf Antrag der Linksfraktion über Lobbyismus an Schulen diskutiert. Abgeordnete von SPD und Grünen überraschten mit ihren Aussagen.
von 4. Oktober 2016

Erstmals in seiner Geschichte hat der Bundestag auf Antrag der Linksfraktion über Lobbyismus an Schulen diskutiert. Abgeordnete von SPD und Grünen überraschten mit ihren Aussagen.

Seit über fünf Jahren setzen wir uns mit viel Energie gegen Lobbyismus an Schulen ein. Dass das Thema jetzt im Bundestag debattiert wurde, freut uns daher sehr. Denn es ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit. Die Erwartung an die Debatte war trotzdem nicht sehr groß. Denn die Erfahrung zeigt: Lobbyismus an Schulen wird von den Verantwortlichen häufig kleingeredet und die Verantwortung den Schulen zugeschoben.

Überraschende Zustimmung bei Grünen und SPD

Umso mehr überraschten uns die Aussagen von den Grünen und vor allem von der SPD. Deren Abgeordnete Elfi Scho-Antwerpes sah dringenden Handlungsbedarf und forderte eine stärkere Sensibilisierung für das Thema in der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Außerdem forderte sie ein stärkeres Monitoring von Unterrichtsmaterialien.

LobbyControl Aktion vor RWE-Konzernzentrale

„Schulverweis für RWE“ – Aktion von LobbyControl vor der RWE-Konzernzentrale in Essen im Herbst 2015. Foto: Muchnik/LobbyControl

Der Abgeordnete der Grünen Özcan Mutlu sieht das Humboldt’sche Bildungsideal in Gefahr und sieht „riesigen Handlungsbedarf“. Er betonte in seiner Rede, dass dringend gehandelt werden müsse, um Schülerinnen und Schüler vor Einflussnahme und Manipulation zu schützen. Auch er sprach sich für eine Monitoringstelle für Unterrichtsmaterialien aus.

Die Abgeordneten von CDU/CSU Xaver Jung und Sven Vomering und auch die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder argumentierten bedauerlicherweise gegen den Antrag.

Weckruf für Bildungspolitiker in den Ländern

Auf Landesebene haben wir bisher nur selten die Bereitschaft erlebt, etwas gegen Lobbyismus an Schulen zu unternehmen. Im Gegenteil: Die Reaktionen fallen oft nebulös aus und die Verantwortung wird den einzelnen Schulen zugeschoben. Die Debatte im Bundestag sollte für die Bildungsministerien in den Ländern daher ein Weckruf sein.

Das trifft besonders auf die NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann zu. Trotz gravierender Fälle (Amazon, RWE) und teils widersprüchlicher Reaktionen, die offizielle Linie ist klar: Die Verantwortung sieht sie die Bildungsministerin alleine bei den Schulen. Handlungsbedarf sieht sie keinen. Wir empfehlen der Bildungsministerin daher, sich mit ihrem Parteikollegen Özcan Mutlu zu unterhalten. Für einen Kurswechsel beim Thema Lobbyismus an Schulen ist es mit Hinblick auf die Landtagswahl 2017 noch nicht zu spät.

Begrüßenswerter Antrag der Linksfraktion

Der Antrag der Linksfraktion, der im Bundestag besprochen wurde, stimmt größtenteils mit unseren Ergebnissen überein: Lobbyismus an Schulen ist ein reales Problem und muss dringend eingedämmt werden. Denn die Instrumentalisierung von Schulen für Geschäftsinteressen untergräbt öffentliche Bildungsziele wie eigenständige Meinungsbildung und Kritikfähigkeit. Leisten können sich diese Formen der Einflussnahme zudem nur besonders finanzstarke Akteure. Wer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, dessen Botschaft droht unterzugehen. Ein Punkt, der auch für andere Politikbereiche gilt.

In ihrem Antrag fordert die Linksfraktion Maßnahmen, um eine interessengeleitete Einflussnahme in Unterricht und Schule auszuschließen. Konkret soll beispielsweise die bereits genannte Monitoringstelle eingerichtet werden oder eine Transparenzpflicht für Unterrichtsmaterialien beschlossen werden. Außerdem sollten Bundesministerien keine Unterrichtsmaterialien von Unternehmen oder Lobbygruppen mit ihrem Logo auszeichnen.

Eine Debatte über Lobbyismus an Schulen im Bundestag wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Das stimmt uns hoffnungsvoll. Die Kritik an den fragwürdigen Aktivitäten von Unternehmen an Schulen nimmt zu. Wir bleiben dran.

Begrüßenswerte Zitate aus der Debatte

Rosemarie Hein (DIE LINKE): „Ein gutes Mittel gegen solchen überbordenden Lobbyismus wäre, die Schulen ausreichend mit Lehr- und Lernmaterialien auszustatten.“

„Wir fordern aber auch, für Lehrkräfte, Eltern und Lernende einen verlässlichen Orientierungsrahmen, nach dem man solches Material beurteilen kann, und Prinzipien, an die sich alle auch die Unternehmen zu halten haben, zu schaffen.“

Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Der Staat ist in der Pflicht, Schulen besser auszustatten, damit einseitige ökonomische Perspektiven nicht die Deutungshoheit in Schulen übernehmen. […] Der öffentliche Bildungsauftrag darf nicht durch geschickt verpackte PR in Klassenzimmern verwässert werden. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Kooperationen. Die Wirtschaft kann sich gerne in Schulen einbringen: Betriebspraktika, Betriebserkundungen oder Jobmessen benötigen selbstverständlich das Mitwirken von Unternehmen. Aber im Unterricht müssen Schüler und Schülerinnen kontrovers und kritisch diskutieren können. Sie müssen befähigt werden, sich ihre eigene Meinung zu bilden, um mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden, ohne von bestimmten Unternehmensinteressen geleitet zu werden.“

„Hier müssen wir Sorge tragen, dass für Lehrkräfte transparent wird, welche Interessen hinter den Materialien stecken, und dass keine, insbesondere keine finanzielle Abhängigkeit entsteht. Die Gefahr ist gegeben, schließlich ist unser Bildungssystem chronisch unterfinanziert. Daher verwundert es auch nicht, wenn sich Schulen nach anderen Geldgebern oder Sponsoren umsehen.“

„Daher benötigen wir eine Monitoringstelle für Unterrichtsmaterialien. Wir fordern auch eine Verstetigung und Verbreitung des Projekts „Materialkompass Verbraucherbildung“.“

Elfi Scho-Antwerpes (SPD): „Die Verbraucherzentrale hat nachgewiesen, dass drei Viertel der durch die Wirtschaft bereitgestellten Materialien für den Unterricht ungeeignet sind. Es ist nicht hinzunehmen, dass dieses Material an Schulen eingesetzt wird und erst recht nicht für Marketing, Kindermarketing. Es bedarf hier einer stärkeren Kontrolle. Wir müssen gemeinsam mit den Ländern überlegen, wie wir ein Monitoring hinbekommen.“ „Eine Sensibilisierung für dieses Thema ist nicht nur in der Aus- und Weiterbildung der Lehrer und Lehrerinnen nötig, sondern auch bei Eltern und Jugendlichen selbst.“

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