Hinter verschlossenen Türen verhandeln die EU und 22 Regierungen das umstrittene Dienstleistungsabkommen TiSA. Konzernlobbyisten sind dabei im Hintergrund massiv präsent – und stoßen bei der EU-Kommission offensichtlich auf offene Ohren. Knapp 90 Prozent ihrer Lobbygespräche führte die Handelsdirektion mit Konzernvertretern, wie unsere Analyse belegt.
Es geht um einen Milliardenmarkt
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit verhandeln die EU und 22 Regierungen weltweit derzeit das Dienstleistungsabkommen TiSA. Es umfasst so unterschiedliche Sektoren wie Bildung, Energie, Gesundheit oder Medien. Ein Milliardenmarkt: Insgesamt stellen die Servicebranchen der EU rund drei Viertel der europäischen Wirtschaftsleistung und drei Viertel aller Jobs.
Kein Wunder, dass große Unternehmen versuchen, die Regierungen massiv zu beeinflussen und ihre Interessen durchzusetzen. Ihr Ziel: Regulierungen und Hürden sollen abgebaut werden, Firmen sollen leichter ihre Dienste im Ausland anbieten können, der Wettbewerb verschärft werden. In der EU scheinen die Unternehmen damit zumindest auf keinen großen Widerstand zu stoßen. Eine LobbyControl-Auswertung belegt, dass Kabinettsmitglieder der Handelsdirektion bei ihren Gesprächen zu TiSA in 89 Prozent der Fälle mit Unternehmensvertretern zusammentrafen.
Wer hat Interesse an TiSA?
Top-Lobbyakteur war dabei Digital Europe. Der europäische Branchenverband vertritt die Interessen von Konzernen wie Amazon, Apple, Google, Microsoft oder Siemens, gab Lobbyfacts zufolge 2015 1,85 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus und hat 9 Vollzeitlobbyisten vor Ort in Brüssel. Auch Unternehmen aus dem Bereich Audvisuelle Medien und der Telekommunikationssektor haben sich stark bei TiSA eingebracht. Beachtlich sind auch die 8 Treffen von Akteuren der Finanzbranche, die sich zu Finanzdienstleistungen bei TiSA mit der Handelsdirektion getroffen haben. Treffen mit den großen Dienstleistungsgewerkschaften UNI Europe oder dem deutschen Widerpart ver.di gab es dagegen nicht. Ausgewogenheit sieht sicherlich anders aus.
Diese Unausgewogenheit spiegelt sich unüberraschenderweise auch in den bislang bekannten TiSA-Dokumenten. „Die TiSA-Regeln wurden zugunsten des obersten Prozent geschrieben. So umgesetzt, würde TiSA die Möglichkeit von Regierungen reduzieren, um Finanzmarktstabilität, Arbeitnehmerrechte und die Umwelt zu schützen“, sagte der Generalsekretär des internationalen Gewerkschaftsdachverbandes UNI Global Union, Philip Jennings, als Wikileaks im Mai diesen Jahres Dokumente der TiSA-Verhandlungen veröffentlichte.
Ein weiteres Leak im September offenbarte eine Klausel, wonach Regierungen die Notwendigkeit von Regulierungen, die multinationale Konzerne betreffen, erst beweisen müssen. Der Guardian wies vor Kurzem darauf hin, dass es eine gleiche Klausel bereits in den Gatt und Gats-Verträgen der Welthandelsorganisation WTO gab – und zu 44 Klagen von Konzernen gegen Regierungen führte, bei denen die Konzerne 43 mal obsiegten.
Die ursprünglich Anfang Dezember geplante Ministerkonferenz zum Abschluss der Verhandlungen in Genf findet zwar aufgrund des Regierungswechsels in den USA vorerst nicht statt. Gleichwohl ist ein Abschluss des Deals für Anfang 2017 weiter geplant. Darauf deutet auch alles hin. Denn aus den Kreisen des künftigen US-Präsidenten Trump wurde bislang kein Abbruch der TiSA-Verhandlungen angekündigt.
Unsere Forderungen: Weitgehend unerfüllt
LobbyControl hatte Handelskommissarin Malmström vor mehr als einem Jahr dazu aufgefordert, Transparenz bei TiSA zu schaffen und endlich dafür zu sorgen, dass wir genau wissen, was in Genf besprochen wird. Der Verweis der EU-Kommission darauf, dass internationale Verhandlungen solcher Tragweite stets im Geheimen stattfinden, ist schlichtweg falsch. Im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen oder der Welthandelsorganisation (WTO) wird wesentlich transparenter verhandelt:
Wir hatten die EU-Handelsdirektion dazu aufgefordert
(1) ihre Verhandlungspositionen für alle Verhandlungsbereiche offenzulegen
(2) auf der Veröffentlichung des gemeinsamen Verhandlungstextes zu bestehen
(3) regelmäßige öffentliche Konsultationen rund um die TISA-Verhandlungen zu organisieren.
Von vielen Verhandlungspositionen (1), geschweige denn von den gemeinsamen sogennanten konsolidierten Texten (2), fehlt noch immer jede Spur auf der Website der EU-Kommission. So können wir – jenseits der öffentlichen Verlautbarungen der EU-Kommission – über den derzeitigen Stand der Verhandlungen wenig Aussagen treffen.
Unausgewogene Konsultationen
Zwar ist die Relevanz der öffentlichen Konsultationen überschaubar. Aber immerhin hat die Kommission sie eingeführt – wenngleich – das bedingen die ungleichen Kräfteverhältnisse in Brüssel – auch sie unternehmensdominiert waren und sind. Bei allen sechs sogenannten zivilgesellschaftliche Dialogen, die seit Dezember 2014 stattgefunden haben, beteiligten sich zu mindestens 63 und höchstens 70 Prozent Unternehmenslobbyisten.
So darf man nicht verhandeln: Geheimverhandlungen stoppen!
Fazit: Eine konzerndominierte, intransparente Politik wie bei TiSA untergräbt das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die EU-Institutionen. Eine EU-Handelspolitik, die vorwiegend in Hinterzimmern stattfindet und in erster Linie Unternehmenslobbyisten einbezieht, hat ausgedient. Sie ist unserem demokratischen Anspruch nicht würdig. Es ist endlich Zeit für eine transparente, demokratische Handelspolitik, bei der die Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern im Vordergrund stehen. Wir fordern deshalb erneut den Stopp der TiSA-Geheimverhandlungen!
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