Lobbyismus in der EU

EU-Expertengruppe für Diesel-Fahrtests dominiert von Unternehmen

Weiterhin haben Unternehmen gute Chancen, Expertengruppen der EU-Kommission zu dominieren – und damit Gesetzgebung in ihrem Sinne zu gestalten. So waren 32 der insgesamt 41 Mitglieder der Expertengruppe für neue Diesel-Fahrtests Unternehmensvertreter.
von 17. Februar 2017

Weiterhin haben Unternehmen gute Chancen, Expertengruppen der EU-Kommission zu dominieren, und damit Gesetzgebung in ihrem Sinne zu gestalten. So waren 32 der insgesamt 41 Mitglieder der Expertengruppe für neue Diesel-Fahrtests Unternehmensvertreter. Das zeigt eine neue Studie unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) ein Jahr, nachdem die Kommission ihre Regeln für die EU-Expertengruppen überarbeitet hat. Die Studie belegt zudem, dass die Reform der Regeln für die Beratungsgremien kaum Fortschritt in Sachen unausgewogenem Lobbyeinfluss gebracht hat.

Eingangsschild mehrerer Direktionen der EU-Kommission: Wirtschaft und Finanzen, Erweiterung der EU und Handel.

Eingangsschild mehrerer Direktionen der EU-Kommission: Wirtschaft und Finanzen, Erweiterung der EU und Handel.

Autolobby dominiert weiter zentrale Expertengruppen

Um die neuen, im Mai 2016 vorgestellten Regeln zu prüfen, werden in der Studie zehn Expertengruppen untersucht, die brisante politische Themen behandeln. Das Ergebnis: Fünf der zehn Gruppen sind zu mehr als 50 Prozent mit „Expert/-innen“ besetzt, die Unternehmensinteressen repräsentieren. Und hier geht es um Positionen von Gruppen, deren Resultate von großer politischer Reichweite sind. Die EU-Expertengruppe „Real Driving Emissions – Light Duty Vehicles“ war zu 78 Prozent mit Vertretern von Unternehmensinteressen besetzt. Die Aufgabe der Gruppe war die Einführung eines neuen Testverfahrens für Diesel-Autos auf der Straße. Schon lange war klar, dass die Testergebnisse im realen Betrieb die aus dem Labor um ein vier- bis fünffaches überschritten. Die Tests sollen diesen Zustand beenden. Die Gruppe hat die Einführung der neuen Tests um Jahre verzögert.

Die „Gears2030 High Level Group“ ist die Nachfolgerin von Cars21 und Cars2020. Beide Gruppen haben die Verantwortung für CO2-Einsparungen geschickt auf verschiedene Schultern verteilt. Nicht nur die Motoren müssen sich ändern – nein, auch Straßenbeläge, Reifen oder andere Technologien, wie der Diesel- oder Elektroantrieb, dürfen in die Berechnungen der CO2-Ausstöße der Hersteller einfließen. Gears2030 soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Autoindustrie nach dem Dieselskandal sichern und ist mit 13 von 18 Unternehmensvertretern besetzt.

Interessenkonflikte in der Steuerpolitik dauern an

Die „Expertengruppe der Kommission für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten“ braucht freilich Experten, die sich mit dem Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden auskennen. Und dennoch: Ist es wirklich notwendig, dass drei KPMG-Mitarbeiter/-innen in der Gruppe sitzen – wo KPMG eine der Beratungsfirmen ist, die in den „LuxLeaks“-Skandal verwickelt waren? Und die Barclays-Bank, der einst vorgeworfen wurde, eine „Steuervermeidungsfabrik“ zu betreiben, ist mit einem Vertreter/einer Vertreterin dort und zugleich Mitglied von 5 Organisationen, die am Tisch sitzen. Insgesamt sind 18 von 24 Sitzen an die Finanzindustrie vergeben.

Nicht mehr unternehmensdominiert ist beispielsweise die „Platform for Tax Good Governance.“ LobbyControl hatte über den Fall bereits in der Vergangenheit berichtet. „Nur“ 46 Prozent aller Sitze gehen an Vertreter von Unternehmensinteressen. Allerdings sitzen dort natürlich immer noch der mächtige Europäische Arbeitgeberverband Business Europe, die Amerikanische Handelskammer AmCham EU, die Europäischer Steuerberaterverband ETAF, der Europäische Wirtschaftsprüferverband Accountancy Europe und die Internationale Handelskammer. Zum einen also Lobbyorganisationen, die selber Unternehmen in ihren Reihen haben, die Steuern in Steueroasen verstecken. Und zum anderen die Verbände derer, die den Unternehmen bei der Steuervermeidung behilflich sind.

Nur wenig Verbesserungen durch neue Regeln

Insgesamt gesteht die Studie der Reform der Expertengruppen nur in puncto Transparenz einen Pluspunkt zu. Bei allen anderen Kritikpunkten hat sich wenig getan.

  • Dominanz von Unternehmensinteressen: Die Hälfte der untersuchten Gruppen ist von Unternehmensinteressen dominiert. Wenn man sich die Verteilung der Mitglieder über alle Gruppen anschaut, repräsentieren immer noch 70 Prozent Unternehmensinteressen, weniger als 15 Prozent NGOs, und etwas über zwei Prozent Gewerkschaften. Die Gruppen mit der unausgewogensten Besetzung wiesen mehr als 80 Prozent Unternehmensvertreter auf. Was die ausgewogene Repräsentation von Interessengruppen angeht, hat sich mit Blick auf die ausgesuchten Gruppen kaum etwas verändert.
  • Interessenkonflikte: Es gibt zwar eine neue Regel, derzufolge unabhängige Vertreter, die eine Tätigkeit für eine Expertengruppe anstreben, zunächst eine detaillierte Interessenerklärung ihrer bisherigen Engagements veröffentlichen müssen. Trotzdem waren weniger als die Hälfte der „unabhängigen Experten“ frei von Interessenkonflikten. Ein Problem ist sicherlich, dass der oder die für die Gruppe zuständige Beamte – der an der Expertise des Vertreters oder der Vertreterin ja interessiert ist – letztendlich selbst entscheidet, ob ein Interessenkonflikt vorliegt.
  • Öffentliche Ausschreibungen: die meisten Generaldirektionen führen zwar meistens öffentliche Ausschreibungen durch. Aber weiterhin gibt es auch Ausnahmen, und die sind erlaubt. Problem ist natürlich auch die ungleiche Ressourcenverteilung zwischen Unternehmen und NGOs – die finanzielle Unterstützung von NGOs durch die EU-Kommission ist in unseren Augen Teil der Lösung
  • Transparenz: Hier gibt es tatsächlich große Fortschritte. Die EU-Kommission besteht darauf, dass die Experten sich ins Transparenzregister eintragen müssen. Sie verlinkt die dortigen Angaben mit der Expertengruppe. 97 Prozent der Expertengruppenmitglieder sind laut der Studie von CEO im Transparenzregister.

Neuer Anlauf: Wir hoffen auf das Europäische Parlament

Am 14. Februar hat das Europäische Parlament einen Bericht beschlossen, der vorsieht, die Regeln für die Expertengruppen endlich zu verschärfen. Das begrüßen wir ausdrücklich. Wenn die Kommission diesen Bericht tatsächlich umsetzt, würde dies nämlich weniger Dominanz von Unternehmensinteressen, weniger Interessenkonflikte und mehr Ressourcen zur Durchsetzung der neuen Regeln bedeuten. Deshalb hoffen wir jetzt auf den Druck des Parlaments und eine Kommission, die reformwillig ist.  Wir werden den weiteren Prozess beobachten und bleiben für Sie dran.

Zum Weiterlesen:

Neue Studie von Corporate Europe Observatory (CEO).

Parlamentsbericht Report on control of the Register and composition of the Commission’s expert groups

CEO-Analyse der Expertengruppenreform 2016

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