Zum sechsten Mal versammeln sich heute hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Politik im mondänen österreichischen Skiparadies Lech am Arlberg zum „Europaforum Lech.“ Offizieller Gastgeber ist die Gemeinde Lech. Der Herrscher über die Gästeliste jedoch ist EU-Kommissar Günther Oettinger. Das „Mini-Davos“ am Arlberg ist sein ganz persönliches Gipfeltreffen.
Günther Oettinger reist mit gleich elf hochrangigen Beamten der EU-Kommission – unter anderem zwei GeneraldirektorInnen (vergleichbar mit Staatssekretären in Deutschland) – nach Lech. Sie treffen dort auf handverlesene Konzernvertreter. Abseits von Reden und Podiumsveranstaltungen haben sie zahlreiche Möglichkeiten, einen persönlichen Zugang zum EU-Spitzenpersonal zu finden. Sei es beim Welcome-Dinner oder zum abendlichen Cocktail, nach Programmende in der Sauna oder draußen an der Schneebar mit einem heißen Drink in der Hand.
Auf die diesjährige Gästeliste geschafft haben es unter anderem Vertreter von Uber, SAP, Deutsche Telekom, Google, Facebook und des mächtigen IT-Verbandes Digitaleurope. Es ist kein Zufall, dass der Digital-Sektor so gut vertreten ist – lautet das Thema des Gipfels doch „Europa in schwierigen Zeiten – wie kann die Datenwirtschaft Wachstum und Beschäftigung in Europa ankurbeln?“
Digitalgipfel mit dem Haushaltskommissar?
Aber Moment mal – war da nicht irgendwas? Hatte nicht Kommissar Oettinger zu Beginn dieses Jahres den Posten gewechselt? Vom Digitalkommissar zum Haushaltskommissar? Schon richtig. Aber das macht nichts. So manche Lobbyakteure treffen ihn auch im politischen Alltag weiterhin gerne wegen Digitalthemen, wie Daimler und VW im Februar zu „connected and automated driving“, und die Axel Springer SE zum Urheberrecht. Andere, wie die deutsche Bahn und die Lufthansa, kommen wegen Verkehrspolitik zu ihm.
Das Interesse an Oettinger hat nichts mit seinem Portfolio zu tun. Deutsche Unternehmen kommen zu ihm, weil sie wissen, dass Oettinger die deutsche Wirtschaft ganz besonders am Herzen liegt und er immer bereit ist, sich für ihre Interessen in der Kommission ins Zeug zu legen. Unternehmen aus anderen Ländern schätzen sein immenses Netzwerk und seinen großen Einfluss innerhalb der EU-Kommission. Das ist auch der Grund, warum so viele wichtige Wirtschaftsvertreter nach Lech in Österreich kommen. Weder der österreichische Kommissar Hahn, in dessen Heimatland das Mini-Davos stattfindet, noch der neue Digitalkommissar Ansip hätten diese Anziehungskraft.
Kommissar der Konzerne
Diese Beschreibung dürfte Herrn Oettinger schmeicheln – aber wir sehen das nicht so positiv. Niemand in der EU-Kommission hat so viele Lobbytreffen mit der Wirtschaft wie er – und fast niemand so wenige mit der Zivilgesellschaft. Seit Kommissionspräsident Juncker 2014 eingeführt hat, dass die KommissarInnen und ihre Kabinette ihre Lobbytreffen auflisten müssen, lässt sich das detailliert analysieren. Das Portfolio, das Oettinger seitdem hauptsächlich innehatte, nämlich die Digitalwirtschaft und der Digitale Binnenmarkt, ist durchaus ein Thema, in dem sich seriöse zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren, zum Beispiel zum Thema Datenschutz oder zum Thema Urheberrecht. Aber er hat sich fast nie mit ihnen getroffen.
Auch beim Europaforum Lech würden sich Podien dafür anbieten, die Stimme der Zivilgesellschaft zu hören. Wenn zum Beispiel gefragt wird, wie die EU den Wählern (!) zeigen kann, dass sie trotz schwachen Wirtschaftswachstums relevant ist, oder ob institutionelle Strukturen verändert werden müssen. Aber Zivilgesellschaft ist hier nicht vorgesehen. Der mit Abstand größte Teil der TeilnehmerInnen kommt aus der Wirtschaft: 66 von 99 TeilnehmerInnen insgesamt. Kommissar Oettinger lädt die Leute ein, mit denen er sich auch sonst trifft: Telekom, Google, und Digitaleurope gehören zu den 10 Organisationen, die seit Dezember 2014 die meisten Treffen mit ihm hatten.
Des Weiteren gibt es ein paar politische VertreterInnen, wie die beiden Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiss und Joachim Pfeiffer (beide CDU), sowie einige Persönlichkeiten aus der Wissenschaft und von Behörden.
Privilegierte Zugänge führen zu einseitigen Gesetzen
Das Europaforum Lech ist damit ein weiteres Beispiel für die privilegierten Zugänge, welche die Wirtschaft zur EU-Politik genießt. Dass eine solche Nähe einseitige Politiken begünstigt, haben nicht zuletzt die umstrittenen Handelsabkommen TTIP und CETA mit ihren Sonderrechten für Konzerne gezeigt. Bezeichnend ist, dass Oettinger & Co. solch glamouröse Empfänge und Gipfeltreffen für Gewerkschafter, Umwelt- oder Verbraucherschützer eben nicht veranstalten.
Lobbyist Mangold erneut dabei
À propos privilegierte Zugänge: Auch mit am Tisch sitzt übrigens wieder Oettingers Freund Klaus Mangold, der Lobbyist mit Verbindungen zum Kreml und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Rothschild-Bank. Begleitet wird er dieses Jahr von seinem Sohn Christoph – er ist Geschäftsführer von Klaus Mangolds Beratungsunternehmen Mangold Consulting. Klaus Mangold hatte Oettinger im Frühling 2016 in seinem Privatjet mit nach Budapest genommen. Dieser Flug war von Oettinger nicht als Lobbytreffen angegeben worden. Auf unsere Kritik an dieser Intransparenz hatte er per Twitter ein Treffen mit NGOs zu den Transparenzregeln versprochen – auf die Einladung warten wir allerdings bis heute.
Transparenz bei den Teilnehmern, nicht bei den Sponsoren
Ein bisschen gelernt hat die EU-Kommission allerdings dennoch. Die Liste der TeilnehmerInnen war schon vor Beginn des Europaforums online einsehbar. Nur die Sponsoren werden verschwiegen. Die Organisatoren teilten sie uns immerhin auf Nachfrage mit: Es sind die Vorarlberger Kraftwerke VKW, die Gemeinde Lech, die Bank of America Merril Lynch, das Land Vorarlberg und Mercedes Benz.
Mini-Davos als Symbol für eine abgehobene EU
Kommissionspräsident Juncker hatte zu Beginn seiner Amtszeit alle Kommissare aufgefordert, auf mehr Ausgewogenheit bei ihren Lobbytreffen zu achten. Oettingers Exklusivgipfel am Arlberg illustriert in aller Deutlichkeit, was der CDU-Politiker davon hält: nichts. Mini-Davos ist somit auch ein Symbol für die bürgerferne und abgehobene Haltung Oettingers und Teilen der EU-Kommission. Wir haben nicht prinzipiell etwas dagegen, dass sich Politiker mit Konzernvertretern austauschen. Ein Problem ist es aber, dass sie keine Zeit oder Lust haben, sich ebenso intensiv mit Vertretern der Zivilgesellschaft auseinanderzusetzen. Darunter leidet auch die Glaubwürdigkeit des europäischen Projekts insgesamt.
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