Auch nach Bekanntwerden des Dieselskandals pflegt die Bundesregierung weiterhin ein enges Verhältnis zur Autoindustrie. Das zeigt eine Auswertung der Lobbytreffen der Bundesregierung. Demnach traf die Bundesregierung zwischen September 2015 und Mai 2017 fast zweieinhalb mal so häufig auf Autolobbyisten wie auf Interessensvertreter für Umwelt- und Gesundheitsschutz, Verbraucherschutz und den Beschäftigten. Zählt man die Verkehrsclubs hinzu, sind es immer noch fast doppelt so viele Treffen. Verkehrspolitik betrifft aber nicht nur die Autokonzerne, sondern vor allem auch die vielen Millionen Menschen, die unter schlechter Luft in den Städten leiden. Wir fordern: Die Bundesregierung muss in der Auswahl ihrer Kontakte auf deutlich mehr Ausgewogenheit achten.
Massives Ungleichheit: 15-mal so viel Autolobby wie Umweltverbände
Die Ungleichgewichte sind groß: Spitzenvertreter der Bundesregierung trafen fast 9-mal so häufig auf Vertreter der Automobilkonzernen wie auf Vertreter von Umweltverbänden und fast 7-mal so häufig auf Autolobbyisten wie auf Verbraucherschützer. Zählt man die Zulieferindustrie sowie die Lobby- und Arbeitgeberverbände der Autoindustrie hinzu, gab es sogar mehr als 15-mal so viele Treffen mit der Autoindustrie wie mit Umweltverbänden und 11,6-mal so viele Treffen der Autoindustrie wie mit Verbraucherverbänden.
Das ergibt unsere Auswertung einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken. Darin wurden Treffen zum Thema Mobilität zwischen Spitzenvertretern der Bundesregierung und Interessensvertretern seit Bekanntwerden des Dieselskandals abgefragt. Auch Gewerkschaften und Betriebsräte bekommen bei weitem nicht so viele Treffen wie die Automobilindustrie. Mit Treffen mit 90 Vertretern liegen die Kontakte aber immer noch weit über den Gesprächen mit Umwelt- und Verbraucherschützern. Die Verkehrsclubs waren mit 30 Vertretern auf Treffen mit der Bundesregierung – darunter 16 vom ADAC, der sich im Dieselskandal für die Interessen der Autofahrer einsetzt.
Auffälliges Missverhältnis bei Merkel und Dobrindt
Direkt bei der Bundeskanzlerin vorsprechen durften nur die Vertreter der Autokonzerne sowie der VDA (BMW 5 Treffen, VW 3, Daimler und VDA jeweils 2, Ford 1). Weder Umweltverbände noch Verbraucherschützer, Gewerkschaften oder Betriebsräte bekamen zu dem Thema Verkehrspolitik einen Termin bei der Kanzlerin. Besonders deutlich zeigen sich die Ungleichgewichte in Dobrindts Verkehrsministerium: Hier trafen Vertreter aus dem Ministerium 61 Mal auf die Autoindustrie, darunter 14-mal auf Dobrindt persönlich. Mit Ausnahme von 5 Zusammentreffen mit Verkehrsclubs hatten die anderen von uns berücksichtigten Verbände keinen Termin.
Unsere Auswertung zeigt: Die Treffen der Bundesregierung haben eine klare Schlagseite zugunsten der Autoindustrie. Es ist natürlich völlig korrekt und auch angebracht, dass sich die Bundesregierung und insbesondere das Verkehrsministerium mit der Autoindustrie trifft – gerade auch wenn es um die Aufarbeitung des Abgasskandals geht. Doch Verkehrspolitik betrifft nicht nur BMW, Daimler und VW, sondern vor allem auch viele Millionen Menschen, die unter schlechter Luft in den Städten leiden. Auch die Anliegen der Beschäftigten und der Autobesitzer dürfen nicht zu kurz kommen. Wenn die Bundesregierung verkehrspolitische Entscheidungen trifft, muss sie deshalb auch dem Umwelt- und Verbraucherschutz Priorität einräumen. Und dazu gehört auch ein enger Kontakt zu Organisationen, die diese Perspektiven vertreten.
Abstand halten und Lobbyregulierung einführen!
Die unausgewogenen Kontakte der Bundesregierung im Bereich Verkehrspolitik sind ein weiterer Beleg für die engen Verbindungen zwischen Politik und Autolobby. Diese Verflechtungen waren eine zentrale Ursache des Abgasskandals. Immer wieder hat die Politik die Tricksereien der Autoindustrie geduldet und gedeckt. Damit muss jetzt endlich Schluss sein. Die Dieselaffäre schadet Gesundheit und Umwelt, der Autobranche und letztlich auch der Demokratie. Dieselgipfel ohne Umwelt- und Verbraucherschützer, Software-Updates und Kaufprämien können das nicht reparieren. Das Verhältnis zwischen Politik und Konzernen braucht eine Generalüberholung. Der Dieselskandal zeigt: Ohne ausreichend Abstand zwischen Politik und Lobby kommt es zum Crash. Lobbyismus braucht Schranken und Kontrolle. Hier hat Deutschland dringenden Nachholbedarf.
Hier finden Sie unseren Vier-Punkt-Plan, wie mit mehr Lobbyregulierung Skandale wie Dieselgate zukünftig verhindert werden können.
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Erläuterungen zu unserer Auswertung: Die Kleine Anfrage der Linksfraktion fragt Treffen zwischen der Bundesregierung und Vertretern von Verbänden und Unternehmen im Bereich Verkehrspolitik/Mobilität ab. Dazu zählen auch Unternehmen und Verbände aus den Bereichen Luft-, Schienen- und Busverkehr. Diese Akteure haben wir bei unserer Auswertung unberücksichtigt gelassen, da wir uns vorrangig auf den Autoverkehr beziehen. Bei den Gewerkschaften haben wir aus diesem Grund auch die EVG (Schienenverkehr), Verdi (Luft-, Bus- und Schienenverkehr) und die IGBCE herausgerechnet. Beim vzbv, der IG Metall und den Arbeitgeberverbänden konnten wir dagegen nicht einzeln unterscheiden, um welche Verkehrsbereiche es bei den einzelnen Treffen ging und haben diese Verbände daher mit allen Treffen einberechnet. Treffen mit mehreren Vertretern zählen als mehrere Kontakte, d.h. wenn es z.B. ein Treffen mit drei Vertretern unterschiedlicher Autokonzerne gab, werten wir dies als drei Kontakte. Waren aber drei Vertreter des gleichen Akteurs anwesend, also z.B. ein Treffen mit drei Vertretern von VW, wird dies als ein Gespräch gewertet. In der Anfrage heißt es bei mehreren Veranstaltungen lediglich „Vertreter der Automobilindustrie“ – dies haben wir jeweils nur als einen Kontakt gewertet. Treffen, bei denen mehrere Regierungsvertreter anwesend waren, werden nicht mehrfach gewertet.
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