Die Finanzindustrie ist in Brüssel weiterhin sehr mächtig. Wie mächtig, belegen die aktuellen Verhandlungen zu einem Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien, die gerade im Schatten des Brexit ablaufen. Die Finanzlobby versucht dieses Abkommen massiv zu ihren Gunsten zu beeinflussen – und die Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit. Denn die Vorbereitungen laufen sogar geheimer ab als bei den TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU.
Finanzlobbyisten auf dem Vormarsch
Seit die Briten sich entschieden haben die EU zu verlassen, arbeiten Konzernlobbyisten unentwegt daran, ihre Interessen über das künftige Handelsabkommen durchzusetzen. Das gilt gerade für den Finanzsektor. Lobbyarbeit fand dazu nicht nur in London und Brüssel, sondern in ganz Europa statt – und das weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Finanzlobbyisten haben dabei Vorschläge gemacht, die zu einer noch schwächeren Regulierung der Branche führen könnten und dem öffentlichen Interesse eindeutig entgegenlaufen. Sie setzen sich zum einen für einseitige Konzernklagerechte ein, die es Banken ermöglichen würden, Regierungen zu verklagen, wenn sie Regeln einführen, die ihnen nicht passen. Und sie machen schon seit Jahren Druck für Maßnahmen, die dazu führen könnten, dass die lang geplante Finanztransaktionssteuer endgültig unter die Räder kommt.
Zehn Jahre nach der Finanzkrise, die nicht zuletzt wegen zu laxer Regeln im Finanzsektor ausbrach, kann es nicht im öffentlichen Interesse sein, die infolge der Krise geschaffenen Regeln abzuschwächen. In einer Situation, in der die Finanzlobby das Handelsabkommen als Chance für Deregulierung sieht, ist deshalb umfassende Transparenz das Gebot der Stunde. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, wie unsere Recherchen zeigen. Trotz der zahlreichen Kontakte zwischen Lobbyisten der Finanzbranche und politischen Entscheidungsträgern, weigern sich sowohl die EU-Kommission als auch die britische Seite Informationen dazu rauszugeben. Das zeigt erneut, wie intransparent die EU-Handelspolitik nach wie vor ist und dass wie bei TTIP, CETA und JEFTA im Geheimen verhandelt wird. Doch während sich beim Handelsressort der EU-Kommission eine Trendwende erkennen lässt, etwa bei den Verhandlungen zu Abkommen mit Australien und Neuseeland, so ist die Geheimniskrämerei um das Abkommen mit den Briten noch ausgeprägter als bei TTIP.
Privilegierter Zugang zu Verhandlungsführern
Seit dem Brexit Referendum im Juni 2016 haben sich politische Entscheidungsträger und Beamte auf EU- und britischer Seite sehr häufig mit Lobbyisten des Finanzsektors getroffen. Im Frühstadium der Verhandlungen zwischen Oktober 2016 und Juni 2017 fanden zwanzig Prozent der 56 Lobbytreffen des Brexit Ministers mit Finanzlobbyisten statt. Um das in Relation zu setzen: Es fanden mehr Treffen allein mit der Finanzlobby als mit allen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengenommen.
Vertreter von TheCityUK zum Beispiel trafen sich über ein Dutzend mal innerhalb von achtzehn Monaten mit Ministern und Beamten des Brexit- und des Finanzministeriums. TheCityUK ist einer der wichtigsten Lobbyakteure der Finanzbranche in Großbritannien und koordiniert die Vorschläge der britischen Finanzlobby. Hinzu kommen dutzende Treffen, Abendessen und Empfänge der City of London Corporation, bei der Minister der britischen Regierung anwesend waren.
Einzelunternehmen der Finanzbranche haben ebenfalls häufig Zugang zur britischen Regierung. Die Investmentbank Goldman Sachs etwa hatte über mehr als 12 Einzeltreffen mit Ministern und Regierungsbeamten in London, darunter waren zwei private Abendessen mit Schatzkanzler Phillip Hammond.
Ähnliches gilt für die EU. Von Anfang 2017 bis März 2018 nahm die EU Task Force unter EU-Chefverhandler Michel Barnier fast 70 Lobbytreffen mit Unternehmen der Finanzbranche und ihren Verbänden wahr: Dreimal davon traf sie sich mit der Deutschen Bank, zweimal mit BNP Paribas, gemeinsam mit anderen kontinentaleuropäischen Großbanken. Doch auch mit den bekannten Londoner Banken traf dich die Task Force, u.a. mit Barclays und Loyds, und auch mit den großen US-Banken, wie Citygroup, JP Morgan Chase, Morgan Stanley und Goldman Sachs. Verbände aus Großbritannien traf die EU-Seite ebenfalls, darunter TheCityUK und die Association for Financial Markets in Europe (AFME).
Noch mehr Geheimniskrämerei als bei TTIP?
Sowohl die britische Regierung als auch die EU haben beteuert, dass sie die Verhandlungen zu einem EU-UK-Handelsabkommen infolge des Brexit so transparent wie irgend möglich führen werden. Das soll gewährleisten, dass nicht nur die Interessen von Unternehmen, sondern sämtliche Interessen berücksichtigt werden.
Der britische Handelsminister Liam Fox drückte es 2017 folgendermaßen aus: Die Verhandlungsführer würden ungern in dieselbe Situation wie beim Handelsabkommen mit den USA kommen, in der die Verhandler “jede Menge ausgehandelt haben und dann feststellen, dass die Öffentlichkeit die Ergebnisse nicht akzeptiert. Menschen interessieren sich mittlerweile deutlich mehr für Handelspolitik als in der Vergangenheit.” Er versprach, dass die Öffentlichkeit diesmal deutlich mehr berücksichtigt werde und mehr erfahre.
Auch die EU-Kommission äußerte sich in eine ähnliche Richtung: Sie wolle ein “Maximum an Transparenz während der gesamten Verhandlungen sicherstellen.”
Doch unsere Recherchen zeigen, dass sowohl die EU-Kommission als auch die britische Regierung ihre Ankündigungen nicht ernst nehmen und sich stattdessen sogar gegen Transparenz wehren, wenn es um die Frage des Lobbyeinflusses des Finanzsektors geht. Das zeigen zahllose unzureichend beantwortete Anfragen im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes. Selbst bei den einfachsten Anfragen schneidet das Brexit-Ministerium der britischen Regierungen am Schlechtesten ab. Der zivilgesellschaftlichen Organisation Unearthed zufolge antwortete die Brexit-Abteilung 2017 lediglich auf siebzehn Prozent aller Informationsfreiheitsgesetzanfragen, das Handelsministerium nur auf einundzwanzig Prozent.
Das zeigt, dass wir trotz Beteuerungen der politisch Verantwortlichen keinen Einblick in die Vorbereitungen des wohlmöglich wichtigsten Handelsabkommen der EU bekommen. Im Gegenteil, der Öffentlichkeit wird aktiv der Einblick verwehrt.
Gespräche hinter verschlossenen Türen mit der britischen Regierung
Ende 2017 stellte unsere Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) eine Anfrage an die britische Regierung im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes zu Lobbytreffen zwischen dem Brexit-Ministerium und Vertretern von Unternehmen. Wissen wollten unsere Kollegen, was in Hinblick auf den Brexit mit Unternehmen wie HSBC und Barclays diskutiert wird.
Das Brexit Ministerium bezeichnete die Anfrage als “unbotmäßige Ausforschung” (englisch: “fishing expedition”) und gab daraufhin keine Information raus.
Trotz weiterer Eingrenzung der Anfrage weigerte sich das Ministerium, die Informationen rauszugeben. In der Folge forderten unsere Kollegen lediglich Informationen zu sechs konkreten Treffen mit Akteuren der Finanzlobby. Endlich gab es eine Antwort – doch bei fünf der sechs Treffen wurde kein Protokoll geführt. Beim sechsten Treffen mit TheCityUK weigerte sich das Ministerium das Protokoll rauszugeben, da dies einen ungewollten Präzedenzfall (englisch: “unwanted precedent”) schaffe. Um Politik “optimal zu gestalten” (englisch: “optimal policy development”), müssten die Diskussionen mit Unternehmen “vertraulich” sein. Andernfalls würde dies das nationale Interesse von Großbritannien schädigen.
Klar ist, dass man die Interessen des Londoner Finanzsektors nicht mit dem Gemeinwohl gleichsetzen kann. Klar muss auch sein, dass wir die Interessen des Gemeinwohls nur schützen können, wenn Diskussionen und Entscheidungen über die Folgen des Brexit nicht im Verborgenen stattfinden. Hier handelt die britische Regierung wider ihre eigenen Ankündigungen.
EU-Seite bleibt ebenfalls bei Geheimhaltung
Doch nicht nur die britische Seite setzt bei den Verhandlungen rund um den Brexit auf Geheimhaltung. Auch die EU-Seite verhält sich trotz vollmundiger Versprechen keinen Deut besser. Als Antwort auf eine Anfrage im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlichte sie eine Liste von Treffen mit Finanzlobbyisten für das erste Halbjahr 2017. Doch sie weigerte sich, Auskünfte über die Inhalte der Gespräche mit der Finanzlobby zum Brexit zu geben.
Immerhin veröffentlichten die EU-Verhandler 186 Seiten E-Mail-Korrespondenz mit dem Finanzsektor. Doch diese Korrespondenz wurde vorab intensiv redaktionell derart bearbeitet, so dass sie praktisch keine relevanten Informationen mehr enthält. Übrig geblieben sind größtenteils der Austausch von Höflichkeiten zwischen Finanzlobby und der EU-Verhandler Task Force. Wir wissen also jetzt, mit wem sich die EU-Seite getroffen hat, aber praktisch nichts über die Inhalte der Gespräche. Begründung: Der übliche Verweis auf Geschäftsgeheimnisse sowie die fragwürdige Aussage, der Erfolg der Brexit-Verhandlungen sei sonst gefährdet (englisch: public disclosure would […] risk upsetting the negotiations). Fazit: Des Pudels Kern bleibt der Öffentlichkeit auch auf EU-Seite vorenthalten.
Brexit: Ein TTIP 2.0 droht
Weder die EU noch die britische Regierung haben aus den TTIP-Verhandlungen mit den USA gelernt. Schlimmer noch: In der entscheidenden Vorbereitungsphase des Handelsabkommens betreiben sie noch mehr Geheimhaltung als bei TTIP. Während wir auf Anfrage immerhin Inhalte von einzelnen Lobbytreffen ein halbes Jahr später nach zähem Kampf zu sehen bekamen, ist das bei der Vorbereitung des Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU infolge des Brexit mitnichten der Fall. Das ist hochgradig gefährlich.
Die Finanzkrise hat vor zehn Jahren gezeigt, welch gravierende Folgen eine unzureichende Regulierung der Märkte haben kann. Der Finanzlobby unter Ausschluss der Öffentlichkeit nun eine privilegierte Rolle beim Brexit zu geben, ist äußerst fahrlässig und schädigt das Vertrauen der Bürger in die EU. Es steht viel also viel auf dem Spiel. Wir bleiben deshalb gemeinsam mit unseren europäischen Partnern dran, um weitere Hintergründe zu recherchieren und um Druck für mehr Transparenz bei den bevorstehenden Verhandlungen zu machen.
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Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen von Recherchen zum Brexit unseres Europäisches Recherchenetzwerks ENCO (European Network of Corporate Observatories). Daran beteiligt sind unsere Partner von Corporate Europe Observatory (EU), Observatoire des Multinationales (Frankreich) und Spinwatch (Großbritannien).
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