Aus der Lobbywelt

„Bei der Korruptionsbekämpfung sind wir noch in der Steinzeit“

Bei der Korruptionsbekämpfung hat es bedeutende Fortschritte gegeben. Trotzdem befinden wir uns noch in der „Steinzeit“. Das sagt Christophe Speckbacher. Der Franzose muss es wissen. Er war 20 Jahre beim Europarat für die Themen Korruption und Lobbyismus zuständig. Ein Interview.
von 20. März 2019

In der Politik geht es um Macht und Geld. Das macht sie anfällig für Korruption. Foto: Pixabay. von Pixabay Public Domain

Die Grenze zwischen Korruption und Lobbyismus verläuft mitunter fließend. Wenn sich jemand damit auskennt, wo Deutschland und Europa diesbezüglich stehen, dann ist das Christophe Speckbacher. Der Franzose war knapp 20 Jahre Verwaltungsbeamter bei GRECO. Das ist jene Staatengruppe, welche der Europarat 1999 gegründet hatte, um die Korruption europaweit zu bekämpfen. Nun verlässt Speckbacher GRECO, um einen neuen Posten innerhalb des Europarates anzunehmen. Mit ihm sprach Timo Lange.

LobbyControl: Sie blicken auf 20 Jahre Korruptionsbekämpfung in Europa zurück. Wie fällt ihr Fazit aus?

Speckbacher: Ich würde gerne sagen, dass wir die Korruption in den letzten 20 Jahren um 50, 30 oder 20 Prozent minimieren konnten. Aber das geht leider nicht. Es gibt weiterhin sehr viele Gesellschaftsbereiche – ob Bauwirtschaft, Gesundheitswesen oder kommunale Behörden – die von Korruption, Misswirtschaft und Amtsmissbrauch grundsätzlich betroffen sind. Es mag hart klingen, aber eigentlich befinden wir uns bei der Korruptionsbekämpfung noch in der Steinzeit. Dennoch haben wir viel erreicht.
Man muss sich nur daran erinnern, dass noch vor weniger als 20 Jahren Bestechungsgelder weit und breit in Europa steuerabzugsfähig waren und es in vielen Staaten überhaupt keine Antikorruptionspolitik gab, vor allem an der Peripherie Europas.
Aber auch in Ländern, die hier mehr Erfahrung haben, gab es Fortschritte. Zum Beispiel waren in Deutschland und Norwegen verdeckte Ermittlungen zu Korruptionsdelikten lange nicht erlaubt. Telefonüberwachung bei einem Verdacht auf Bestechung war also nicht möglich. Auch bei der Parteienfinanzierung sind wir weiter, fast alle Länder des Europarats haben hier endlich Gesetze und institutionelle Reformen vorgenommen. Und wir haben schließlich dazu beigetragen, dass hochrangige Amts- und Mandatsträger bei Nebentätigkeiten, -einkünften und privaten Interessen transparent sein müssen. Vor 15 Jahren waren klare Verhaltensregeln dazu keine Selbstverständlichkeit.
Das sind Dinge, die man inzwischen fast vergessen hat. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten wir ja fast eine Wild-West-Situation. Die Unternehmen der Exportstaaten bekamen plötzlich Zugang zu Märkten in Osteuropa, Afrika und Südamerika. Oft haben sie sich diese Zugänge mit Geldflüssen erkauft.

Auch in Deutschland gab es da prominente Fälle.

Christophe Speckbacher. Foto: Privat von Christophe Speckbacher

Speckbacher: Ja, wie in eigentlich allen Exportstaaten. Die USA waren bis Ende der Neunziger Jahre eines der wenigen Länder, die Bestechung im Ausland für Geschäftszwecke strafbar machten und ernsthaft verfolgt haben. Die Situation ist heute nicht viel besser als damals. Es sind nach Angaben der OECD und Transparency International nur eine Handvoll Export-Staaten – darunter allerdings Deutschland – die Fälle vor Gericht bringen. Aber das Problembewusstsein ist gestiegen, Gesetze wurden verschärft. Aktuell gibt es neue Risiken, auch wegen des gestiegenen globalen Wettbewerbsdrucks. Umfragen unter Unternehmensmanagern zeigen, dass viele nach wie vor Korruption wahrnehmen, auch in Deutschland. Gleichzeitig sagen sie, dass sie bereit sind, Korruption auch anzuwenden, wenn sie damit ihre Ziele besser erreichen können und ihren Erfolg sichern – und dass dies auch genauso von ihnen erwartet wird. Ich finde das wirklich alarmierend! Auch in wichtigen Branchen wie den Medien – die ja als vierte Macht und als Wachhund dienen – wird der Umfang der Risiken und des Problems erst seit wenigen Jahren erkannt.

Auch beim Thema Parteienfinanzierung haben Sie in den letzten Jahren immer wieder den hohen Reformstau in Deutschland angemahnt. Ein Problem sind zum Beispiel Schlupflöcher im Parteienrecht, die es anonymen Strippenziehern erlauben, die AfD seit 2016 mit verdeckten Wahlkampfhilfen mit einem zweistelligen Millionenbetrag zu unterstützen. Ihre Bewertung?

Speckbacher: Dieses Phänomen der „Drittkampagnen“ kennt man aus vielen Ländern. Hier sieht man, dass bestimmte Akteure durchaus „voneinander lernen“, auch grenzüberschreitend. GRECO hat in der großen Mehrheit seiner Untersuchungen in der Dritten Evaluierungsrunde empfohlen, dass Unterstützungen von Dritten effektiv geregelt werden. Was nützen die schärfsten Gesetzlichen Regelungen zur Transparenz und Prüfung von Spenden, wenn diese durch Übernahmen der Wahlkampf-Kosten oder der Durchführung einer Kampagne durch Dritte umgangen werden können? Oder wenn Spenden indirekt über eine Rechtliche Person übermittelt werden, ohne dass die Spender bekannt gegeben werden? In Frankreich etwa mussten vor einigen Jahren hunderte von Vereinen (sogenannte „micros-partis“) als parteiähnliche Gebilde behandelt werden und ebenso zur Rechenschaftsvorlegung gezwungen werden. Aber um beim Thema Parteienfinanzierung in Deutschland zu bleiben: Problematisch ist aus unserer Sicht das intransparente Sponsoring, die Möglichkeit der Direktspenden an Abgeordnete sowie die Überwachung der Parteienfinanzierung durch die Bundestagsverwaltung.

Wie wichtig ist die Zivilgesellschaft für Ihre Arbeit?

Speckbacher: Extrem wichtig. Die Zivilgesellschaft muss aktiv werden, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Betrachtet man einzelne Länder, ist die Rolle und Effektivität der Zivilgesellschaft allerdings sehr unterschiedlich. In manchen Staaten sind die Organisationen professioneller geworden, haben mehr Erfahrung gesammelt und dadurch Zugang zu Informationsquellen und zu Expertise. Deutschland und England, aber auch Rumänien, sind solche Länder. In anderen Ländern gibt es Rückschritte. Besonders in einigen Ländern Mittel- und Osteuropas beziehen NGOs heute kaum noch Stellung. Das war vor einigen Jahren noch ganz anders. Heutzutage wird kaum mehr über sensible oder problematische Entwicklungen berichtet. Ein Faktor ist dabei auch die Abhängigkeit von Mitteln aus dem Ausland. Das ist ein sensibles Thema, weil das im eigenen Land als ausländische Einflussnahme skandalisiert werden kann.

Nach knapp 20 Jahren Greco: Was wünschen Sie der Organisation zum Abschied?

Speckbacher: Momentan hat der Europarat ja eine Nullwachstums-Haushaltspolitik. Das heißt, dass selbst automatische Kostensteigerungen nicht kompensiert werden und Gehaltserhöhungen zum Beispiel nur durch Wegfall von Stellen finanziert werden. Dann gibt es Länder wie Russland oder die Türkei, die ihre Zuwendungen eingestellt beziehungsweise stark gekürzt haben. Dabei müsste das Gegenteil passieren. Das Thema Korruption wird immer wichtiger, ebenso die Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Menschenrechten und Gleichstellung in Europa. Wir bräuchten deswegen wieder „Lokomotiv-Staaten“, wie damals die 17 Staaten, die GRECO gegründet haben, darunter Deutschland. Sie haben in den 1990ern eine wichtige Rolle gespielt und den „Antikorruptions-Zug“ nach vorne gebracht.

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