Ein ebenso ärgerliches wie beschämendes Jubiläum steht kurz bevor: Seit fast zehn Jahren verschleppt Deutschland die von den Korruptionswächtern des Europarats (Greco) angemahnte Reform der Parteienfinanzierung. Gestern veröffentlichte die Behörde ihren "Zweiten Nachtrag zum zweiten Umsetzungsbericht der dritten Evaluierungsrunde", mit einem vernichtenden Urteil: Das deutsche Regelwerk "bleibt hinter europäischen Standards zurück". Den Grund dafür benennt Greco auch: "Ein klarer Mangel an politischem Willen".
"Deutschland bleibt hinter den europäischen Standards zurück"
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Oberaufseher über die Parteienfinanzierung in Deutschland, wehrte die Kritik umgehend ab: Die Transparenz der Parteienfinanzierung in Deutschland sei "auf einem hohen Niveau". Schäuble misst Niveau offensichtlich nicht nach europäischen Maßstäben. Denn das deutsche Transparenzniveau könnte zwar im Vergleich mit Panama, Aserbaidschan oder der Antarktis als einigermaßen "hoch" gelten. Allerdings liegt Deutschland in Europa - und muss sich vom Europarat an europäischen Standards messen lassen.
Schäuble demonstriert, warum die Kritik berechtigt ist
Schäubles Teflon-Replik beweist leider erneut, wie berechtigt die Kritik der Greco an deutschen Missständen ist. Greco bemängelt unter anderem, dass hierzulande die Aufsicht über die Parteienfinanzierung nicht bei einer neutralen Stelle liegt, sondern bei einem Parteipolitiker. Schäubles Amtsvorgänger Norbert Lammert sah dies ebenfalls kritisch und hätte den Aufgabenbereich am liebsten einer unabhängigen Kontrollinstanz zugewiesen.
Schäuble allerdings erweckt den Eindruck, den Interessenkonflikt, in dem er sich befindet, nicht einmal wahrzunehmen. Ins Amt kam er vorbelastet: Schäuble persönlich war in den CDU-Parteispendenskandal verwickelt, nahm 100.000 D-Mark Schwarzgeld vom Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber an. Als eine Konsequenz aus dem Skandal wurden die Transparenzregeln in Deutschland geringfügig verschärft. Wenn für Schäuble trotz zahlreicher fortbestehender Missstände damit bereits das letzte Wort gesprochen ist, gehört die Kontrolle der Parteifinanzen definitiv in andere Hände.
Seit 2009 unveränderte Liste von Mängeln
Die Mängelliste der Greco ist lang und seit 2009 unverändert - nachlesbar auch im Blog zum letzten Greco-Bericht: Es fehlt in Deutschland an Transparenz bei Großspenden sowie bei Spenden an Abgeordnete und Kandidat*innen. Es gibt keine zeitnahe Rechenschaftspflicht für Wahlkampfspenden. Die Kontrolle der Parteifinanzen ist zu schwach, die Sanktionen sind zu zahnlos.
Auch wir haben immer wieder diese und andere Punkte vorgebracht - in direkten Gesprächen mit Politiker*innen oder in Aktionen wie aktuell zu verdeckter Wahlkampffinanzierung. Doch trotz wiederkehrender Skandale (ob "Rent-a-Sozi", "Rent-a-Rüttgers" oder der aktuelle AfD-Skandal) bewegt sich in der Gesetzgebung immer noch nichts. Stattdessen spielen die Regierungsparteien Schwarzer Peter: die SPD wirft der CDU/CSU Blockadehaltung vor - und die Union wirft der SPD vor, dass sie sich nicht tiefer "in die Bücher schauen" lassen wolle.
Hinhalte-Spielchen im Bundestag
Auch Greco erlebt und protokolliert diese deutschen Hinhalte-Spielchen in aller Nüchternheit. Das Spiel geht so: Der Europarat schickt einen blauen Brief an die Bundesregierung und mahnt Reformen an. Der deutsche Justizminister schreibt daraufhin an den Bundestagspräsidenten, um dessen Stellungnahme zu erbitten. Der Bundestagspräsident reicht die Anfrage des Ministers an den Innenausschuss des Bundestags weiter. Der/die Ausschussvorsitzende lässt die Anfrage dann erst einmal liegen. Erst wenn die Akte streng zu riechen beginnt, wird geantwortet - und zwar ausweichend. Das dokumentiert die Greco dann in ihrem nächsten Mahnbrief. Eine solche Runde Schwarzer Peter dauert übrigens ein Jahr oder auch länger.
2016/2017 etwa brauchte der damalige Ausschussvorsitzender Ansgar Heveling (CDU) neun Monate für die Mitteilung, dass man vorläufig nichts reformieren könne, weil in sechs Monaten ja ein neuer Bundestag gewählt werde. 2018 gab die derzeitige Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) nach fünf Monaten kund, dass man das Thema vorerst nicht beraten könne. Dazu benötige man zunächst das Gutachten einer Sachverständigen, der Würzburger Professorin Stefanie Schmahl. Zehn Wochen nach Lindholz' Auskunft lag Prof. Schmahls Gutachten dem Ausschuss vor. Doch weiter geschah nichts. Nichts, nicht einmal eine Beratung.
Kein politischer Wille
Grecos Schlussfolgerung nach zehn Jahren: In Deutschland fehlt der politische Wille, mehr Transparenz in die Parteifinanzen zu bringen. Zumindest bei den Regierungsfraktionen.
Dazu passt, dass die Würzburger Jura-Professorin Schmahl, ohne deren Gutachten der Innenausschuss angeblich beratungsunfähig war, keine ausgewiesene Expertin für Parteienfinanzierung ist. Zumindest findet sich in ihrer langen Veröffentlichungsliste kein Beitrag zu diesem Thema.
Allerdings ist Prof. Schmahl unter anderem Herausgeberin eines umfangreichen Werks über den Europarat. Also jene Institution, die den Ausschuss regelmäßig mit Reformforderungen nervt. Und die Institution, die der amtierenden Bundestagsabgeordnete Karin Strenz (CDU) und dem Ex-Abgeordneten Eduard Lintner (CSU) lebenslang Hausverbot erteilte. Wegen nicht offengelegter Interessenkonflikte - und damit verbundenen Korruptionsvorwürfen.
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