Handelspolitik

Cecilias Vermächtnis

Cecilia Malmström blickt auf fünf bewegte Jahre an der Spitze der EU-Handelskommission zurück. Geprägt waren sie vor allem durch zivilgesellschaftliche Proteste gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA. Ihre Initiative „Trade for all“ sollte mehr Transparenz und zivilgesellschaftlicher Partizipation in die europäische Handelspolitik bringen. Was hat sie erreicht? Zum Ende ihrer Amtszeit ziehen wir Bilanz.
von 13. September 2019

Cecilia Malmström blickt auf fünf bewegte Jahre an der Spitze der EU-Handelskommission zurück, geprägt vor allem durch zivilgesellschaftliche Proteste gegen Freihandelsabkommen. Malmström trieb die Fertigstellung zahlreicher Verträge voran und startete mit „Trade for all“ eine Initiative, die einen Wandel der Handelspolitik hin zu mehr Transparenz und zivilgesellschaftlicher Partizipation bewirken sollte. Zum Ende ihrer Amtszeit ziehen wir Bilanz.

Johannes Jansson - CC-BY 3.0
© Johannes Jansson/norden.org [CC BY 2.5 dk]

Bereits der Amtsantritt Malmströms im November 2014 fiel in turbulente Zeiten, die TTIP-Verhandlungen gestalteten sich weit schwieriger als anfangs gedacht. Denn im Verlauf des Jahres 2014 hatte sich eine gewaltige zivilgesellschaftliche Protestbewegung gegen das Handelsabkommen mit den USA formiert. Die Kritiker*innen griffen dabei nicht nur zahlreiche Inhalte des Vertrags an, sondern auch die hohe Intransparenz der Verhandlungen. Zudem wurde bekannt, dass die Verhandler*innen 92 % der Konsultationen mit Lobbyist*innen aus Wirtschaft und Industrie geführt hatten. Die Handelskommissarin sah sich zu Zugeständnissen gezwungen. Ihre Initiative „Trade for all“ sollte der EU zum weltweiten Spitzenstatus in Sachen Offenheit und Sichtbarkeit verhelfen. Handelspolitik, so Malmström, müsse der gesamten Gesellschaft zugute kommen und europäische Standards und Werte befördern. Anliegen wie nachhaltiger Entwicklung, Menschenrechten und fairem Handel werde man in Zukunft mehr Rechnung tragen.

Die "transparenteste Handelspolitik" weltweit?

Welche Erfolge kann die Handelskommission diesbezüglich nach fünf Jahren Arbeit vorweisen? Glaubt man der Kommissarin selbst, dann sind das eine ganze Menge. Im Mai 2019 verkündete die Website der DG Trade stolz, die EU-Handelspolitik habe sich zu einer der „transparentesten der Welt“ gemausert. Der Beweis: 130 „zivilgesellschaftliche Dialoge“ und 6000 veröffentlichte Dokumente. Diese Zahlen klingen erst einmal eindrucksvoll, und tatsächlich gab es einige positive Entwicklungen: So veröffentlichte die Kommission von Beginn an ihre Positionen bei den Verhandlungen mit Australien und Neuseeland. Insgesamt vermitteln die genannten Zahlen aber ein geschöntes Bild. Denn bei den veröffentlichten Materialien handelt es sich vielfach um Factsheets, Richtlinien oder Absichtsbekundungen – brisante Dokumente wie Verhandlungsmandate, Vertragsentwürfe oder Gesprächsprotokolle behält die Handelskommission nach wie vor zurück. So verhielt es sich auch bei aktuellen oder kürzlich abgeschlossenen Verhandlungen wie Mercosur und JEFTA.

Was den Verweis auf die „Dialoge“ betrifft: Erstens sind diese bei weitem kein Abbild der Zivilgesellschaft, sondern regelmäßig von Konzernlobbys dominiert. Und zweitens unterschlägt die Handelskommission dabei eine andere wichtige Zahl: Von den 1.088 Lobbytreffen, die ihre Vertreter*innen seit 2014 führten, fanden 861 mit Konzern- und Verbandslobbyist*innen statt. Das entspricht 80 % aller Gespräche. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum hatten Vertreter*innen von NGOs und Zivilgesellschaft nur 114 Mal Gelegenheit, ihre Anliegen vorzubringen. (Quelle: Integrity Watch)

Malmströms „Wahrheiten“ über Freihandel

Vielleicht weiß Malmström auch insgeheim, dass ihre „Transparenzoffensive“ die Erwartungen nicht erfüllt hat. Und nimmt deshalb das Ende ihrer Amtszeit zum Anlass, den ganz großen Bogen zu spannen. Das lässt zumindest ihre kürzlich gehaltene Rede zu „Truths about Trade“ vermuten. Vieles war daran bemerkenswert, beginnend bei ihrem einleitenden Vergleich: Kritik am Freihandel, so Malmström, beruhe nicht auf Belegen und Tatsachen, sondern auf falschen, aber populären Missverständnissen. Vergleichbar sei das mit der Position der sogenannten „Flat Earthers“: Personen also, die trotz naturwissenschaftlicher Gegenbeweise glauben, dass die Erde flach ist. Im Grunde also setzt sie Kritik am Freihandel mit Verschwörungstheorien auf eine Stufe. „Freihandel ist für alle gut“ soll also ebenso Naturgesetz sein wie die Kugelform unseres Planeten. Ihre Argumentation sieht zusammengefasst so aus: Zölle dienten nicht dem allgemeinen Schutz der heimischen Wirtschaft, sondern schützten nur einzelne Industrien. Vom Handel profitierten nicht nur große Konzerne, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen. Freihandel habe nicht nur wirtschaftlichen Wohlstand zum Ziel, sondern bringe Kulturen und Menschen näher zusammen. Auch gegen den Klimawandel sei er probates Mittel. Zuletzt bemerkt die Kommissarin mit Blick auf die Welthandelsorganisation WTO, dass diese weder nutzlos noch überholt sei, sondern für den globalen Handel so wichtig wie der Sauerstoff zum Atmen. Sie beschließt ihre Rede mit dem Appell daran „die eigenen vorgefassten Meinungen durch intensives Forschen und Verstehen in Frage zu stellen“.

Mit Scheinargumenten gegen Freihandels-Kritik

Ein guter Hinweis, den die scheidende Handelskommissarin aber besser an sich selbst gerichtet hätte. Denn ihr Vortrag hantierte vor allem mit Scheinargumenten und Erwartungen über zukünftige Entwicklungen. So richtete

M0tty - CC-BY-SA 4.0
TTIP-Protest in Brüssel, 2016 © M0tty [CC BY-SA 4.0]

sich die Kritik am Abbau von Zöllen in der Vergangenheit vielfach nicht darauf, dass dies der heimischen Wirtschaft schadet. Sondern vor allem auf die Auswirkungen, die Zollabbau im Rahmen der Liberalisierungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf Länder des globalen Südens mit sich brachten. Ähnlich verhält es sich mit der WTO selbst: Nicht ihre vermeintliche „Nutzlosigkeit“ war in der Vergangenheit Gegenstand freihandelskritischer Debatten. Kritik zog sie in erster Linie auf sich, weil sie zu gut funktionierte – das aber nur für bereits „entwickelte“ Länder, allen voran die USA. Unterm Strich aber hat die WTO die Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern verschärft, und viele der ärmeren Länder des Südens in eine Abwärtsspirale aus Schulden, Rezession und Armut gestürzt.

Malmström operiert hier mit Strohmännern. Wesentliche Kritik an Freihandel und Handelsverträgen hingegen – der gefährliche ISDS-Mechanismus, der ungleiche Zugang von Interessen, die ungebrochene Orientierung am Wirtschaftswachstum – bleibt unerwähnt.

Wackeliges Fundament

Ihr eigenes Freihandels-Plädyoer untermauert Malmström indes nicht mit belastbaren Fakten, sondern vagen Prognosen: So räumt sie ein, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im globalen Handel unterrepräsentiert und weniger konkurrenzfähig sind. Deshalb habe die Kommission damit begonnen, entsprechende Bestimmungen in Handelsabkommen aufzunehmen. Dabei unterschlägt sie, dass dies selbstverständlich keine Garantie für den Erfolg von KMU auf dem Weltmarkt ist – und damit auch keine Freihandels-“Wahrheit“. Auch ihre Aussagen zu positiven Beiträgen des Freihandels zu Klimaschutz und Menschenrechten gründen letztlich nur auf vagen Hoffnungen: Freihandel könnte dazu beitragen, die Umwelt zu schützen. Er könnte Firmen dazu bewegen, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Freihandelsverträge könnten durch entsprechende Bestimmungen andere Länder zu verbessertem Schutz bewegen. Vor allem die letzte Behauptung verblasst vor den heftigen Protesten von Menschenrechts- und Umweltorganisationen gegen das Mercosur-Abkommen. Diese befürchten, dass die dort verankerten Exportquoren etwa für Rindfleisch und Soja die Zerstörung des Amazonas und indigener Kulturen noch beschleunigen werden.

Unsere Bilanz

Nach fünf Jahren Handelspolitik unter der Leitung von Cecilia Malmström müssen wir feststellen: Es hat zwar Verbesserungen geben. Von substantiellen Änderungen in Bezug auf Transparenz, demokratische Kontrolle und einer am Allgemeinwohl ausgerichteten Handelspolitik kann allerdings nicht die Rede sein.

Der Nachfolger

Ob der neue Handelskommissar Phil Hogan einen Wandel herbeiführen wird? Sein bisheriger Werdegang spricht nicht dafür: Unter Präsident Juncker war er als Landwirtschaftskommissar maßgeblich an den Verhandlungen zu TTIP und Mercosur beteiligt. Beide verliefen intransparent, die (vorgesehenen) Inhalte waren und sind brandgefährlich. Nun soll Hogan beides richten, die Leitlinie seiner Politik gibt das sogenannte „Mission statement“ der Kommissionspräsidentin vor. Darin enthalten: die Aufforderung, für umfassende Transparenz zu sorgen, Nachhaltigkeit in allen Handelsverträgen zu verankern und einen regen Austausch mit der Zivilgesellschaft sicherzustellen. Wir werden seine Arbeit intensiv begleiten. Und hoffen, dem neuen Handelskommissar in fünf Jahren ein besseres Zeugnis ausstellen zu können als seiner Vorgängerin.

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