Lobbyregister

Eng verdrahtet: Wirecards Lobbygeflecht

Es ist einer der größten Wirtschaftsskandale der letzten Jahrzehnte: Im Fall Wirecard ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und seit kurzem sogar wegen „gewerbsmäßigem Bandenbetrug“. Ein besonderes Schlaglicht wirft der Fall Wirecard aber auch auf Lobbyeinflüss auf höchster Ebene – und mangelhafte Lobby-Regeln in Deutschland.
von 24. Juli 2020
Leo Molatore - CC-BY-SA 2.0
Die Wirecard-Konzernzentrale in München. Bild: Leo Molatore, CC BY-SA 2.0

Es ist einer der größten Wirtschaftsskandale der letzten Jahrzehnte: Noch nie zuvor musste ein in Deutschlands Aktienleitindex DAX notiertes Unternehmen Insolvenz anmelden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und geht seit kurzem sogar von „gewerbsmäßigem Bandenbetrug“ aus. Im Fokus stehen aber nicht nur die Konzernführung und die beteiligten Wirtschaftsprüfer - sondern auch die Aufsichtsbehörden und die Bundesregierung, insbesondere die Bafin und das Finanzministerium. Haben die Aufseher und die Politik zu lange weggeschaut, zu spät gehandelt? Kommende Woche wird der Finanzausschuss im Bundestag für eine Sondersitzung zusammenkommen, ein Untersuchungsausschuss wird von der Opposition, aber auch von immer mehr SPD-Politiker:innen gefordert. Es ist klar, dass hier lückenlos aufgeklärt werden muss.

Fall zeigt: Lobbyismus muss transparent werden

Ein besonderes Schlaglicht wirft der Fall Wirecard aber auch auf Lobbyeinfluss auf höchster Ebene. Ein ehemaliger Bundesminister und ein pensionierter Staatssekretär intervenierten im vergangenen Jahr im Kanzleramt und im Finanzministerium, um die Bundesregierung für Wirecards Pläne einzuspannen - mit Erfolg. Und während sich die Schlinge um Wirecard schon zuzog, bekam Konzernchef Braun noch eine Audienz bei Finanz-Staatssekretär Kukies (Ex-Goldman Sachs), bei der die laufenden Sonderprüfungen beim Konzern Thema waren.

Bekannt wurden diese Lobby-Verbindungen erst jetzt, aufgrund von Spiegel-Recherchen. Gäbe es in Deutschland zeitgemäße Regelungen für Lobbytransparenz, hätte die Öffentlichkeit schon frühzeitig davon gewusst.

Derzeit verhandeln die Union und die SPD im Bundestag über die Ausgestaltung eines Lobbyregisters, das nach der Sommerpause vorgestellt werden soll. Der Fall Wirecard und auch die Lobbyarbeit für die im Fall Philipp Amthor ins Rampenlicht geratene US-Firma Augustus Intelligence sollten der Koalition dabei zu denken geben: Das Lobbyregister muss auf jeden Fall so ausgestaltet werden, dass Lobbyarbeit bei der Bundesregierung, wie sie hier stattfand, frühzeitig sichtbar wird. Das heißt: Ein Lobbyregister darf nicht nur für den Bundestag gelten - sondern muss unbedingt auch diejenigen Lobbyakteure erfassen, die ausschließlich beim Kanzleramt und den Ministerien an die Tür klopfen.

Vertritt fragwürdige Unternehmen: Ex-Minister Guttenberg

Sowohl bei Augustus Intelligence als auch nun im Fall Wirecard spielte der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine Rolle. Wirecard hatte seine in New York City residierende Firma, Spitzberg Partners, schon 2016 als externen Berater angeheuert. Spitzberg Partners sollte insbesondere Wirecards Markteintritt in China begleiten. Wirecard wollte dort die - ebenfalls skandalumwitterte und in China gegen Gesetze verstoßende - Firma Allscore übernehmen.

Guttenberg intervenierte gleich mehrmals im Finanzministerium und im Kanzleramt, telefonierte unter anderem mit Merkel persönlich. Und er erreichte, dass die Bundesregierung den geplanten Markteintritt Wirecards in China „flankierte“ - und dies zu einer Zeit, als bereits eine von der BaFin beauftragte Sonderprüfung Wirecards aufgrund des Verdachts auf Bilanzfälschung lief. Die Bundesregierung gab auf Nachfragen des Spiegels sogar zu, dass sich die Kanzlerin persönlich in China für Wirecard eingesetzt hat. Dabei lagen dem Kanzleramt zu diesem Zeitpunkt bereits Informationen des Bundesfinanzministeriums über die Verdächtigungen gegenüber Wirecard vor, was den Vorgang zusätzlich fragwürdig macht.

Guttenbergs Anruf hatte für Merkel jedoch offenbar größeres Gewicht - auch wenn es erstaunen mag, dass ein Ex-Minister, der vor Jahren wegen seiner plagiierten Doktorarbeit das Amt verlor, auch heute noch im Kanzleramt direkt zur Chefin durchgestellt wird. Mit einem verpflichtenden Lobbyregister wäre sichtbar geworden, dass Guttenberg als Lobbyist unterwegs war: für Wirecard, für Augustus Intelligence - und möglicherweise noch für andere Unternehmen, für die er seine Kontakte in die Berliner Führungsebene inzwischen einsetzt.

Welche Rolle spielte der ehemalige Geheimdienst-Beauftragte?

Noch ein weiterer CSU-Mann agierte als Wirecard-Lobbyist: Klaus-Dieter Fritsche. Fritsche hat eine lange Karriere als hoher Beamter hinter sich und wurde 2018 regulär in den Ruhestand versetzt. Er war Vize-Präsident beim Verfassungsschutz, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und zuletzt Geheimdienst-Beauftragter im Rang eines Staatssekretärs im Bundeskanzleramt.

An dessen Tür klopfte Fritsche im Auftrag von Wirecard - und traf sich am 11. September 2019 gemeinsam mit Vertretern des Konzerns zum Gespräch mit Merkels Abteilungsleiter für Wirtschaft und Finanzen, Lars-Hendrik Röller. Der Termin fand wenige Tage nach Merkels China-Reise statt.

Kurz zuvor hatte Guttenberg bereitsvon Röller die Zusage über die politische Flankierung der Wirecard-Expansion nach China bekommen. Welche Rolle spielte hier also Fritsche? Laut Fritsche wurde er von „einem Freund“ angesprochen, für Wirecard tätig zu werden. Für seinen Lobbyeinsatz erhielt er ein Honorar.

Fritsches Lobbyeinsatz weist auf mangelnde Karenzregeln hin

Das wirft weitere Fragen auf: Als Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt war Fritsche in einer besonders verantwortungsvollen Position. Das Bundesbeamtengesetz legt in Paragraf 105 fest, dass ausgeschiedene Beamte Erwerbstätigkeiten oder sonstige Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes gegenüber ihrer früheren Dienststelle anzeigen müssen, hier also dem Kanzleramt. Hat Fritsche seinen bezahlten Lobbyjob dem Kanzleramt angezeigt? Und hat dieses die Tätigkeit genehmigt? Das Gesetz legt nämlich ebenfalls fest, dass die Tätigkeit zu untersagen ist, „soweit zu besorgen ist, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden.“

Man könnte durchaus argumentieren, dass durch einen solchen Lobbyjob dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können. Mit einer richtigen Karenzzeit sind die Regelungen des Bundesbeamtengesetzes jedenfalls nicht vergleichbar. LobbyControl fordert eine solche Abkühlphase schon lange auch für beamtete Staatssekretäre, insbesondere wenn es um Wechsel in Lobbyjobs geht. Für parlamentarische Staatssekretäre und Minister gilt inzwischen eine weitergehende Regelung. Mehr dazu im Lobbyreport.

Brisant bleibt die Frage, wofür Wirecard jemanden wie Fritsche eigentlich brauchte. Ging es auch um seine besonderen Kenntnisse und Beziehungen zu Nachrichtendiensten? Fritsche und der untergetauchte Wirecard-Manager Marsalek hatten beide enge Kontakte zum ehemaligen österreichischen FPÖ-Innenminister Kickl. Kickl heuerte Fritsche kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt als Berater an – was dieses damals völlig unproblematisch fand und genehmigte. Scharfe Kritik daran gab es es unter anderem vom ehemaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP). Marsalek wiederum soll Geheim-Informationen aus Österreichs Innenministerium und Verfassungsschutz weitergegeben und mit russischen Diensten zusammengearbeitet haben. Nach Informationen des Handelsblatts halte er sich inzwischen in Russland auf, der russische Militärgeheimdienst GRU soll dabei behilflich gewesen sein.

Wie hätten Lobby-Regeln geholfen?

Klar ist, dass Regeln für den Lobbyismus den Fall Wirecard nicht verhindert hätten. Die Konzernführung ging offenbar über viele Jahre mit krimineller Energie vor, die ermittelnde Staatsanwaltsschaft München geht davon aus, dass bereits 2014 Einnahmen bewusst vorgetäuscht wurden. Erste Medienberichte über Unregelmäßigkeiten gab es schon 2008. Trotzdem konnte der Konzern noch jahrelang operieren und in den DAX aufsteigen. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass jetzt die Rolle der Aufsichtsbehörden und auch der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sehr kritisch beleuchtet wird.

Verbesserte Lobbytransparenzregeln hätten aber möglicherweise verhindert, dass sich die Bundesregierung und sogar die Kanzlerin persönlich für Wirecards Zwecke einspannen ließen. Sie hätten das Augenmerk frühzeitig auf die Lobbyinterventionen von Guttenberg, Fritsche und Braun gelenkt. Da es bereits damals klare Hinweise auf schwerwiegende Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gab, hätte das frühzeitig zu öffentlichen Nachfragen und Kritik führen können - und dazu, dass die Bundesregierung ihr Vorgehen anders gestaltet.

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