Menschen aufklären, damit sie immun werden gegen Lobbystrategien – das ist eines der Ziele, das die Autorinnen Susanne Goetze und Annika Joeres mit ihrem neuen Buch erreichen wollen: "Die Klimaschmutzlobby. Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen". Im Interview mit uns berichtet Annika Joeres von den Strategien von Klimaleugnern und Klimabremsern, der Rolle des französischen Klima-Bürgerrates und der Lobbyarbeit der Luftfahrtindustrie. Ihr Fazit ist klar: Die Klimaschmutzlobby muss entlarvt werden, dazu braucht es auch mehr Lobbytransparenz.
LobbyControl: Frau Joeres, was hat Sie dazu geführt, ein Buch über die „Klimaschmutzlobby“ zu schreiben?
Annika Joeres: Meine Kollegin Susanne Götze und ich recherchieren schon lange über die Klimakrise und die Lobbys, die Fortschritt verhindern. Wir haben uns die ganz einfache Frage gestellt: Warum erreichen wir unsere Klimaziele nicht? Wie kann es sein, dass offensichtlich dringliche Gesetze nicht verabschiedet werden? Die Antwort liefert nun erstmalig unser Buch: Es liegt an vielen verschiedenen Netzwerken, die sehr erfolgreich Fortschritt verhindern und es beispielsweise geschafft haben, den Kohleausstieg auf 2038 hinauszuzögern.
Und wer genau ist die Klimaschmutzlobby? Was verstehen Sie unter dem Begriff?
Aus unserer Sicht setzt sich die Klimaschmutzloby aus drei Gruppen zusammen, die sich teilweise überschneiden: Zunächst einmal die Klimawandel-Leugner, also diejenigen, die behaupten, es gebe keine Klimakrise oder sie sei nicht menschengemacht. Die sind in den USA mit dem Heartland Institute sehr einflussreich, in Deutschland ist Ihr Pendant das EIKE-Institut. Die Leugner wiederum sind eng mit den Rechtspopulisten verbunden, die deren Argumente aufgreifen. Zu ihnen gehört natürlich hierzulande die AfD, weltweit aber auch Donald Trump oder der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, die Klimagesetze zurückgedreht und der Öl- und Gasindustrie beispielsweise neue Rechte für Bohrungen eingeräumt haben.
Die wirklich einflussreiche Gruppe ist aber die der Bremser: Das sind Personen in Ministerien, in der EU-Kommission, in Denkfabriken, die zwar stets behaupten, die Klimakrise bekämpfen zu wollen – aber letztendlich notwendige Reformen verhindern, beispielsweise, Verbrennerautos frühzeitig zu verbieten.
Mit welchen Strategien blockiert die Klimaschmutzlobby denn den Klimaschutz? Können Sie Beispiele nennen?
Ja, es gibt eine Reihe davon, aber eine sehr erfolgreiche Strategie ist es, immer auf das Morgen zu vertrösten. Diese Strategie hat die Luftfahrtindustrie seit Jahrzehnten davor bewahrt, eine Kerosinsteuer zu bezahlen. Sie behauptete vor 20 Jahren, bald mit Solarkraft zu fliegen, 2008 war es die tropische Kletterpflanze Jatropha, die angeblich bald in den Tanks landen würde. Und dieses Jahr verkündet Airbus erneut, in einigen Jahren klimafreundlich zu fliegen. Das Problem dabei: Diese angeblichen Fortschritte werden mit großem Tamtam verkündet – und dann still und leise beerdigt. Die Luftindustrie stößt jedes Jahr mehr Emissionen aus, es gibt keinen Fortschritt, nur Ankündigungen. Airbus ist noch für eine weitere Strategie beispielhaft: Die Lobbyisten des Konzerns sind so nah dran an der EU-Kommission, dass sie vor der Verhandlung zu neuen Grenzwerten direkt nach ihren „red lines“ gefragt wurden. Im Prinzip wurde die Industrie also gefragt, welcher Grenzwert ihnen recht ist – und nicht, welcher Grenzwert für die Klimaziele notwendig ist. Uns liegen diese Emails vor, die dies beweisen.
Welche Teile der Klimaschmutzlobby sind in Deutschland besonders einflussreich?
Ja, das sind die Bremser in den Ministerien und einige Denkfabriken, die mit ihnen verbunden sind. Beispielsweise die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, INSM. Ein marktradikaler Thinktank, bezahlt vom Arbeitgeberverband der Metallindustrie, also letztlich von Autofirmen. Die INSM kämpft grundsätzlich gegen staatlichen Einfluss, etwa durch Mindestlohn, und will jetzt höhere CO-Preise verhindern. In ihren Reihen finden sich ehemalige Politiker, Vorsitzender war der kürzlich verstorbene Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und viele ihrer Mitglieder sitzen als angeblich neutrale Expert:innen in Talkshows, ohne als befangen geoutet zu werden. Die INSM hat zudem Unterstützer im Wirtschaftsministerium, etwa den Staatssekretär Thomas Bareiß, der sich in einem Facebook-Video für eine schwache Besteuerung von CO2 ausspricht. Zudem kooperieren sie mit dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), das Studien produziert, in denen etwa die Jobs in der Kohleindustrie künstlich aufgebauscht werden. Es ist also ein Zusammenspiel aus Politikern, Denkfabriken und befangenen Forschungsinstituten.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie spielt eine entscheidende Rolle bei der Diskussion um die richtigen Maßnahmen. Welchen Einfluss hat die Klimaschmutzlobby auf das Ministerium bzw. innerhalb des Ministeriums?
Einen großen Einfluss. Es werden dort keine Geldkoffer über die Schreibtische gereicht, nein, die Verbindung zur alten, klimaschädlichen Industrie des 20. Jahrhunderts reicht viel tiefer: Viele Beamte und der Minister selbst teilen ideologisch die Interessen von fossilen Großkonzernen. Einige Mitarbeiter haben uns bezeugt, dass alles Grüne und jeder Klimaschutz bei diesen Personen eine Art Störgefühl hervorruft – es ist Ihnen fremd.
Sie haben sich intensiv mit der Szene der Klimaleugner beschäftigt. Welche Rolle spielt diese Szene in Deutschland?
Diese Szene wird von dem EIKE-Institut vertreten, das wiederum eng mit der AfD verbunden ist, EIKE schickt beispielsweise seine Vertreter für die AfD in den Bundestag. Das Institut wird bislang wenig wahrgenommen, ist aber trotzdem gefährlich: Wir wissen, dass das amerikanische, sehr einflussreiche und mit Millionen gesponserte Heartland Institute immer enger mit EIKE zusammenarbeitet und sie so größer werden lässt.
Welche Rolle spielen zivilgesellschaftliche Organisationen und Proteste für den Klimaschutz?
Bewegungen wie Fridays for Future spielen eine große Rolle, natürlich. Sie haben es geschafft, was Wissenschaftler:innen und wir Journalist:innen über Jahre nicht vermochten: Alle Menschen aufmerksam auf die Klimakrise zu machen.
Welche Wirkungsmacht sehen Sie darin, wenn man über Lobbyarbeit, speziell die der Klimaschmutzlobby, aufklärt?
Susanne Götze und ich glauben, es ist der einzige Weg, Ihren Einfluss zu schmälern. Der Sinn unseres Buches ist genau dieser: Die Menschen so aufzuklären, dass sie immun werden gegen Lobby-Strategien. Wenn ich beispielsweise erkenne, dass ein Talkshowgast kein unabhängiger Experte ist, werde ich seine Aussagen nicht mehr für bare Münze nehmen und hinterfragen. Und ich werde mich langfristig für diejenigen Politikerinnen und Politiker entscheiden, die unabhängig sind. Darin ergänzen sich NGOs wie LobbyControl und unser journalistisches Buch: Aufdecken, wo Einzelinteressen die Interessen jedes Menschen gefährden.
Sie leben in Frankreich. Dort gab es einen Bürgerrat, an dem ausgeloste Bürger:innen sich über mehrere Monate intensiv mit dem Klimaschutz beschäftigt haben und Empfehlungen für die Politik ausgearbeitet haben. Wie schätzen Sie die Wirksamkeit eines solchen Bürgerrats ein? Ist das auch ein Modell für Deutschland?
Ja, dieser Bürgerrat zeigt wirklich einen neuen Weg auf: 150 zufällig ausgeloste Bürger:innen legen fest, wie Frankreich 40 Prozent weniger bis 2013 emittieren kann. Diese Gruppe hat sich sieben Wochenenden lang getroffen und am Ende neue Ideen entwickelt: Beispielsweise, arme Menschen mit lokalen Gemüsekörben zu versorgen, Tempolimit von 110 auf der Autobahn, ein neues Radkonzept, dass NGOs die Einhaltung der Pariser Klimaziele einklagen können, weil der Ökozid in der Verfassung verankert ist. Dieses Modell ist erfolgreich, solange die Beschlüsse hinterher auch akzeptiert werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte das einst zugesichert, jetzt hat er einige Vorschläge, wie das Tempolimit, bereits abgelehnt. Also ja, ein Bürgerrat ist sehr wirksam und versöhnt die Menschen mit Klimapolitik – wenn anschließend seine Beschlüsse auch in Gesetze gegossen werden.
Sie schreiben, dass Sie nach Ihren Recherchen wissen, dass die aktuelle Klimapolitik scheitern musste. Als Grund nennen Sie: Die Klimaschmutzlobby hat einen effektiven Klimaschutz in den letzten 30 Jahren blockiert. Wie lässt sich die Klimaschmutzlobby zurückdrängen?
Die Klimaschmutzlobby muss entlarvt werden – dann verliert sie ihre Wirkung. Das geht zum Beispiel durch ein Lobbyregister und Transparenz über sämtliche Treffen, Briefe und Twitternachrichten zwischen Industrielobbyisten und Politiker:innen. Wenn dann öffentlich ist: Dieser oder jener Gesetzestext ist eine Abschrift der Vorlagen beispielsweise von VW oder Airbus, wird er nicht akzeptiert. Wenn allen Menschen klar ist, dass die Autolobbyisten, die Studienschreiber und bestimmte Politiker:innen nicht für uns alle sprechen, sondern nur für eine bestimmte Industrie, verliert dieser an Einfluss. Dafür müssen die Lobbyisten enttarnt werden, wie in unserem Buch.
Zur Person: Annika Joeres arbeitet in Frankreich für die Investigativ-Redaktion correctiv.org und schreibt für verschiedene überregionale Medien wie DIE ZEIT, Süddeutsche Zeitung oder die taz. Für die grenzüberschreitenden Recherchen zu Europa, Frankreich und dem Thema Klimwandel wurde sie u.a. mit dem deutsch-französischen Journalistenpreis geehrt.
Bleiben Sie informiert über Lobbyismus.
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter.
Datenschutzhinweis: Wir verarbeiten Ihre Daten auf der Grundlage der EU-Datenschutz-Grundverordnung (Art. 6 Abs. 1). Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Zur Datenschutzerklärung.