Warum fördert Google Medien mit seiner Digital News Initiative? Der Deal zwischen Redaktionen und Verlagshäusern mit dem Mäzen aus dem Silicon Valley grenzt an Scheckbuch-Diplomatie, wenn Medienmacher sich danach selbst zensieren – und ist geschickte PR, wenn der Gesetzgeber darüber vergisst, das Ungleichgewicht zwischen Plattformen und traditionellen Medien anzugehen. Die Verlage hätten das Geld besser abgelehnt, meinen Ingo Dachwitz und Alexander Fanta
Wie nah darf uns Journalistinnen und Journalisten ein Konzern sein, über den wir kritisch berichten? Google gehört zu den mächtigsten Unternehmen der Welt und ist Gegenstand zahlreicher Recherchen. Reporterinnen und Reporter haben Datenschutzverstöße und Marktmachtmissbrauch des Konzerns aufgedeckt, sie haben seine Verbindungen zum Militär beleuchtet und über Diskriminierung am Arbeitsplatz berichtet. Seit einigen Jahren begegnet Google uns aber immer häufiger auch in ganz anderen Zusammenhängen: Das Unternehmen sponsort Events und Preisverleihungen der Medienbranche, finanziert journalistische Fellowships und Fortbildungen. Seit 2013 schenkte Google europäischen Medienunternehmen gut 200 Millionen Euro, damit sie Innovationsprojekte umsetzen können.
In der Studie „Medienmäzen Google“, die heute von DGB und Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht wird, untersuchen wir dieses komplexe Beziehungsgeflecht. Wir haben dafür mehr als zwei Dutzend Interviews mit Digitaljournalistinnen und -journalisten, Verlagsmanagerinnen und -managern sowie Google-Vertretern geführt. Außerdem zeigen wir in einer Datenanalyse, wohin die Millionen geflossen sind, die Google im Rahmen seiner Digital News Initiative (DNI) zwischen 2015 und 2019 in Europa verschenkt hat.
Konzern geht bei Förderung strategisch vor
In Deutschland zählen Größen wie Der Spiegel, die FAZ und das Handelsblatt zu den Empfängern des DNI-Fonds. Keine Frage: Mit Googles Unterstützung sind viele spannende Projekte realisiert worden, von VR-Experimenten bis zu automatisiertem Journalismus. Tatsächlich sagten uns mehrere Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, dass sie die Technologieprojekte ohne die Förderung des Datenkonzerns kaum umgesetzt hätten. Entscheidend ist allerdings nicht, ob die Verlage das Geld gut gebrauchen konnten, sondern ob sie es wirklich hätten nehmen sollen.
Google verbindet mit seiner Charme-Offensive strategische Ziele. Inzwischen stehen dabei mehr und mehr die hauseigenen Produkte im Fokus, doch durch eine Rekonstruktion ihrer Entstehungsgeschichte können wir zeigen, dass sie in erster Linie eine Reaktion auf den immer stärker werden medienpolitischen Druck der Verlage in den 2010er Jahren entstanden ist. Den Vorgänger des DNI-Fonds entwickelte Google in Frankreich. Er sollte dort eine Debatte um die Beteiligung der Verlage an Googles Werbeeinnahmen befrieden und wurde mit Staatspräsident François Hollande ausgehandelt. Auch die von uns befragten Medienvertreterinnen und -vertreter beschreiben Googles Initiativen fast einhellig als PR-Maßnahme, die das Ziel hat, das zerrütte Verhältnis mit den Medien zu kitten und Regulierung abzuwenden.
Die Folgen von Googles „Engagement“
Was also macht Googles Scheckbuch-Diplomatie mit der Unabhängigkeit der vierten Gewalt? Die gute Nachricht lautet: Die befragten Medienvertreterinnen und -vertreter betonten, dass ihnen kein Fall bekannt ist, in dem Google versucht hat, über die Initiative direkten Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Google selbst hebt hervor, dass die Mittelvergabe strikt von anderen Bereichen des Konzerns getrennt sei und eine überwiegend mit externen Mitgliedern besetzte Jury über die Förderungen entschied.
Die schlechte Nachricht: Sowohl Google als auch der Großteil der Verlage hüllen sich über die Details der Deals in Schweigen. Viele Medien weigern sich sogar, Transparenz über die genaue Höhe der Förderung herzustellen. Mehrere Journalistinnen und Journalisten äußern in unserer Studie Sorgen, dass die neue Nähe zum Datenkonzern zu „Beißhemmungen“ und „Selbstzensur“ führen können. Das gilt besonders bei hohen oder wiederholten Förderungen, sodass eine weitere Normalisierung von Google als Branchen-Sponsor kritisch gesehen werden muss.
Mehr Transparenz nötig
Als neue Herausforderung identifizieren wir dabei, dass die klassische Trennung zwischen Redaktion und Verlag im Kontext von Technologie-Entwicklungsprojekten durchlässiger wird: Wer Innovationen für den Journalismus entwickeln will, muss Redaktionen in diesen Prozess einbinden. In einem Fall waren Journalistinnen und Journalisten, die über Google berichten, sogar federführend für ein von Google finanziertes Projekt zuständig.
Hinzu kommt eine technische Dimension: Kaum ein Nachrichtenmedium kommt heute ohne Produkte von Google aus – bei der Recherche, bei der Kommunikation, bei der Publikation, bei der Monetarisierung. Der Konzern macht wieder einmal das, was er am besten kann: Google wird zur Plattform. Für die Innovationsentwicklung der Medien. Für Branchendiskurse und Nachwuchsförderung. Für den digitalen Journalismus selbst.
Der Pressekodex verlangt von den Medien, dass sie bereits den Anschein einer Einflussnahme durch Geschenke verhindern müssen. In Anbetracht der Vertrauenskrise der Medien erweisen die Verlage ihren Journalistinnen und Journalisten einen Bärendienst, wenn sie sich weigern, die genauen Summen der Google-Zuwendungen zu veröffentlichen. Absolute Transparenz ist die Mindestanforderung, um dem Eindruck unlauterer Geschenke vorzubeugen.
Alternative Förderung wäre von Vorteil für alle (außer Google)
Noch besser wäre es, andere Formen der Innovationsförderung zu realisieren. Denn unsere Datenanalyse zeigt auch, dass Googles Geld Ungleichgewichte in Europas Medienbranche verschärft. Der Großteil der Mittel ist in westeuropäische Länder mit ihren umsatzstarken Medienbranchen geflossen. Auf Platz eins der Empfängerländer liegt Deutschland, es folgen Frankreich und das Vereinigte Königreich. Als einziges Land aus der Region Zentral- und Osteuropa hat es Polen in die Top 10 geschafft. Dem Innovationsnarrativ zum Trotz ist die News Initiative dabei kein Konjunkturprogramm für journalistische Start-ups. Das Feld der Empfänger wird von etablierten, kommerziellen Großverlagen dominiert. Auch Regionalmedien und Non-Profit-Medien sind unterrepräsentiert – wer hat, dem wird gegeben.
Eine Alternative zu Googles Förderung muss deshalb nicht nur transparent und demokratisch gesteuert werden, sondern sollte auch an Gemeinwohlzielen ausgerichtet sein. Das wäre eine Innovation, die die Medien wirklich bräuchten.
Ingo Dachwitz ist Kommunikationswissenschaftler und Redakteur bei netzpolitik.org, sein Kollege Alexander Fanta berichtet als Brüssel-Korrespondent über die Digitalpolitik der Europäischen Union. Gemeinsam haben sie die Beziehungen zwischen Google und den Medien untersucht. Die Studie „Medienmäzen Google“ wurde vom Deutschen Gewerkschaftbund und der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht.
Der Artikel erschien erstmals im Tagesspiegel Background am 26.10.2020.
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