Lobbyismus und Klima

Wie die Gasindustrie sich als Energie der Zukunft inszeniert

Die Gaswirtschaft hat sich in den letzten Jahren erfolgreich als Brückentechnologie für den Klimaschutz ins Spiel gebracht. Dabei greift die Gaslobby auf privilegierte Zugänge zu EU-Kommission und Bundesregierung zurück. Ihr Einfluss ist enorm.
von 21. Dezember 2020
Nord Stream 2/ Axel Schmidt - All rights reserved
Rohrabschnitte für NordStream 2. Quelle: Nord Stream 2 / Axel Schmidt.

Die Gaswirtschaft hat sich in den letzten Jahren erfolgreich als Brückentechnologie für den Klimaschutz ins Spiel gebracht. Dabei greift die Gaslobby auf privilegierte Zugänge zu EU-Kommission und Bundesregierung zurück. Ihr Einfluss ist enorm.

Welche Rolle spielt Gas im Klimawandel?

Während das Ende von Kohle und Öl absehbar ist, genießt Gas einen völlig anderen Status. Es gilt als der klimafreundlichste fossile Brennstoff und daher als notwendige „Brückentechnologie“ in der Energiewende. Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung setzen vorläufig – mindestens bis 2030 – auf Gas als Teil des Energiemixes. Die Gaswirtschaft hat sich als sicheren und vermeintlich sauberen Ersatz für Kohle und Kernkraft ins Spiel gebracht. Und sie hat noch ehrgeizigere Ziele: Wenn es nach Gasunternehmen und Netzbetreibern geht, sollen Gas und Gasinfrastrukturen neben erneuerbarem Strom und Effizienz zur dritten Säule der Energiewende werden. Das würde das Leben dieses fossilen Brennstoffs um Jahrzehnte verlängern.

Gasstrategie 2030: Verhandlungen hinter verschlossenen Türen

Die Gasindustrie profitiert dabei von privilegierten Zugängen zur Politik. So wurde die Gasstrategie der Bundesregierung für 2030 fast komplett hinter verschlossenen Türen verhandelt. Seit Dezember 2018 hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter Peter Altmaier die Gasunternehmen zum Dialogprozess „Gas 2030“ geladen. Außerhalb der Gaswirtschaft war dies kaum jemandem bekannt. Die Treffen fanden in einer exklusiven Runde aus Unternehmenslobbyist:innen und Ministerialbeamten statt; nicht einmal Vertreter:innen des Bundesumweltministeriums waren eingeladen. Schließlich bekam die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Wind von dem Vorgang und kritisierte den einseitigen Beratungsprozess. Genaueres können Sie in unserer Studie zur deutschen Ratspräsidentschaft "Industrie in der Hauptrolle" nachlesen. Die Teilnehmerliste der Treffen wird vom Wirtschaftsministerium weiterhin unter Verschluss gehalten, ein Antrag auf Herausgabe durch das europäische Journaltist:innenkollektiv Investigate Europe wurde abgelehnt.

Methanemissionen werden nicht diskutiert

Keine Rolle spielten bei der Debatte um die Gasstrategie die klimaschädlichen Methanemissionen, die bei Förderung und Transport von Erdgas entstehen. Die Datenlage dazu ist bisher sehr dünn, es wird jedoch geschätzt, dass wesentlich mehr von dem schädlichen Treibhausgas ausgestoßen wird als bisher angenommen. In Deutschland ist es die Gasindustrie selbst, die diese Emissionen misst. Das Umweltbundesamt als staatliche Stelle veröffentlicht zwar die Daten, aber es überprüft sie nicht.

Nord Stream 2 und Flüssiggas: Deutschland investiert massiv in Gasinfrastruktur...

Obwohl eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamts zu dem Schluss kam, dass bei Einhaltung der Klimaziele der Gasbedarf zurückgehen müsste, geht die Gasstrategie 2030 der Bundesregierung letzten Endes von einer steigenden Gasnachfrage aus und drängt daher auf zusätzliche Infrastruktur, um neue Bezugsquellen für Pipelinegas und Flüssigerdgas (LNG) zu erschließen.

Projekte wie Nord Stream 2 und neue LNG-Terminals entlang der deutschen Küste zeigen, dass die Bundesregierung die Empfehlungen der Gaslobby aktiv umsetzt. Sie hat sich massiv und gegen den Widerstand zahlreicher EU-Mitgliedstaaten für den Bau der Pipeline Nord Stream 2 eingesetzt, die von einem Konsortium des russischen Gasgiganten Gazprom gebaut wird, mit finanzieller Unterstützung von fünf europäischen Unternehmen: Uniper (Deutschland/Finnland), Wintershall Dea (Deutschland), Shell (Vereinigtes Königreich/Niederlande), OMV (Osterreich) und Engie (Frankreich). Zwischen Jahresbeginn 2015 und Ende 2017 trafen sich die Finanzinvestoren mindestens 62 Mal mit Vertreter:innen der Bundesregierung, oftmals auf Ministerialebene, um sich über das Pipelineprojekt auszutauschen, wie die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken zeigt. Nach knapp einjähriger Baupause wird der Weiterbau des Projekts derzeit in aller Stille betrieben.

Gleichsam als Befriedung der USA im Handelsstreit und als Antwort auf Sanktionen gegen Nord Stream 2 setzt sich die Bundesregierung zugleich für die neuen LNG-Terminals ein. Im August 2020 hat Finanzminister Scholz dem US-Außenminister angeboten, mit Staatshilfe in Höhe von 1 Milliarde Euro den Import von Erdgas aus den USA zu befördern, wenn diese im Gegenzug auf Sanktionen gegen den Bau von Nord Stream 2 verzichten. Für den Anschluss an das deutsche Gasnetz und um die zusätzlichen Kapazitäten nutzen zu können, wird ein Ausbau der Gasleitungen in Höhe von ca. 800 Millionen Euro nötig, wie die Wochenzeitung die Zeit berichtet. Und obwohl noch gar nicht sicher ist, ob die drei Terminals gebaut werden, ist der Ausbau der Gasnetze zu diesem Zweck bereits im Netzentwicklungsplan gelistet. Die Kosten tragen die Gasverbraucher.

… aber wird sie auch gebraucht?

All diese Infrastruktur wird gebaut, obwohl Untersuchungen über benötigte Gasinfrastruktur davon ausgehen, dass eigentlich fast keine neue in Europa gebraucht wird, sondern wir bereits jetzt mehr als genug davon haben. Laut der amerikanischen Organisation Global Energy Monitor (GEM), die weltweit Daten zu Energie-Infrastrukturprojekten erhebt, verfügt die EU bereits jetzt über doppelt so viel Kapazität für Gasimporte als nötig. Das gleiche gilt für Modellierungen der EU-Kommission, die davon ausgehen, dass der Erdgasverbrauch bis 2050 von momentan 24% auf 3-4% des EU-weiten Endenergieverbrauchs fallen muss. Die EU-Kommission hat deshalb selbst festgestellt, dass die Menge der durch die Europäische Investitionsbank geförderten Vorhaben zum Ausbau der Erdgasnutzung den EU-Klimazielen widerspricht.

Dennoch werden weitere Infrastrukturprojekte im enormen Ausmaß geplant. Nach Berechnungen des europäischen Journalistenkollektivs Investigate Europe plant die Gasindustrie in Europa Investitionen in Höhe von mindestens 104 Milliarden Euro. Deutschland ist dabei das Land mit den zweitgrößten Investitionen in Gaspipelines, in Höhe von knapp 14 Milliarden Euro geplanter oder im Bau befindlicher Projekte.

Gasnetzbetreiber entscheiden über Gasinfrastruktur

Ein Grund dafür, dass so viel neue Infrastruktur geplant wird, ist offenbar, dass bisher die Gasnetzbetreiber selbst damit beauftragt sind, auf Basis verschiedener Bedarfsprognosen den offiziellen Netzentwicklungsplan (NEP) festzulegen. Im Gegensatz zur Planung der Stromnetze sind Klimaziele in der Planung der Gasnetze gar nicht verankert. Damit haben die Gasnetzbetreiber Entscheidungsmacht in Bereichen, in denen sie auch ein klares Eigeninteresse verfolgen. Laut dem klimapolitischen Think Tank E3G werden dementsprechend regelmäßig gasfreundliche Zukunftsszenarien bevorzugt.

Europäischer Rechnungshof kritisiert Überschätzung des künftigen Gasbedarfs

Auf EU-Ebene gilt das gleiche: Hier bestimmt die Energieinfrastruktur-Verordnung, dass eine eigens zu diesem Zweck gegründete Dachorganisation von hauptsächlich Gasnetzbetreibern (Entsog) den Gasinfrastrukturbedarf für die EU ausarbeitet, wie wir mit unserem Netzwerk ALTER-EU in einer Studie zur Konzernmacht in Brüssel bereits 2018 gezeigt haben . Schon 2015 hat dies der Europäische Rechnungshof kritisiert und die EU-Kommission zum Aufbau interner Kapazitäten aufgefordert, um den künftigen Gasbedarf zu prognostizieren, statt dies Externen zu überlassen.

Die Zeche zahlen am Ende die Bürger:innen. Denn die Kosten neuer Gastransportinfrastruktur werden über die Netzentgelte pauschal auf Gasverbraucher:innen umgelegt. Damit besteht in dem bisherigen Verfahren zur Entwicklung der Netzentwicklungspläne ein klarer Interessenkonflikt. Es bedarf dringend anderer Entscheidungsprozesse, wenn es um den Netzbedarf der Zukunft geht. Bei einer Lebensdauer der Infrastruktur von ca. 80 Jahren handelt es sich um langfristige und teure Entscheidungen. Erste Diskussionen sind im Gange: Diese Woche legt die EU-Kommission eine Überarbeitung der Energieinfrastruktur-Verordnung vor, die für die Zukunft ein Ende der Subventionen in Erdgas vorsieht. Bis dahin können allerdings noch viele Gasinfrastukturprojekte verwirklicht werden. Auch in Deutschland gibt es immerhin erste Diskussionen, die Planung für die Netze für Strom, Erdgas, Wärme und Wasserstoff stärker aufeinander abzustimmen.

Die Lobbypower der Gasindustrie

Doch neben dieser strukturellen Bevorzugung über ihre institutionelle Einbindung in Zukunftsinvestitionen hat die Erdgaswirtschaft auch eine starke Lobby. Neben den Netzbetreibern (die sich in Fernleitungsnetzbetreiber wie z.B. Gasunie oder Open Grid Europe) und in Verteilnetzbetreiber (wie kleinere Unternehmen und Stadtwerke) unterteilen, gehören zur Erdgaswirtschaft die Extraktionsunternehmen (z.B. Wintershall DEA, BP, Gazprom, etc.) und die Händler (z.B. Uniper/Fortum). Und es gibt Unternehmen wie Gazprom, die eigentlich all diese Aspekte vereinen.  Allein die hier genannten Unternehmen haben in Brüssel in ihrem letzten angegebenen Geschäftsjahr zusammengerechnet etwa 5 Millionen Euro für Lobbyarbeit ausgegeben, wie eine Analyse der Einträge ins EU-Transparenzregister zeigt (Zahlen nach unserem Onlinetool-Recherchetool lobbyfacts.eu).

Zukunft Erdgas zeigt Gasindustrie als unverzichtbaren Klimaretter

Gemeinsam ist ihnen natürlich das Interesse, das Geschäft mit dem fossilen Brennstoff noch so lange wie möglich weiter zu betreiben. 140 von ihnen haben sich daher im Lobbyverband „Zukunft Erdgas“ zusammengetan, der die Gasindustrie als unverzichtbaren Klimaretter präsentiert. So richtet sich der Verband zum Beispiel seit 2016 mit einer Kampagne an Politik und Meinungsbildner, die feststellt, dass man das Klimaziel bis 2020 verpassen werde – auch deshalb, weil man die immensen Potenziale ignoriere, die Erdgas und klimaneutrale Gase für eine erfolgreiche Energiewende bieten. Ab 1.1.2021 wird sich der Verband in „Zukunft Gas“ umbenennen. Der fossile Brennstoff soll im öffentlichen Auftritt wohl nicht im Vordergrund stehen.

Mitglied im Lobbyverband ist übrigens auch einer der wichtigsten Verbände der Gaswirtschaft – der Bundesverband Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ihm sitzt regelmäßig eine Geschäftsführung vor, die mehr als gute Kontakte in die Politik pflegt: Bis Mai 2016 war dies Hildegard Müller (CDU). Mit ihr hatte der BDEW eine Ex-Kanzleramtsministerin und enge Vertraute von Kanzlerin Merkel als Chef-Lobbyistin in seinen Reihen. Heute ist sie übrigens Chefin des mächtigen Autolobbyverbands VDA. Auch ihr Nachfolger Stefan Kapferer (FDP) hatte als ehemalige Staatssekretär von zwei Ministerien beste Beziehungen zur Bundesregierung. Und am 1. November 2019 wurde Kerstin Andreae, die ehemalige wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, die Hauptgeschäftsführerin.

Die Drehtür schwingt heftig bei der Gasindustrie.

Generell ist die Drehtür zwischen Politik und Gasindustrie stark in Bewegung. Gerhard Schröder ist darunter nur ein wichtiger Name. Ein weiterer bekannter Fall von Seitenwechsel ist Marion Scheller. Die ehemalige Referatsleiterin im Bereich Energiepolitik im BMWi wurde im September 2016 Cheflobbyistin bei Nord Stream. Die Doppelrolle des ehemaligen CDU-Politikers Friedbert Pflüger als Lobbyist und Wissenschaftler hat LobbyControl ausführlich recherchiert. Soeben hat der stellvertretende Generaldirektor für Energie der EU-Kommission, Klaus-Dieter Borchardt, zur internationalen Anwaltskanzlei BakerMcKenzie in Brüssel als „Senior Energy Advisor“ gewechselt.

Beim Einfluss der Gasindustrie mischen sich also problematische Strukturen – die vielleicht einfach noch auf einer alte Energiepolitik basieren, die vor allem auf Versorgungssicherheit setzt, und eine starke Lobby mit extrem guten Netzwerken in die Politik hinein. Diese Mischung ist brisant und gehört dringend aufgebrochen. Das gilt gerade für die strukturelle Einbindung der Gasindustrie in die Entscheidungen zur künftigen Infrastruktur. Es kann nicht sein, dass die Gasindustrie ihre eigenen Zukunftsszenarien entwirft, und dabei unentwegt politische Schützenhilfe bekommt.

Die Gasindustrie wird uns weiter beschäftigen. Im Januar zeigen wir, wie sie sich in der Politik für die Rolle von Wasserstoff und synthetischen Gasen als Energieträger für den Klimaschutz einsetzt und sich so ihr eigene Zukunft sichern will.

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