Tag der Entscheidung bei der CDU: Die nach Stimmanteil größte Partei Deutschlands wählt ihren Parteivorsitzenden auf dem anstehenden digitalen Parteitag. Mit Friedrich Merz drängt erstmals ein Top-Lobbyist in das politische Spitzenamt. Das ist problematisch, weil Merz' Lobbytätigkeit seine Unabhängigkeit gefährdet. Politiker:innen, die Spitzenämter in der Politik übernehmen wollen, müssen frei von Lobbyverpflichtungen sein und klar auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein.
Lobbyist für den CDU-nahen Wirtschaftsrat
Merz hat eine lange Karriere als Lobbyist und Politiker mit Interessenkonflikten hinter sich: Bis März 2020 war er Lobbyist für den Finanzkonzern BlackRock und bereits als Bundestagsabgeordneter fiel er durch seine vielen Nebeneinkünfte auf. Doch auch aktuell betätigt sich Merz als Lobbyist. Das wird in der öffentlichen Diskussion über ihn häufig übersehen.
Nach dem Scheitern seiner ersten Kandidatur für den Parteivorsitze wurde er Anfang 2019 er zum (einzigen) Vize-Präsident des CDU-nahen „Wirtschaftsrat der CDU“ gewählt. Der Wirtschaftsrat ist – anders als es der Name vermuten lässt - kein Parteigremium, sondern ein unternehmerischer Berufsverband. Als solcher dient er Unternehmen als Lobbyforum, das privilegierte Zugänge zur Politik herstellt.
Einfallstor für einseitige Unternehmensinteressen
Der Wirtschaftsrat zählt zu den großen Lobbyverbänden in Deutschland und ist ein zentrales Einfallstor für einseitige Unternehmensinteressen. Der Verband pflegt enge Beziehungen zum Wirtschaftsflügel der Union und zu den CDU-Minister:innen in der Bundesregierung. Die zahlreichen Veranstaltungen des Wirtschaftsrats ziehen regelmäßig Unions-Größen aller Ebenen an – Verkehrsminister Andreas Scheuer bezeichnete die große Jahrestagung als „Pflichtprogramm“ in seinem Kalender.
Auffällig ist auch: Die Präsidentin des Wirtschaftsrats sitzt qua Amt als ständiger Gast im CDU-Bundesvorstand – obwohl das Parteistatut nur Parteifunktionär:innen als Mitglieder vorsieht. Rechtliche Verbindungen zwischen der Partei und dem Wirtschaftsverband gibt es keine, in der Satzung des Wirtschaftsrats wird die CDU nicht erwähnt. Formal ist der Verband ein einfacher unternehmerischer Berufsverband. Die Grenzen zwischen Partei und Lobbyverband sind fließend.
Lobbyarbeit gegen Menschenrechtspflichten und höhere Klimaziele
In jüngster Zeit fiel der Verband durch seine Lobbyarbeit gegen Menschenrechtspflichten in globalen Lieferketten auf. Das geplante Lieferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, in globalen Lieferketten Menschenrechte und Umweltauflagen einzuhalten. Der Wirtschaftsrat sperrte sich gegen diese Auflagen, da sie angesichts der Corona-Krise eine zu hohe „Sonderbelastung“ für Unternehmen seien.
Auch gegen die Verschärfung der europäischen Klimaziele und der Abgas-Grenzwerte für Autos hatte sich der Verband vehement eingesetzt – diese seien „überzogen“, führten zu einer „De-Industrialisierung“ und seien "Gift für die Wirtschaft". Merz' klimapolitische Positionen klingen ähnlich markig: Er warnte, dass mehr Klimaschutz zu einer Zerstörung der „freiheitlichen Lebensweise“ und der „marktwirtschaftlichen Ordnung“ führe. Wirtschaftsrat und CDU-Wirtschaftsflügel bilden eine klare Klimabremser-Allianz.
Merz‘ Lobbyvergangenheit
Zur Erinnerung: Schon als Bundestagsabgeordneter verstand es Merz, seine politische Tätigkeit zu vergolden: Mit seinen zahlreichen Nebeneinkünften zählte er zu den Spitzenverdienern im Bundestag. Gleichzeitig sperrte er sich dagegen, seine Nebeneinkünfte offenzulegen und klagte sogar vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Transparenzpflichten. Die Klage wurde abgewiesen. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik arbeitet Merz in einer Wirtschaftskanzlei, die auch Lobbyberatung betreibt, und sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten.
Als Merz 2018 für den Parteivorsitz kandidierte, war er parallel Lobbyist beim weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock. Als Aufsichtsratschef beim deutschen Ableger des Finanzkonzerns stellte er Kontakte zu Behörden und Regierungen her. BlackRock verfügt mit einem Vermögen von rund 8 Billionen US-Dollar über immense ökonomische und politische Macht, die laut FDP-Mann Michael Theurer „kein Staat mehr kontrollieren kann“. Ob Merz diese Macht beschränken wird, erscheint angesichts seiner beruflichen Vergangenheit fraglich. Den Lobbyjob bei BlackRock gab Merz Anfang 2020 ab.
Parteien brauchen unabhängige Köpfe
Mit Merz kandidiert also ein Top-Lobbyist für den Parteivorsitz – ein Mann, der nicht nur „aus der Wirtschaft“ kommt, sondern ganz klar Unternehmensinteressen verpflichtet ist. Eine solche Schlagseite gefährdet seine Unabhängigkeit. Wenn Unternehmensinteressen mit Menschenrechten, Klimaschutz oder Arbeitnehmerinteressen abgewogen werden müssen, braucht es unabhängige Köpfe. Denn hier muss gelten: Gemeinwohl vor Gewinninteressen!
Gerade im Jahr der Bundestagswahl braucht es Parteivorsitzende, die klar für das Gemeinwohl stehen. Wenn Parteispitzen hochrangige Lobbyjobs in Wirtschafts-Lobbyverbänden annehmen, schadet das dem Ansehen der Parteien und der Demokratie. Das gilt es unbedingt zu vermeiden.
Mehr Informationen:
Aktuelle Pressemitteilung zur Kandidatur von Friedrich Merz zum CDU-Parteivorsitzenden
Lobbypedia zum CDU-Wirtschaftsrat und zu Friedrich Merz
Mehr zu den Lobbyaktivitäten des Wirtschaftsrat zum geplanten Lieferkettengesetz (Stand 10/2020).
Mehr zu Merz‘ Lobbyverbindungen und zu BlackRock auf unserer Webseite (Stand 11/2018).
Bild: Friedrich Merz auf dem Bankentag 2017, Gregor Fischer/Flickr.com. Lizenz: CC-BY-2.0, Bildausschnitt
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