Als die EU und die USA im Juni einen neuen Handels- und Technologierat ankündigten, brach die Wirtschaftslobby in Jubel aus. Denn die Unternehmen sehen darin eine Chance, bei den kommenden Verhandlungen über die transatlantische regulatorische Kooperation direkt mit am Tisch zu sitzen. Der sogenannte EU-US Trade and Technology Council, kurz TTC, ist eine Initiative für die Wiederbelebung der transatlantische Wirtschafts- und Handelsbeziehungen nach der Eiszeit der Trump-Ära. Diese Woche trift sich der Rat erstmals in Pittsburgh (USA).
Insbesondere die Digitalindustrie begrüßt die Initiative, sollen doch kontroverse Fragen wie transatlantische Datenflüsse, künstliche Intelligenz und die Regulierung der Internetplattformen dort diskutiert und darüber abgestimmt werden. Doch der Jubel der Wirtschaftslobby sollte ein Warnsignal sein. Er lässt Erinnerungen an den einseitigen Unternehmenseinfluss auf die Verhandlungen zum umstrittenen transatlantischen Handelsabkommen TTIP wach werden.
Erinnerungen an TTIP und einseitigen Konzerneinfluss
Der TTC bringt hochrangige politische Entscheidungsträger in Dialogen zu Regulierungsfragen zusammen. In zehn Arbeitsgruppen werden zahlreiche Themen behandelt, darunter der Umgang mit transatlantischen Datenflüssen und Datenschutz (Stichwort “Privacy Shield”), künstliche Intelligenz und Lieferengpässe bei Halbleitern, bis hin zur Abstimmung bei der Regulierung der Internetplattformen. Bei einigen dieser Themen gibt es große Differenzen zwischen der EU und den USA. Während etwa der Datenschutz in den Vereinigten Staaten äußerst schwach ist, gelten in der EU deutlich bessere Regeln zum Schutz der Privatsphäre. Der transatlantische Datenfluss ist insofern hoch umstritten, Lösungen nicht absehbar.
Auch Interessenvertreter*innen werden im TTC einbezogen. Dieser Austausch ist bereits intensiv im Gange, wie zahlreiche Lobbytreffen auf EU-Seite zeigen und wie uns Verbraucherschutzorganisation der US-Seite besorgt mitteilten. Klar ist dabei, dass finanzstarke Lobbyakteure dominieren werden. Denn gerade zusätzliche internationale Gremienarbeit zu begleiten, erfordert zusätzliche Kapazitäten, die bei der Zivilgesellschaft oftmals nicht vorhanden sind. Hinzu kommt, dass die Diskussionen im TTC den Fokus auf mehr Handel legen und nicht zwingend auf gute Regeln für Bürgerinnen und Bürger.
Der TTC ähnelt damit den Vorläufern von TTIP und dessen einseitiger Ausrichtung auf Wirtschaftsinteressen mit dem Ziel des Freihandels. Im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen fanden im sogenannten Transatlantischen Wirtschaftsrat (Transatlantic Economic Council, TEC) und im Rahmen des Transatlantic Business Dialogue (TABD) enge Abstimmungen zwischen Vorständen von US- und EU-Großunternehmen und hochrangigen politischen Entscheidungsträgern beider Handelsblöcke statt. Diese Gespräche waren informell und äußerst intransparent. Zwar gab es auch mit dem Transatlantic Consumer Dialogue (TACD) Einfluss von Verbraucherschutzorganisationen, doch der blieb marginal. Mehr hierzu in unserer Studie “Ein gefährliches regulatorisches Duett.”
Der einseitige Dialog mit der Wirtschaft mündete in die Verhandlungen um ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP), die ebenfalls für Intransparenz und einseitigen Lobbyeinfluss von Unternehmen berüchtigt sind. Ab 2013 griffen die TTIP-Verhandlungsführer die Dialoge mit der Wirtschaft erneut über sogenannte regulatorische Kooperation auf und versuchten sie im Abkommen mit einem eigenen Kapitel festzuschreiben, was aufgrund der damaligen Protestbewegung nicht gelang.
Gefahr: TTC verstärkt einseitigen Lobbyeinfluss
Reaktionen der Wirtschaftslobby verdeutlichen, dass auch beim TTC die Gefahr von einseitigem Lobbyeinfluss besteht. Der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope etwa sah seine alte, umstrittene Agenda von transatlantischer regulatorischer Kooperation wieder aufleben und forderte gleich in einem Brief an Handelskommissar Dombrovskis “engere regulatorische Kooperation” unter ebenso enger Einbeziehung von Wirtschaftslobbyisten auf beiden Seiten des Atlantiks. Ähnlich äußerte sich der Transatlantische Wirtschaftsrat (Transatlantic Business Council, TABC) zu der Initiative von EU und US-Regierung. TABC-Chef Giovanni Campi forderte beim TTC “so viel Einbeziehung der Industrie wie möglich (“as much as possible industry involvement”). Er berief sich dabei explizit auf den oben erwähnten Transatlantischen Wirtschaftsrat TEC als Vorbild. Beim TEC saß die Industrie in der Tat mit am Verhandlungstisch. In der Online-Diskussion, bei der auch ein Kommissionsbeamter anwesend war, sicherte die Kommission zu, dass die Industrie einbezogen würde (“One thing I am not worried about is that we will hear a lot from industry.”).
Sillicon Valley bekommt weiteren Einflusskanal über TTC
Schon jetzt dominiert die Digitalindustrie die Diskussion in Europa über die Regulierung digitaler Plattformen, wie unsere Studie zum Lobbynetzwerk von Google & Co in der EU zeigt. Sie könnte ihren Einfluss über den TTC noch ausweiten. Gerade die US-Internetplattformen aus dem Sillicon Valley sehen dabei das neue Gremium als zusätzliche Gelegenheit, ihren Einfluss geltend zu machen. So machte Googles Lobbyabteilung in den USA klar, dass der TTC dafür da sein soll, Standards bei Datenflüssen und der Regulierung von Plattformen zu harmonisieren. Standards bei Datenflüssen zwischen den USA und der EU zu harmonisieren birgt jedoch die Gefahr, dass die höheren EU-Standards beim Datenschutz unter die Räder kommen.
Die Vorstellungen für die Mitsprache der Digitalindustrie beim TTC sind weitreichend. DigitalEurope, der Verband der in Europa aktiven Digitalindustrie, etwa bietet seine Expertise für die Verhandlungen des TTC an (“We as industry stand ready to offer our expertise.”) und schlägt einen permanenten Rahmen für den Austausch mit der Industrie vor (“Create a permanent and regular transatlantic digital industry dialogue as part of the TTC stakeholder track, including political representation at the highest level”). DigitalEurope will zudem, dass das Gesetz für digitale Märkte (Digital Markets Act, kurz DMA), im TTC behandelt wird, als Teil der Diskussion über transatlantische Regulierungen. Damit würde den großen Internetplattformen aus dem Sillicon Valley eine neue Lobbyplattform geboten, bei der sie über die US-Handelspolitik Druck auf die wichtigen neuen Gesetzesvorhaben der EU ausüben könnten.
Mehr zur bereits existierenden Lobbymacht der Digitalindustrie in unserer gemeinsamen Studie mit unseren Partnern von Corporate Europe Observatory.
Warnung vor einseitigem Lobbyeinfluss
Auf beiden Seiten des Atlantiks gibt es Initiativen zur Begrenzung der Macht von Big Tech. Das ist gut und überfällig, bedrohen doch die immense wirtschaftliche Macht und der damit verbundene politische Einfluss eine demokratische Digitalisierung.
In den USA laufen derzeit konkrete Verfahren zur Entflechtung von Plattformen wie Facebook und deren Aufspaltung in kleinere Einheiten (Whatsapp/Instagram/Facebook). Gleichzeitig bringt die EU mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) Maßnahmen voran, mit denen besonders mächtige Plattformen zu Verhaltensänderungen gezwungen werden sollen (man spricht von verhaltensbezogenen Maßnahmen oder ex-ante Regulierungen).
Die politischen Entscheidungsträger:innen auf beiden Seiten des Atlantiks haben erkannt, dass die Macht von Google, Amazon, Facebook & Co zu groß ist. Eine Abstimmung bei den derzeit diskutierten politischen Maßnahmen wäre sinnvoll, damit sie effektiv ineinandergreifen. Nur dann kann die Macht der Internetplattformen begrenzt werden.
Gleichzeitig laufen neue internationale Gremien wie der TTC Gefahr, zum Einfallstor der Lobbymacht von Google & Co zu werden. Denn nur Lobbyakteure mit ausreichend finanzieller Ausstattung können hier mitspielen. Zudem muss sichergestellt werden, dass diese Diskussionen nicht vorwiegend mit der Zielsetzung der Handelsliberalisierung stattfinden.
Wenn der TTC die Begrenzung der Macht von Big Tech voranbringen soll, dann muss einseitiger Lobbyeinfluss von Großunternehmen verhindert werden. Dazu sind Transparenz, parlamentarische Kontrolle und eine proaktive Einbeziehung von Zivilgesellschaft das Gebot der Stunde. Die Erfahrungen mit transatlantischer Regulierungskooperation zeigen jedoch, dass dies schwierig werden könnte. Wir werden die Arbeit dieses neuen Gremiums daher weiterhin genau beobachten. Auch weitere zivilgesellschaftliche Organisationen sollten den TTC in den Blick nehmen.
Weitere Infos:
Unsere Studie zum Lobbynetzwerk von Google & Co in der EU
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