Macht der Digitalkonzerne

Wirtschaftslobby schwächt EU-Vorstoß gegen personalisierte Werbung ab

Während sich das Europäische Parlament ursprünglich für ein Verbot von personalisierter Werbung aussprach, ist von den ursprünglichen Plänen nicht mehr viel übrig. Ein zentraler Grund: die geballte Lobbyarbeit von Google, Facebook & Co zusammen mit der Verleger- und Einzelhandelslobby.
von 24. Januar 2022

Während sich das Europäische Parlament ursprünglich für ein Verbot von personalisierter Werbung aussprach, ist von den ursprünglichen Plänen nicht mehr viel übrig. Ein zentraler Grund: die geballte Lobbyarbeit von Google, Facebook & Co zusammen mit der Verleger- und Einzelhandelslobby.

Blogtrepreneur - CC-BY 2.0

Im Oktober 2020 einigten sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments darauf, personalisierte Werbung zunächst auslaufen zu lassen und schließlich ganz zu verbieten. Vergangene Woche kamen sie zur Abstimmung über das Gesetz über digitale Dienste (DSA) zusammen und hatten damit endlich Gelegenheit, ihre Forderung nach einem Verbot umzusetzen. Doch das vollständige Verbot blieb aus.

Mit der ursprünglichen Forderung nach einer Abschaffung personalisierter Werbung hat der Vorschlag, der nach einem Jahr intensiver Verhandlungen und noch intensiverer Lobbyarbeit letztlich zur Abstimmung vorlag, nichts mehr zu tun. Die Abstimmung im Plenum erfolgte in Vorbereitung des Trilogs mit Rat und Kommission, der voraussichtlich Mitte Februar beginnt.

Die Abstimmung markiert den Schlusspunkt für intensive parlamentarische Beratungen zu Themen wie der Moderation digitaler Inhalte, der Verantwortlichkeit auf Online-Märkten sowie mehr Transparenz und Eigenverantwortung der sehr großen Plattformen (und die Frage, wer überhaupt als solche zählt). Der Kompromiss kam Ende Dezember im federführenden Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) zustande. Der Text enthält in der Tat positive Entwicklungen wie mehr Transparenz bei Algorithmen oder das Aus für sogenannte „Dark Patterns“, die Verbraucher*innen so manipulieren, dass sie Tracking zustimmen.

Für ein Verbot von personalisierter Werbung gibt es bislang jedoch keine Mehrheit. Unsere Partnerorganisation Corporate Europe Observatory hat mit mehreren EU-Abgeordneten und deren Mitarbeiter*innen über den DSA gesprochen. Alle nannten ein und denselben Grund für das ausbleibende Verbot von personalisierter Werbung: die intensive Lobbyarbeit der Wirtschaft. Dabei waren die Verhandlungen ohnehin schon äußerst komplex.

Die Beteiligten sprachen von Widerstand der Lobbygruppen der Techbranche, des Einzelhandels und der Verlage, denen es gelang, Zweifel an der Notwendigkeit eines solchen Verbotes zu säen. Nach Schilderungen von Martin Schirdewan, Abgeordneter der Fraktion Die Linke im EP, gab es anfangs Hoffnung auf eine progressive Mehrheit. Doch dann kam Widerstand auf.

Personalisierte Werbung und das Gesetz über digitale Dienste (DSA)

Personalisierte Werbung – also überwachungs- oder trackingbasierte Werbung – stützt sich auf riesige Ansammlungen von Daten über Internetnutzer*innen: besuchte Webseiten, Anfragen in Suchmaschinen, angesehene Videos und dazu Informationen über dabei genutzte Geräte, den jeweiligen Standort, andere auf den Geräten installierte Apps sowie getätigte Käufe. Das gesamte digitale Leben der Nutzer*innen wird nach solchen und anderen Informationen durchforstet, die dann zur Erstellung von Profilen genutzt und weiterverkauft werden. Derartige Profile enthalten die unterschiedlichsten personenbezogenen Daten, die entweder einfach ausgelesen oder daraus abgeleitet werden: Alter, Lebensstandard, politische Ansichten, Religion, sexuelle Orientierung, geistige und körperliche Gesundheit, eine etwaige Schwangerschaft etc. Auf Grundlage dieser Daten wird für diese Nutzer*innen dann ganz gezielt Werbung angezeigt.

Google und Facebook sind die unangefochtenen Sieger in der Online-Werbung. Sie kontrollieren mehrere Glieder der Wertschöpfungskette und werden oft als Werbe-Duopol bezeichnet. Werbung steht im Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells: 2020 strich Google mit Werbung 147 Mrd. US-Dollar ein und Facebook 84 Mrd. Dollar. Das System hat allerdings noch eine ganze Reihe anderer Mitspieler, darunter Anzeigenkunden, deren Werbeagenturen, auf Werbeeinnahmen angewiesene Verlage, Datenbroker, die vollständige Nutzerprofile verkaufen, und Vermittlungsbörsen, die Anzeigenkunden und Verlage zusammenbringen.

Kritik an überwachungsbasierter Werbung war in den letzten Jahren immer deutlicher zu hören. In erster Linie richtet sie sich gegen die enorme Daten-Sammelwut (Überwachung) und die dadurch entstehenden Risiken für Datenschutz und Privatsphäre der Nutzer*innen. Personalisierte Werbung wird darüber hinaus mit anderen gesellschaftlichen Übeln in Verbindung gebracht, so etwa mit Manipulationskampagnen, der Ausbeutung von Schwachen und mit Diskriminierung.

Vor allem aber treibt personalisierte Werbung Online-Plattformen dazu, Nutzer*innen möglichst lange auf der eigenen Seite zu halten, um mehr Informationen über sie sammeln und diese später vermarkten zu können. Es wurde bereits nachgewiesen, dass diese „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ die automatische Verbreitung von hetzerischen Inhalten befeuert und Nutzer*innen dadurch länger online aktiv sind.

Personalisierte Werbung kann auch extrem lukrativ sein – insbesondere für Google und Facebook. Dabei gibt es nur ein Problem: Nutzer*innen wollen nicht ständig zu Werbezwecken überwacht werden. Umfragen in Frankreich, Deutschland und Norwegen aus dem Jahr 2021 zeigen, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Verwendung personenbezogener Daten für Werbezwecke ablehnen. Haben Nutzer*innen die Möglichkeit zu widersprechen, dann nutzen sie die auch. Als 2018 die niederländische öffentlich-rechtliche Sendeanstalt NPO ihren Nutzer*innen eine echte Wahl zur Abschaltung von Tracking gab, nutzten 90 % der Besucher*innen diese Möglichkeit. Seit 2021 können Benutzer von Apple-Geräten Tracking ablehnen, und tun das zu 96 % auch.

Ad-Tech-Manager hatten in der Vergangenheit immer damit argumentiert, Nutzer*innen würden trackingbasierte Werbung schätzen, da sie keine irrelevante Werbung sehen wollten. Dieses Argument hört man inzwischen kaum noch.

Das Thema Werbung stand als Teil des Gesetzespakets über digitale Dienste in der Diskussion: Mit zwei sich gegenseitig ergänzenden Vorschlägen wollte die EU die Macht von Big Tech einschränken. Bereits in ihrem ursprünglichen Vorschlag äußerte die Kommission Sorge, Online-Werbung könne zu gesellschaftlichen Problemen führen, indem sie finanzielle Anreize für die Veröffentlichung illegaler oder schädlicher Inhalte setzt oder Diskriminierung fördert. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass riesige Online-Plattformen besondere Risiken mit sich bringen: Das liegt zum einen an ihrer schieren Größe und zum anderen an der Tatsache, dass sie Nutzer:innen „auf Grundlage ihres Verhaltens innerhalb und außerhalb der Online-Oberfläche der Plattform gezielt erreichen können“.

Die EU-Kommission forderte, anders als das Parlament, in ihrem Vorschlag jedoch lediglich ein höheres Maß an Transparenz, damit Nutzer*innen erkennen können, wer hinter einer Werbung steckt und auf welchen Daten diese basiert. Darüber hinaus sollten sehr große Online-Plattformen Werbe-Archive aufbauen und diese öffentlich zugänglich machen, um Forschung „zu neu entstehenden Risiken im Zusammenhang mit der Online-Verbreitung von Werbung“ zu unterstützen.

Für den Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) ist das jedoch nicht ausreichend. In seiner Stellungnahme zum Vorschlag der Kommission kommt der EDSB zu dem Schluss, dass „angesichts der Vielzahl von Risiken in Verbindung mit gezielter Online-Werbung“ die EU-Institutionen „über die Transparenz hinausgehende zusätzliche Regeln in Betracht ziehen“ sollten. Der EDSB unterstützte das Parlament mit der Forderung „einer allmählichen Abschaffung", die „in einem Verbot von gezielter Werbung auf der Grundlage von allgegenwärtiger Nachverfolgung mündet“.

Er war damit nicht allein. Im November 2021 forderte auch der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA), der aus Vertretern der nationalen Datenschutzbehörden besteht, eine allmähliche Abschaffung von personalisierter Werbung und deren späteres Verbot. Er forderte darüber hinaus, dass „das Profiling von Kindern generell verboten“ werden sollte.

Die Meinung von EDSB und EDSA sind besonders relevant, handelt es sich doch um diejenigen Gremien, die für die Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verantwortlich sind. Mit ihrer Unterstützung verleihen sie der Forderung Nachdruck, dass mehr getan werden muss, als die bereits bestehenden Datenschutzregelungen hergeben, um die systembedingten Probleme dieser Art von Werbung anzugehen.

Nachdem die Europäische Kommission ihren Vorschlag veröffentlicht hatte, der – anders als von den Europaabgeordneten gefordert – nur ein Transparenzgebot enthielt, riefen 25 Parlamentarier*innen die Tracking-free Ads Coalition ins Leben. Neben liberalen, sozialdemokratischen und linken Abgeordneten sind dort auch zivilgesellschaftliche Gruppen und Privatunternehmen vertreten. Das Bündnis hebt zwei grundlegende Probleme überwachungsbasierter Werbung hervor: Sie schadet dem Journalismus, indem sie Werbeeinnahmen von Medienunternehmen in die Taschen der Technologieriesen umleitet, und sie schadet dem Gemeinwohl, weil sie finanzielle Anreize für Desinformation und andere schädliche Inhalte schafft.

Auch Christel Schaldemose, Berichterstatterin des Europäischen Parlaments zum Gesetz über digitale Dienste, schloss sich dem Bündnis an und sprach sich öffentlich für ein Verbot aus. Doch stieß die wachsende Bewegung bald auf Widerstand.

Die Lobbyschlacht um den DSA

Die Liste der Treffen von Lobbyist*innen mit EU-Abgeordneten bestätigt den immensen Lobbydruck rund um das Gesetz über digitale Dienste (DSA). Innerhalb von 12 Monaten nach Vorlage des Kommissionsvorschlags wurden 613 Begegnungen zum DSA registriert. (Siehe Tabelle 1). Das entspricht 1,7 Treffen pro Tag, ohne Pausen.

Diese Auflistung ist jedoch nicht vollständig. Lediglich 63 Abgeordnete haben Treffen zum Thema DSA offengelegt. So sind unter den Säumigen der Berichterstatter des Rechtsausschusses, Geoffrey Didier (EPP), die Berichterstatterin des Ausschusses für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter, Jadwiga Wiśniewska (ECR,) und der Berichterstatter des Ausschusses für Verkehr und Tourismus, Roman Haider (ID).

Corporate Europe Observatory hat alle drei kontaktiert, jedoch keine Antwort erhalten.

Die verfügbaren Informationen zeigen jedenfalls ganz eindeutig, dass Begegnungen mit Internetplattformen einen Großteil der Treffen ausmachen: Google steht auf Platz 1, gefolgt von Facebook, Amazon und Microsoft. Doch auch die Wirtschaftsverbände, in denen Big Tech vertreten ist, wiederholen deren Forderungen, wie etwa das Interactive Advertising Bureau (IAB), DOT Europe, die Computer & Communication Industry Association (CCIA), Bitkom und der Information Technology Industry Council (ITI).

Die Liste zeigt darüber hinaus, dass auch eine ganze Reihe weiterer Beteiligter aus Wirtschaft und Medien Einfluss ausüben wollte, darunter das ZDF, die ARD, die Europäische Rundfunkunion, Telekom-Unternehmen wie Vodafone und AT&T Communications, sowie Vertreter von Einzelhandel und Werbebranche wie die World Federation of Advertisers und Eurocommerce.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie HateAid, European Digital Rights (EDRi), der Europäische Verbraucherschutzverband BEUC und die Electronic Frontier Foundation (EFF) waren vertreten, allerdings insgesamt weniger häufig als die Wirtschaft.

Im Gesetz über digitale Dienste geht es um eine Vielzahl unterschiedlicher Themen, weshalb es nicht unbedingt in allen Lobbytreffen um ein Ende personalisierter Werbung gehen musste. Auch andere Themen waren von Interesse für die Lobbyist*innen: Zwischen Verbraucherverbänden und den großen Online-Marktplätzen gab es Streit um die neuen Anforderungen zur Rechenschaftspflicht. Medienunternehmen und Verlage gerieten mit netzpolitischen Aktivist:innen und Techlobbygruppen aneinander, als es darum ging, ob Medienprodukte von der Moderationspflicht für digitale Inhalte auf Plattformen befreit werden sollen. Die Plattformen wiederum wehrten sich gegen mehr Transparenz und eine stärkere Kontrolle ihrer Algorithmen.

Und doch war laut Parlamentskreisen die Online-Werbung bald das am intensivsten diskutierte Thema.

Wirtschaftsverbände führen den Widerstand an

Eine mit den Verhandlungen im Parlament vertraute Quelle erklärte gegenüber Corporate Europe Observatory , dass die Lobbybemühungen gegen ein Verbot der überwachungsbasierten Werbung schon 2020 begannen, kurz nachdem man der Europäischen Kommission in einem Bericht empfohlen hatte, „Optionen für die Reglementierung der gezielten Werbung zu prüfen, einschließlich einer allmählichen Abschaffung, die in einem Verbot mündet“. Je mehr Informationen über die endgültige Position des Parlaments jedoch bekannt wurden, desto intensiver wurden auch die Lobbybemühungen.

Laut dem Europaabgeordneten Martin Schirdewan, Schattenberichterstatter für die Fraktion Die Linke bei DSA und DMA, traten die großen Technologieunternehmen bereits in der Anfangsphase an Abgeordnete heran. Im Laufe der Verhandlungen intensivierten sie ihre Bemühungen jedoch noch, als sich dann Spannungsfelder und Verhandlungsgegenstände herauskristallisierten. Aus Schirdewans Sicht konzentrierten sich Big Tech und die Lobbyverbände dann auf das Thema „gezielte Werbung“, als sich ein klares Momentum für deren Verbot abzeichnete.

Im Büro des niederländischen Abgeordneten Paul Tang – Gründungsmitglied der Tracking Free Ads Coalition – sah man diesen Widerstand als „gigantische Lobbyoffensive, gerade vor dem Sommer [2021], schon bevor wir uns überhaupt mit Änderungsanträgen beschäftigt hatten“.

Es folgte eine Flut von Schreiben der Wirtschaftslobby, von Vieraugengesprächen und eine aggressive Werbekampagne. Die Botschaft war eindeutig: ein Verbot überwachungsbasierter Werbung würde dem Mittelstand schaden. Mit diesem altbewährten Argument versuchen Big Tech und seine Verbündeten immer wieder, die politische Debatte zu beeinflussen und von Diskussionen über das eigene Geschäftsmodell abzulenken. Darüber hinaus würde ein solches Verbot angeblich die Medienvielfalt beeinträchtigen, da einigen Medienunternehmen die Einnahmen aus der personalisierten Werbung wegbrechen könnten.

Nach Ansicht der Befürworter:innen personalisierter Werbung gibt es in der EU zudem bereits genügend Datenschutzregelungen; mehr Transparenz sei völlig ausreichend. Obendrein sei ein solches Verbot noch nicht einmal durchkalkuliert worden, wie es die Agenda für bessere Rechtsetzung eigentlich vorsieht. Laut dieser Deregulierungs-Strategie der EU müssen Rechtsakte vor ihrer Unterbreitung einer Folgenabschätzung unterzogen werden, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Kosten abzuschätzen.

Wer mit der Diskussion um den Datenschutz vertraut ist, dem wird das sicherlich bekannt vorkommen. Dieselbe Strategie wurde nämlich schon über Jahre hinweg benutzt, um die ePrivacy-Richtlinie abzuschwächen und zu blockieren. Mehr Informationen zu dieser Lobbyschlacht können Sie einer Analyse von CEO entnehmen (Englisch).

Unmissverständlich wurden die Lobbybemühungen spätestens nach der Veröffentlichung von Schaldemoses Berichtsentwurf im Mai 2021. Der Text der Abgeordneten forderte zwar kein umfassendes Verbot, doch sollten Google und Facebook stattdessen standardmäßig das Tracking von Nutzeraktivitäten deaktivieren. Nutzer*innen sollten die Möglichkeit haben, Tracking und Personalisierung auf Wunsch zu aktivieren. Kein Verbot also – und doch, so zeigen es die bereits erwähnten Beispiele NPO und Apple, ein potenzieller Rückschlag für die Profiteure trackingbasierter Werbung.

Nach der Veröffentlichung von Schaldemoses Bericht schienen die Wirtschaftsverbände bei ihrer Lobbyarbeit noch einen Gang zuzulegen. So veröffentlichte der Verband der Computer- und Kommunikationsindustrie (CCIA) eine Stellungnahme, der sich auch andere Wirtschaftsverbände der Big-Tech-Branche, wie der EuroISPA und die Developers Alliance, Digital Poland und der finnische Verband für Telekommunikation und Informationstechnologie FiCom anschlossen. In der Stellungnahme wurden verschiedene Punkte5 in Schaldemoses Bericht kritisiert, darunter auch Maßnahmen gegen überwachungsbasierte Werbung. In ihrer Stellungnahme heißt es, das vorgeschlagene Opt-In für gezielte Werbung untergrabe einen zentralen Bestandteil des digitalen Ökosystems, das es tausenden kleinen Unternehmen ermöglicht, Verbraucher in ganz Europa zu erreichen und sich mit diesen zu vernetzen.

In einer E-Mail an Abgeordnete des Europäischen Parlaments argumentierte DOT Europe, das als Lobbygruppe der Techbranche auch Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon und Microsoft vertritt, der Vorschlag der Kommission sei ausreichend, um die Ziele des DSA zu erreichen. Durch die von den Europaabgeordneten vorgeschlagenen Änderungen6 würde der DSA „in der Umsetzung für die Unternehmen viel zu komplex und damit für die Wirtschaft der EU insgesamt nachteilig“. „Einige dieser Änderungen würden den Anwendungsbereich der Vorschläge beträchtlich ausweiten, und das ohne ordnungsgemäße Folgenabschätzung.“

Wie in allen anderen ausgewerteten Lobbypapieren sprach sich auch DOT Europe – wohl um bei den Abgeordneten einen guten Eindruck zu machen – für die von der Kommission vorgeschlagenen Transparenzvorschriften aus. Allerdings auch nicht zu viel Transparenz, da dies ihrer Meinung nach „den Schutz der Nutzer*innen vor betrügerischen Akteuren und die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses der Wirtschaftsbeteiligten“ beeinträchtigen könne.

Wenige Monate später, im Juli 2021, meldete sich auch das Interactive Advertising Bureau (IAB) zu Wort, der wichtigste Lobbyverband der Ad-Tech-Branche, in der Google und Facebook, aber auch andere Werbetreibende, Medien und Verlage vertreten sind. Das IAB wendete sich in einem von mehr als 45 Unternehmen, Branchenverbänden und Medienkonzernen unterzeichneten offenen Brief an die politischen Entscheidungsträger der EU.

Darin warnen sie davor, dass ein Verbot personalisierter Werbung die Einnahmen von Unternehmen und Medien in einem Maße senken würde, dass diese den Nutzer*innen ihre Dienstleistungen nicht länger anbieten könnten beziehungsweise Inhalte hinter Bezahlschranken verlegen müssten. Darüber hinaus könnten nach einem solchen Verbot weder KMU noch Großunternehmen „zum richtigen Zeitpunkt dem richtigen Publikum die richtige Werbebotschaft anzeigen“.

Das IAB schließt seinen Brief mit einem Lob für die geltenden EU-Datenschutzregelungen und schlägt vor, sich lieber auf deren vollständige Umsetzung zu konzentrieren. Das IAB ist auch der Entwickler des Transparency and Consent Framework (TCF) für Digitalmarketing, das von einem Großteil der Ad-Tech-Unternehmen zur Legitimierung ihrer Datenverarbeitung genutzt wird. Eine Untersuchung der belgischen Datenschutzbehörde hat ergeben, dass das TCF nicht den Prinzipien von „Transparenz, Fairness und Rechenschaftspflicht und auch nicht der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“ entspricht und dass darüber hinaus „keine ausreichenden Regelungen für die Verarbeitung von Informationen besonderer Kategorien vorliegen (z. B. Gesundheitsdaten, politische Ansichten, sexuelle Orientierung etc.), solche Daten aber dennoch verarbeitet“ werden. Laut IAB soll die Untersuchung bald abgeschlossen sein. Man erwartet als Feststellung, dass das TCF gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verstößt.

Im September 2021 schaltete sich eine einflussreiche Stimme in die Diskussion ein: Kommissionsvizepräsidentin Vestager erklärte öffentlich, dass sie ein Verbot nicht unterstütze, da es für viele kleinere Unternehmen äußerst wichtig sei, potenzielle Kunden finden zu können. In ihrem Heimatland sei es legitim, Werbung zu machen, und legitim, Kunden zu suchen, mit denen man kommunizieren möchte.

Doch nicht alle sind der Meinung, dass ein Verbot von personalisierter Werbung desaströse Folgen für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) hätte. Das Digital Services Act Observatory, ein Forschungsprojekt am Institut für Informationsrecht (IViR) der juristischen Fakultät der Universität Amsterdam7, hat einen kritischen Überblick zum DSA von Ilaria Buri und Joris van Hoboken veröffentlicht. Beim Thema Anforderungen an Online-Werbung hinterfragen Buri and Hoboken die Argumentation der Kommission und stellen fest: „Die Annahme der Kommission, dass kleinere Unternehmen durch die Umstellung auf ein anderes Werbemodell unter Umständen benachteiligt würden, könnte die Regelungen zur Online-Werbung im DSA beeinflusst haben. Während die betroffenen Plattformen dieses Argument mit voller Überzeugung verteidigen, haben jüngste Studien starke Zweifel an der Wirksamkeit dieses Werbemodells geweckt und sind zu dem Schluss gekommen, dass Werbesysteme, die weniger stark in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, sowohl den Werbetreibenden als auch den Verlagen bessere Möglichkeiten bieten (ohne dass so viel Geld an Vermittler fließen muss).“

Eine neue Umfrage von YouGov unter KMU in Deutschland und Frankreich im Auftrag von Amnesty Tech hat ergeben, dass sich Mittelständler mit dem Konzept der überwachungsbasierten Werbung möglicherweise gar nicht so wohl fühlen, wie uns die Plattformen immer glauben machen wollen. Laut der Umfrage möchte eine Mehrheit von 80 % der Befragten, dass „die großen Online-Plattformen – wie Facebook und Google – bei der Verwendung von personenbezogenen Daten und bei gezielter Werbung stärker reguliert werden“.

Tracking, verhaltensbasierte Werbung oder gezielte Werbung?

Später schalteten sich auch noch die Lobbyverbände des Einzelhandels ein. Im Oktober veröffentlichten Ecommerce Europe, Independent Retail Europe und EuroCommerce, zu deren Mitgliedern Unternehmen wie Carrefour, Spar, Rewe and Ikea zählen, eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie ihren Standpunkt zur gezielten Werbung darlegten. Dieser besagt im Grunde genommen, dass für Online-Werbung bereits „geeignete Rechtsvorschriften“ existieren und ein Verbot schädlich für KMU, Innovation und Wachstum wäre. Zur Unterstützung ihrer Argumentation zogen sie zwei Studien von Facebook heran. Die Einzelhändler beriefen sich zudem auf die Verfahren der Kommissions-Agenda für bessere Rechtsetzung und wiesen darauf hin, dass die neuen Regelungen für Online-Werbung noch nicht durchkalkuliert worden sein.

Je näher die Abstimmung im Ausschuss rückte, desto detaillierter wurden die Schreiben. Im Dezember 2021 schickte Classified Marketplaces Europe (CME) ganz gezielt Feedback zu den Änderungsanträgen. So hieß es unter anderem: „Wir lehnen den NEUEN Artikel 24.2, der noch über die DSGVO-Anforderungen an die Einwilligungsmöglichkeiten der Endbenutzer hinausgeht, nachdrücklich ab, da auf diese Weise Werbeeinnahmen ernsthaft gefährdet, die eine wichtige Einnahmequelle für die Kleinanzeigenbranche sind. Zumindest muss er an die DSGVO angepasst werden, indem man das Wort „ablehnen“ durch das Wort „widerrufen“ ersetzt, so wie in Artikel 7 Absatz 3 der DSGVO.“

Immer und immer wieder lenkten Lobbyakteure bei ihrer Gegenwehr vom eigentlichen Thema ab. So behauptete zum Beispiel der Einzelhandel, dass „gezielte Werbung“ den Verbraucher*innen zu Gute kommen könnte, da sie auf diesem Weg mehr relevante Informationen bekämen. Darüber hinaus sei diese Art der gezielten Werbung mit anderen Situationen im echten Leben vergleichbar, sodass ein Verbot zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Kanäle führen würde. Dazu heißt es:

„der Einsatz von gezielter Werbung ist nicht auf den Online-Bereich beschränkt. Werbung im Fernsehen oder in Printmedien zielt auch immer auf ein ganz bestimmtes Publikum ab, nämlich auf die Zuschauer*innen bzw. Leser*innen dieser Medienformate. Im stationären Einzelhandel ist es nicht anders: Die Beratung beim Kauf eines neuen Anzugs geschieht ebenfalls auf Grundlage einer gewissen Einschätzung des Kunden durch die Verkäufer*innen, deren Empfehlungen dann der Größe, dem Stil und dem geschätzten Budget des Kunden entsprechen.“

Dieser Vergleich hinkt jedoch. Kund*innen erwarten ganz und gar nicht, dass Verkäufer*innen ihre Größe und ihr Budget schätzen bzw. ableiten. Und das Beispiel spielt auch herunter, wie allgegenwärtig das Tracking der Ad-Tech-Unternehmen tatsächlich ist: Verkäufer*innen und Fernsehwerbungen folgen den Kund*innen eben nicht die ganze Zeit durch das normale Leben, notieren sich keine Aufenthaltsorte, gemeinnützige Verbände, die man unterstützt, keine Privatadressen, keine Religionszugehörigkeit usw.

Für Jan Penfrat, Senior Policy Advisor bei European Digital Rights (EDRI), rührt diese Verwirrung von der irreführenden Verwendung des Begriffs „gezielte Werbung“. Tatsächlich wurde CEO gegenüber schon mehrfach berichtet, dass die Lobbyakteure in einer ihrer Hauptbotschaften ständig „gezielte Werbung“ mit „überwachungsbasierter Werbung“ bzw. dem Fachbegriff „verhaltensbasierter Werbung“ gleichgesetzt hätten.

Eine Quelle aus dem Europäischen Parlament zeigte sich gegenüber CEO überrascht, wie sehr die Wirtschaftslobbyist:innen in ihrer Arbeit das Problem vereinfachten. „Oftmals hieß es dann, man könne entweder personalisieren oder ansonsten gar nichts machen. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Es gibt sehr wohl kontextualisierte Werbung, und sie wird schon seit Jahrhunderten genutzt.Viele Leute verwechseln Personalisierung mit Targeting und das zum Teil vielleicht ganz bewusst. Entweder das ist ein echtes Versehen oder aber volle Absicht.“

In den meisten der von CEO analysierten Lobby-Briefe zu personalisierter Werbung wurde sie als einzig mögliche Art der Online-Werbung angepriesen und ihre Risiken heruntergespielt. Doch die Verfechter eines Verbots zeigen auf, dass es sehr wohl Alternativen gibt, wie zum Beispiel kontextbezogene Werbung. Diese sticht insbesondere deswegen hervor, da sie nicht auf der allgegenwärtigen Überwachung der Nutzer*innen basiert, sondern die Werbung stattdessen auf den inhaltlichen Kontext oder die konkrete Suchanfrage abgestimmt ist. Damit ließe sich Werbung immer noch ganz gezielt einblenden: Bei einer Websuche nach Kopfhörern würde Werbung für Kopfhörer eingeblendet, die ansonsten neben Artikeln zum Thema Musik zu finden wäre.

Zur Zeit hat diese Art der Werbung nur einen geringen Marktanteil, doch ein Beispiel wird von den Verfechter:innen von Datenschutz besonders gelobt: die niederländische öffentlich-rechtliche Sendeanstalt NPO (Nederlandse Publieke Omroep ). Um die Bestimmungen der damals neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) uneingeschränkt zu erfüllen, entschied NPO 2018, seinen Nutzer*innen die Möglichkeit zu geben, das Tracking komplett abzuschalten. 90 % der Besucher*innen nutzen diese Möglichkeit. Daraufhin entwickelte NPO eine eigene Plattform für kontextualisierte Werbung. Entgegen allen Erwartungen stieg der Umsatz dadurch sogar noch. Grund dafür ist laut NPO die Tatsache, dass man nicht länger auf Vermittler wie Google angewiesen sei. Diese hatten nämlich einen beträchtlichen Anteil der Umsätze eingestrichen, die die Sendeanstalt mit ihren Inhalten generiert. Auch die Anzeigenkunden schnitten nicht schlechter ab: Analysen von NPO ergaben, dass die Werbung genauso gut, wenn nicht sogar besser, ankam.

Big Tech und Springer ziehen am gleichen Strang

Es ist kein Geheimnis, dass die Verlage in der EU nicht gut auf Google, Facebook & Co zu sprechen sind. Tatsächlich mischen sie oft ganz vorn mit, wenn es gegen die großen Internetplattformen geht. Das gilt vor allem für das Thema Urheberrecht, aber auch bei Wettbewerbs- und Haftungsfragen. In einem Bereich allerdings scheinen sie bisher die gleichen Interessen zu verfolgen: der Werbung.

Das zeigte sich unter anderem in den bisher fruchtlosen Debatten um eine Reformierung der ePrivacy-Richtlinie. Mehr Informationen zu dieser Lobbyschlacht finden Sie in einer Analyse von CEO (Englisch).

Doch ein Schreiben von Springer-Chef Mathias Döpfner an Kommissionspräsidentin von der Leyen schien eine Kehrtwende zu markieren. In dem offenen Brief beschreibt Döpfner ganz ausführlich, welche Probleme das System der Online-Werbung seiner Meinung nach mit sich bringt: insbesondere die gewaltige Menge personenbezogener Daten, die für verhaltensbasierte Werbung gesammelt wird, sowie die Dominanz der Werbesysteme von Facebook und Google zum Nachteil der Verlage. Er richtet ein leidenschaftliches Plädoyer an die Kommissionspräsidentin: Plattformen müsse es untersagt werden, „private [...] Daten zu speichern und für kommerzielle Zwecke zu verwenden. Dies muss Gesetz werden.“

Der Springer-Chef warnt von der Leyen sogar vor dem zu erwartenden Gegenwind der Plattformen:

„Die Plattformen werden Ihnen sagen, dass dadurch ihr Geschäftsmodell zerstört werde. Das ist nicht wahr. Es wird nur etwas schlechter. Wie Verlage und jeder Blogger (die Verlage der Zukunft) auch können die Plattformen dann immer noch ihre Reichweite monetarisieren. Oder wie jeder Händler oder Großhändler können die Plattformen immer noch ihre Produkte oder Dienstleistungen verkaufen. Aber Milliarden werden zurückfließen an Tausende von Verlagen, Künstlern und Händlern. An Unternehmer, die ihre Kunden durch die Qualität ihrer Angebote fesseln. Und nicht durch die Überwachung ihres Verhaltens.“

Vielen erschien dieser Brief als Wendepunkt. Doch der angekündigte Strategiewechsel der Verleger scheint nie zustande gekommen zu sein. Döpfners Springer-Konzern ist einer der Unterzeichner des offenen Briefes, in dem sich das IAB gegen ein Verbot von überwachungsbasierter Werbung wendet und das Europäische Parlament dazu auffordert, es solle „die Bedeutung des in der EU bereits existierenden gesetzlichen Rahmens für den Datenschutz anerkennen und vermeiden, dass im Gesetz über digitale Dienste Bestimmungen eingeführt werden, die diesen Rahmen untergraben würden“.

Auch der europäische Verlegerrat EPC, dem Axel Springer angehört, hat sich gegen ein Verbot ausgesprochen. Andere Branchenverbände wie New Media Europe und EMMA-ENPA zogen nach. Sie argumentierten, dass ein Verbot massive Umsatzeinbrüche bei den Verlagen mit sich bringen und bestimmte Medien dazu zwingen könnte, Inhalte mit Bezahlschranken zu schützen oder gar ganz zu schließen. Für sie „ist das Problem vielmehr die Art und Weise, wie Plattformen Daten sammeln und benutzen, und nicht der eigentliche Einsatz von gezielter Werbung“.

Alle Gesprächspartner von Corporate Europe Observatory im Europäischen Parlament haben bestätigt, dass Nachrichten- und Medienverlage aktiv Lobbyarbeit gegen ein Verbot gemacht haben. Sie gaben darüber hinaus an, dass die Verlagslobby später ihre Aufmerksamkeit auf eine Befreiung der Medien von der Moderationspflicht für digitale Inhalte verlagerten. Das deutet darauf hin, dass diese im DSA-Zusammenhang die höchste Priorität hat.

Das Lobbynetzwerk von Big Tech beim DSA

Bald konzentrierte sich die ganze Diskussion auf eine einzige Frage: Wie wirkt sich ein solches Verbot auf kleine und mittlere Unternehmen aus?

Aus dem Büro von Paul Tang hieß es, dass die großen Internetplattformen in Einzelgesprächen weniger präsent waren. Andere Quellen im Parlament bestätigten, ebenfalls sehr wenige direkte Anfragen von Facebook und Google erhalten zu haben. Die kamen stattdessen von „Organisationen, die andere Akteure vertreten oder vorgeben, dies zu tun. Organisationen, die angeblich KMU und Start-ups vertreten, bei denen man jedoch bei genauerem Hinschauen sehen kann, dass die von Google und Facebook zumindest finanziert werden.“

CEO fand heraus, dass sich Interessenvertretungen wie Allied for Startups sowie nationale Verbände wie NL digital und SME Connect ebenfalls in einer bestimmten Form gegen das Verbot eingesetzt hatten. SME Connect ist ein besonders interessanter Fall, da es sich nicht um einen Branchenverband handelt, sondern um eine Plattform, die KMU und EU-Abgeordnete zusammenbringen soll. SME Connect trug sich erst kürzlich auf Beschwerde von LobbyControl hin ins EU-Transparenzregister ein. Finanziert wird SME Connect von Friends of SMEs sowie von Unternehmen wie Facebook, Amazon und Google. In der Diskussion um personalisierte Werbung war SME CONNECT jedenfalls sehr aktiv. Der Verband schrieb Abgeordnete an und sprach sich gegen die Beschränkung von trackingbasierter Werbung und die mögliche Begrenzung von Dark Patterns aus. Darüber hinaus gründete er die Coalition for Digital Ads of SMEs.

Und seit kurzem gibt es noch ein weiteres Start-up-Bündnis, dass gegen mögliche Verbote mobilisiert: Targeting Startups. Unter den Mitgliedern finden sich bereits bekannte Lobbygruppen, nämlich die Interessenvertreter für Big Tech (CCIA) und die Werbebranche (IAB Europe und Advertising Information Group) sowie Wirtschaftskammern, die entweder von Big Tech gegründet wurden oder in denen Big-Tech-Unternehmen Mitglieder sind (Dutch Startup Association, Allied for Startups, Slovak Alliance for Innovation Economy).

Laut einer dem Parlament nahestehenden Quelle ließe sich das folgendermaßen erklären: Überwachungswerbung ist ein „unangenehmes Thema für Lobbyarbeit, da es negativ belegt ist und sich Unternehmen lieber für positive Themen einsetzen.“

Hinzu kommt, dass Europaabgeordnete sich sehr für die die Interessenlage von KMUs und Startupsinteressieren.Das berücksichtigen die großen Techkonzerne in ihrer Lobbyarbeit. Aus Googles geleakter Lobbystrategie geht hervor, wie die Plattform „die politische Debatte grundlegend zu ändern“ beabsichtigte. Dazu sollte unter anderem betont werden, wie sehr der DSA „zu Lasten der Verbraucher*innen und Unternehmen“ ginge. Und dafür sollten europäische Unternehmen mobilisiert werden.

Zudem trat Google als Sponsor für eine Reihe exklusiver Diskussionsrunden auf, die von der Denkfabrik European Policy Centre veranstaltet wurden. Darunter eine zum Thema „gezielte Werbung“ mit dem Titel „Wie können DSA und DMA den Pluralismus in den Medien und das Wachstum in der EU fördern?“ Im November, als die Diskussionen in den Ausschüssen in die letzte Runde gingen, bat Google in einer E-Mail Abgeordnete um ein Treffen während der nächsten Plenarsitzung in Straßburg. Man wolle gern über ein „mögliches Verbot gezielter Werbung“ sprechen, „welches derzeit vom Parlament sowohl für DSA als auch DMA in Betracht gezogen wird“. Google bot den Abgeordneten ein Treffen mit dem für Europa verantwortlichen Leiter des Strategieteams für digitale Werbung an und wollte ihnen gern „die positiven Aspekte der gezielten Werbung darlegen und negative Auswirkungen eines möglichen Verbots für das digitale Ökosystem insgesamt (Verbraucher*innen, Verlage und Anzeigenkunden) aufzeigen.“

Facebook wählte einen anderen Weg.

Eine teure Werbekampagne

Die ganze Zeit über schien Facebook noch eine andere Strategie zu verfolgen. Der Konzern startete eine gigantische Werbekampagne, sowohl online als auch offline. Nach Schätzungen von LobbyControl hat Facebook seit Dezember 2020 allein in Deutschland Printwerbung im Wert von etwa 6,8 Mio. € geschaltet (geschätzte Bruttowerbeausgaben ohne Berücksichtigung möglicher Preisnachlässe). In einer dieser Kampagnen ging es darum, wie sehr KMU auf Facebook angewiesen sind – und damit auch auf personalisierte Werbung. Der Wert dieser Kampagne allein wird auf 2,5 Mio. € geschätzt.

Bei den von LobbyControl vorgelegten Zahlen handelt es sich lediglich um Schätzungen, doch sie geben eine Vorstellung von den Summen, die Facebook insgesamt in diesem Zeitraum für Werbung ausgegeben hat. Auch in den Niederlanden und in Belgien sind ähnliche Werbekampagnen gelaufen. So hat Facebook mehrere Monate lang den Morning-Tech-Newsletter von Politico Europe gesponsert und in mehreren Ausgaben von The Parliament Magazine ganzseitige Anzeigen geschaltet. Die Zeitschrift richtet sich besonders an EU-Abgeordnete und wird im Parlament verteilt. Ähnliche Anzeigen sind derzeit auch für alle sichtbar im Brüsseler Flughafen angebracht und sind in anderen Ländern, wie zum Beispiel in den Niederlanden, aufgetaucht.

Ebenso aufwändige Werbekampagnen laufen auf Facebook, Twitter und Instagram. Im Werbearchiv von Facebook ist zu sehen, dass das Team von „Facebook EU Affairs“ und Facebook Inc. 109 Anzeigen geschaltet haben, deren Inhalt mit „Soziales, Wahlen oder Politk“ angegeben war. Der Wert dieser 109 Anzeigen belief sich auf 129.831 €.

Doch nicht nur beim sozialen Netzwerk setzt man auf Werbung. Sowohl CCIA als auch IAB schalteten massiv solche Anzeigen, besonders auf Twitter. Dabei hatten sie es auf ganz bestimmte Zielgruppen abgesehen: Nutzer*innen, die als Wissenschaftler*innen oder politische Entscheidungsträger*innen gekennzeichnet sind, oder auch Personen, bei denen es sich um Journalisten von Politico Europe im Bereich Technologie handeln könnte. Auch in Deutschland wurde solche zielgruppenbasierte Werbung geschaltet: Angesprochen wurden hier Benutzer*innen, die ähnliche Follower wie die Bundesministerien hatten.

War das Lobbying von Google, Facebook & Co erfolgreich?

Als die Schlussabstimmung im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) stattfand, war das Verbot bereits ebenso vom Tisch wie die Forderung, dass Plattformen standardmäßig die Überwachung deaktivieren sollen. Es fand sich keine ausreichende Unterstützung dafür.

Für Jan Penfrat von European Digital Rights war das unter anderem auch auf die Lobbybemühungen zurückzuführen. Der Gegenwind der Wirtschaftslobby hatte bei ursprünglich noch unentschiedenen Abgeordneten ausreichend Zweifel geweckt, um sie ins Lager der Verbotsgegner zu ziehen. Laut einer Quelle aus dem Parlament hat die Lobbyarbeit der Wirtschaft das Thema politisiert und für eine Polarisierung zwischen Verfechtern und Gegnern gesorgt.

Unterstützt wurde das Verbot von den Sozialdemokraten, den Grünen und den Linken – doch das genügte nicht. Die konservative Volkspartei hatte sich bereits 2020 (nach der Entschließung im Parlament) gegen ein Verbot ausgesprochen und rückte davon auch nicht ab. Die EKR-Fraktion lehnte ein Verbot ebenfalls ab. Damit war die liberale Fraktion Renew Europe das Zünglein an der Waage – und schlug sich auf die Seite der Gegner.

Insgesamt wurde aus den von CEO geführten Gesprächen sehr deutlich, dass die Warnung vor negativen Folgen eines Verbots personalisierter Werbung für KMU am wirkungsvollsten war. Eine Quelle aus dem Parlament berichtete sogar, dass ein Mitglied des Parlaments in einem Treffen anhand von Zahlen zeigen wollte, wie sehr überwachungsbasierte Werbung den KMU geholfen habe. Dabei klang es jedoch eher, als würde einfach nur eine Anzeige von Facebook laut vorgelesen. Einige Abgeordnete wiederholen die Botschaften der Lobbyisten in aller Öffentlichkeit, teilweise Punkt für Punkt, wie in diesem Beispiel zweier slowakischer Abgeordneter von der EVP.

Die Abgeordneten sprachen jedoch auch Probleme mit dem Verhandlungsprozess selbst an: Der war langwierig, zu viele Punkte mussten diskutiert werden, und es war nicht genügend Zeit insgesamt, sodass das Thema Werbung zu kurz kam. Die Regulierung von personalisierter Werbung ist eben kompliziert und kann recht verwirrend sein. Unter diesen Bedingungen konnte die Strategie der Wirtschaftslobby ihre volle Wirkung entfalten.

Doch noch ist es nicht zu spät. Auch wenn IMCO sich weder auf ein Verbot noch auf ein standardmäßiges Opt-in einigen konnte, so wurden doch beim Thema Dark Patterns Fortschritte gemacht, die es Benutzer*innen derzeit erschweren, dem Tracking zu widersprechen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bei anderen Punkten im Gesetz über digitale Dienste (DSA) und auch beim Digital Markets Act (DMA) konnten gegen den Widerstand von Big Tech ebenfalls Fortschritte gemacht werden. So zum Beispiel bei Regelungen, die eine verstärkte öffentliche Kontrolle der Plattform-Algorithmen erlauben. Bei diesen Themen war es Google & Co nicht gelungen, andere Unternehmen für die eigene Sache zu mobilisieren.

Ganz abgesehen vom DSA, stößt das System der personalisierten Werbung in der Öffentlichkeit ganz klar auf Ablehnung. Wir können davon ausgehen, dass es immer wieder Versuche geben wird, dagegen vorzugehen.

Dieses Beispiel beweist wieder einmal ganz eindrucksvoll die Macht von Big Tech: Selbst wenn die politischen Entscheidungsträger der EU sich knallhart gegen die Techkonzerne positionieren, kann Big Tech – mit immensen Lobbybudgets und einem breiten Netzwerk – trotzdem Einfluss ausüben und das Schlimmste verhindern. Ähnliches war bereits bei der ePrivacy-Richtlinie zu beobachten. Damals konnte man in geleakten und in Gerichtsverfahren öffentlich gemachten Dokumenten nachlesen, wie Amazon und Google sich mit dem eigenen Lobbyeinfluss brüsten. Angeblich hatte Google für sich in Anspruch genommen, den Vorschlag erfolgreich „gebremst und verzögert“ zu haben, indem man „im Hintergrund mit anderen Unternehmen gemeinsame Sache machte“.

Es wäre nicht überraschend, wenn in Zukunft noch weitere solche Dokumente auftauchen würden, die offenlegen, wie die Unternehmen den Vorstoß zum Verbot der Überwachungswerbung im DSA eingehegt haben.

Die politischen Entscheidungsträger werden sich ernsthaft mit diesen Geschehnissen auseinandersetzen und den eigenen Umgang mit Big Tech und seinen Verbündeten überdenken müssen. Allen Lobbybemühungen sollte man mit Skepsis begegnen: Finanzierungsquellen hinterfragen, Quellen prüfen, Fehlverhalten, Intransparenz oder unethisches Verhalten melden. Zudem sollten sie proaktiv die Meinung von weniger gut ausgestatteten Lobbyakteuren einholen: von kleinen und mittleren Unternehmen, unabhängigen Wissenschaftler*innen, der Zivilgesellschaft oder von Betroffenen personalisierter Werbung.

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