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Macht der Digitalkonzerne

Frust und Freude: Einigung beim Digital Markets Act (DMA)

Durch viel Druck aus der Zivilgesellschaft ist der DMA zu einem ambitionierten Gesetz geworden, mit dem die Macht von Big Tech beschränkt werden könnte. Auf dem Papier jedenfalls.
von 22. April 2022

Nach ungewöhnlich schnellen Verhandlungen haben sich EU-Parlament, Kommission und die Mitgliedsstaaten Ende März auf einen Digital Markets Act (DMA) geeinigt. Durch viel Druck aus der Zivilgesellschaft ist der DMA zu einem ambitionierten Gesetz geworden, mit dem die Macht von Big Tech beschränkt werden könnte. Auf dem Papier jedenfalls. Doch bereits jetzt kommen Zweifel auf, ob das Gesetz auch erfolgreich durchgesetzt werden kann. Dabei kommt es besonders darauf an, ausreichend Personal einzustellen, schnell zu handeln und sich nicht auf faule Kompromisse mit Facebook, Google & Co einzulassen. Wenn die Kommission nicht die notwendigen Mittel für die Durchsetzung organisiert, droht der Digital Markets Act als Ganzes zu scheitern.

Das ist der DMA

Der Digital Markets Act (auch Digitalmarktgesetz genannt) enthält eine Reihe von Geboten und Verboten, an die sich große digitale Plattformen, die Gatekeeper (Torwächter) halten müssen. Gatekeeper sind besonders große und einflussreiche Internetplattformen, die den Markt dominieren und Wettbewerber verhindern. Dazu gehören Facebooks Mutterkonzern Meta, Google & Co, aber auch Booking.com oder Alibaba werden sich voraussichtlich an die Regeln halten müssen. Mit seinen Regeln kann der DMA die Gatekeeper in die Schranken weisen. Das Gesetzespaket sieht vor, den Machtmissbrauch durch diese großen Plattformen einzuschränken. Das wäre nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für die Nutzer:innen und die Demokratie insgesamt ein Gewinn. Denn der DMA könnte mit seinen Regeln auch den Einfluss von Big Tech auf Politik und Gesellschaft reduzieren und damit die Demokratie vor der Machtausdehnung der Plattformen schützen.

Freude: Hier ist der Digital Markets Act gut gelungen

Interoperabilität kommt
Die Macht der Internetplattformen beruht unter anderem auf dem sogenannten Netzwerkeffekt. Dieser Effekt sorgt dafür, dass eine Plattform attraktiver wird, je mehr Leute sie nutzen. Ein Beispiel: Wer mit einer Nachricht möglichst viele Bekannte erreichen will, kommt um den Messenger-Dienst WhatsApp kaum herum. Alternativen gibt es zwar, doch diese fristen ein Nischendasein. Die Groß-Plattform WhatsApp kann damit Millionen Menschen ihre Spielregeln vorschreiben. Wir Nutzer:innen, aber auch die anderen Anbieter sind dieser Macht ausgeliefert.

Hier kommt die sogenannte Interoperabilität ins Spiel. Sie schreibt den Betreibern von Messengern vor, dass diese miteinander kompatibel sein müssen. Das heißt: Eine Nachricht könnte auch von WhatsApp an Threema oder Signal geschickt werden und umgekehrt – so wie man auch eine E-Mail von GMX an Gmail schicken kann. Das gibt uns Nutzer:innen echte Wahlfreiheit und kleinen Wettbewerbern eine reelle Chance – und verringert so die Macht der Groß-Plattformen.

Fusionskontrolle und Entflechtung gestärkt
Facebook, Google & Co haben ihre Macht in der Vergangenheit durch Übernahmen von kleineren Unternehmen kontinuierlich ausgebaut. Alle geplanten Übernahmen müssen künftig an die EU-Kommission gemeldet werden, damit diese bei problematischen Fällen schneller reagieren kann.

Bei wiederholten Verstößen gegen die Verhaltensregeln im DMA, kann die Kommission strenger werden. Dann können z.B. Fusionen für eine begrenzte Zeit komplett untersagt werden. Als letztes Mittel können Unternehmen sogar zerschlagen werden. Warum wir das für ein wichtiges Instrument halten, um die Macht von übermächtigen Konzernen zu beschneiden, haben wir in einem Positionspapier begründet.

Private Enforcement wurde gestärkt
Verbraucher:innen und Wettbewerber, die vom Machtmissbrauch großer Konzerne betroffen sind, wurden darin bestärkt, ihr Recht geltend zu machen. Das ist durch das sogenannte Private Enforcement ermöglicht, das gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission nun gestärkt wurde. So kann der DMA in Zukunft etwa durch Verbandsklagen der Verbraucherzentralen vor Gericht durchgesetzt werden. Mit einem Rechtsgutachten hatten wir uns im Februar für eine Stärkung der Beteiligung von Dritten eingesetzt.

Wichtige Details zur Durchsetzung des Gesetzes durch Betroffene Dritte sind jedoch weiterhin offen. Erst wenn es eine abschließende Textfassung gibt, kann dieser Punkt bewertet werden.

Verknüpfung von Nutzerprofilen nur nach Zustimmung
Die Daten aus unterschiedlichen Nutzerprofilen dürfen künftig nur dann zusammengeführt und für personalisierte Online-Werbung genutzt werden, wenn Nutzer:innen explizit zustimmen. Das war eine unserer Forderung in unserem Appell für einen ambitionierten Digital Markets Act.

Abgefragt werden darf diese Zustimmung nur einmal pro Jahr und nur so, dass die Nutzer:innen nicht zu einer Zustimmung verleitet werden. Das ist ein deutlicher Fortschritt und daher begrüßenswert, auch wenn weitergehende Maßnahmen, wie etwa ein komplettes Verbot, möglich gewesen wären.

Frust: Das gefällt uns nicht am Digital Markets Act

Interoperabilität wird verzögert eingeführt
Bis zuletzt hatte die EU-Kommission versucht, Interoperabilität (mehr dazu oben) im Digital Markets Act zu verhindern. Der getroffene Kompromiss sieht eine nicht nachvollziehbare Verzögerung vor: Zum Start gibt es Interoperabilität nur für die Kommunikation zwischen jeweils zwei Einzelpersonen. Nach zwei Jahren soll verschlüsselte Interoperabilität auch für Gruppen-Chats möglich sein. Und nach zwei weiteren Jahren kommen weitere Funktionen wie etwa Videocalls in Gruppen hinzu. Rechnet man diese Verzögerung zu der Zeit hinzu (siehe unten), bis der DMA gültig ist, wird es noch viele Jahre dauern, bis wir die vollständige Umsetzung der Interoperabilität sehen werden.

Lange Fristen bei wiederholten Verstößen
Besonders strenge Sanktionen und weitergehende Maßnahmen, wie Entflechtung und die Einschränkung von Übernahmen (siehe oben) kommen erst dann zum Einsatz, wenn ein Gatekeeper systematisch gegen die Regeln im DMA verstößt. Dieses sogenannte „systematic non-compliance“ liegt erst dann vor, wenn es innerhalb von acht Jahren drei Verstöße gegeben hat. Das Parlament wollte das auf zwei Verstöße reduzieren, konnte sich jedoch gegen die Kommission nicht durchsetzen.

Damit bleiben strenge Maßnahmen ein stumpfes Schwert: Angesichts der begrenzten Ressourcen der Kommission bei der Durchsetzung ist es fraglich, ob wir diese weitergehenden Maßnahmen überhaupt jemals in Aktion sehen werden. Das nötige Drohpotenzial entfalten die Maßnahmen natürlich nicht, wenn es unwahrscheinlich ist, dass sie angewandt werden.

Kein Budget und Personal für die Durchsetzung

Noch bevor der finale DMA-Text vorliegt, hat die Kommission bereits angekündigt, aufgrund von fehlendem Budget bei der Durchsetzung unterbesetzt zu sein. Erst im Laufe der Jahre soll das Personal von 20 auf 100–120 Personen aufgestockt werden. Das sendet ein falsches Signal an die Gatekeeper, die sich um eine strenge Kontrolle damit wohl nur geringe Sorgen machen brauchen. Selbst die vom Parlament vorgeschlagenen 220 Stellen sind angesichts der unzähligen Big-Tech-Anwälte noch am unteren Rand dessen, was für eine effektive Durchsetzung nötig sein wird. Zum Vergleich: Allein die Wettbewerbsbehörde von Großbritannien plant mehr als 200 Stellen für die Durchsetzung der Regeln für Digitalkonzerne in einem deutlich kleineren Markt als dem EU-Binnenmarkt.

Mehrere Vorschläge stehen dazu derzeit im Raum: So könnten die Internetplattformen über das Verursacherprinzip finanziell an der Durchsetzung beteiligt werden. Außerdem könnten die Mitgliedsstaaten eigenes Personal bereitstellen, um kurzfristig für mehr Personal zu sorgen.

Es wäre fatal, wenn sich die Kommission nicht um die notwendigen Mittel für die Durchsetzung kümmern würde. Dann droht der DMA als Ganzes zu scheitern. Die Beteiligten sollten alles dafür tun, dass das Digitalmarkt-Gesetz nicht aufgrund zu knapper Mittel in der Praxis zum Rohrkrepierer wird.

Wie geht es jetzt weiter

Auch wenn es eine politische Einigung beim Digital Markets Act gibt, liegt der finale Text noch nicht vor. Erst wenn das der Fall ist, können Details bei der Durchsetzung oder den Ge- und Verboten abschließend bewertet werden.

Im Juli wird das Parlament voraussichtlich über den Text abstimmen und der DMA könnte im Oktober 2022 in Kraft treten. Das heißt jedoch noch nicht, dass sich Facebook, Google & Co ab dann an die Regeln halten müssen. Diverse Übergangsfristen könnten dazu führen, dass die Regeln erst ab Mai 2024 angewendet werden müssen. Erst ab dann wird die Kommission die Einhaltung der Regeln prüfen. Damit kommen die Regeln erst sehr spät, während die Macht der Plattformen kontinuierlich weiter wächst.

Die an und für sich guten Regeln des DMA stehen und fallen weiterhin mit der für ihre Durchsetzung verfügbaren Mittel. Wir werden hier die kommenden Monate genau hinschauen, ob der DMA zum Papiertiger wird oder einen ernsthaften Schritt hin zur Begrenzung der Macht von Big Tech bedeutet.

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