In den laufenden Koalitionsverhandlungen werden die politischen Weichen für die nächsten Regierungsjahre gestellt. Nun zahlt sich aus, wer ausreichend Geld für die Lobbyarbeit hat, um diese entscheidende politische Phase zu beeinflussen. Ein Indikator für die Macht unterschiedlicher Lobbyakteure ist, wie viel Geld sie für Lobbyarbeit ausgeben und wie viele Lobbyist:innen sie jeweils beschäftigen.
Unsere Auswertung des Lobbyregisters zeigt, dass die Lobbyausgaben von Akteuren mit wirtschaftlichen Interessen deutlich höher sind als die von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Umweltverbänden, Wohlfahrtsverbänden oder Hilfsorganisationen. Gesellschaftliche Anliegen, denen eine finanzstarke Lobby fehlt, drohen dadurch unter die Räder zu geraten. Das wäre zum Nachteil für die gesamte Gesellschaft – und würde auch das Vertrauen in demokratische Entscheidungen weiter schwächen.
15-mal höhere Lobbyausgaben aus der Wirtschaft
Das Machtungleichgewicht in Zahlen sieht so aus: Unter den 100 größten Lobbyakteuren (nach Höhe der Lobbyausgaben) lassen sich nur sieben dem zivilgesellschaftlichen Sektor zuordnen – so etwa das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas oder auch der ADAC. Nur drei dieser nicht-wirtschaftlichen Akteure sind NGOs im engeren Sinne: Campact, der Naturschutzbund Deutschland und Greenpeace. Und: Die 20 größten Wirtschaftslobbyakteure geben rund 15 mal so viel für ihre Lobbyarbeit aus wie die 20 größten Umweltverbände, einschließlich Tierschutz. Diese Zahlen zeigen ganz deutlich: Das Bild der angeblich übermächtigen NGOs, das von CDU und rechtspopulistischen Medien gezeichnet wird, ist ein Mythos.
Wichtig dabei: Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kirchen müssen sich nicht ins Lobbyregister eintragen. Das ist eine Leerstelle, die wir immer wieder kritisiert haben. Die Grundaussage des Übergewichts finanzstarker Wirtschaftsakteure wird aber durch die fehlenden Daten nicht wesentlich geschmälert. Im Gegenteil: Es ist davon auszugehen, dass Arbeitgeberverbände aufgrund ihrer Finanzkraft und Größe höhere Lobbyausgaben als Gewerkschaften und Kirchen haben.
Koalitionsverhandlungen: Geschenke für mächtige Lobbyakteure?
Hohe Lobbyausgaben führen nicht automatisch dazu, dass entsprechende Lobbywünsche auch in die Gesetzgebung aufgenommen werden. Und doch gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass die starken Ungleichgewichte zugunsten wirtschaftlicher Interessen politische Entscheidungen verzerren. Darauf deutet auch ein Blick auf das Sondierungspapier im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD hin. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie mit seinen Lobbyausgaben in Höhe von mindestens 7,3 Millionen Euro hat immer wieder darauf gedrängt, die CO2-Grenzwerte für Autos aufzuweichen – und tatsächlich findet sich dieser Punkt im Papier.
Die erneute Subventionierung von Agrardiesel entspricht den Forderungen des Deutschen Bauernverbands, der mit seinen Lobbyausgaben in Höhe von mindestens 4,8 Millionen Euro ebenfalls zu den größten Lobbyakteuren zählt. Beide Vorhaben werden von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden scharf kritisiert.
Energie-, Finanz- oder Autolobby: Wer sind die mächtigsten Lobbyakteure?
In manchen Themenbereichen sind die Lobbyausgaben besonders hoch. Ein Blick auf die Unternehmen mit den höchsten Lobbyausgaben zeigt, dass im Bereich Energie auffällig hohe Lobbyausgaben fließen. Das betrifft sowohl die Produktion, Handel und den Vertrieb (Uniper, EnBW, Eon) als auch die Verbraucherseite: BASF, ThyssenKrupp und Covestro zählen zu den energieintensiven Unternehmen. Auch auf Verbandsseite sind mit dem BDEW, dem VKU und dem VCI mächtige Verbände mit energiepolitischen Interessen dabei.
Die 20 größten Wirtschaftsverbände
Wirtschaftsverband | Lobbyausgaben (mind.) in Euro |
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. | 15.090.001 |
Verband der Chemischen Industrie e.V. | 9.230.001 |
Der Mittelstand, BVMW e.V. Bundesverband mittelständische Wirtschaft | 9.120.001 |
Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. | 8.830.001 |
BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. | 8.690.001 |
VKU - Verband kommunaler Unternehmen e.V. | 7.730.001 |
Handelsverband Deutschland - HDE - e. V. | 7.340.001 |
Verband der Automobilindustrie e.V. | 7.320.001 |
Bundesverband deutscher Banken e.V. | 6.050.001 |
ZVEI e. V. - Verband der Elektro- und Digitalindustrie | 5.360.001 |
Wirtschaftsrat der CDU e.V. | 5.030.001 |
Bitkom e.V. | 4.810.001 |
Deutscher Bauernverband e.V. | 4.480.001 |
Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) | 4.420.001 |
VDMA e.V. | 4.260.001 |
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) | 2.990.001 |
ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. | 2.960.001 |
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. | 2.790.001 |
Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) e.V. | 2.680.001 |
BVI Bundesverband Investment und Asset Management | 2.540.001 |
Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands e.V. | 2.500.001 |
Die 20 größten Unternehmen
Unternehmen | Lobbyausgaben (mind.) in Euro |
Deutsche Lufthansa AG | 3.740.001 |
BASF SE | 3.720.001 |
ENBW Energie Baden-Württemberg AG | 3.260.001 |
REWE-Zentralfinanz eG | 2.990.001 |
Huawei Technologies Deutschland GmbH | 2.940.001 |
Covestro Deutschland AG | 2.890.001 |
EON SE | 2.640.001 |
Bayer AG | 2.600.001 |
Uniper SE | 2.500.001 |
Robert Bosch GmbH | 2.480.001 |
Volkswagen AG | 2.310.001 |
Thyssenkrupp Steel Europe AG | 2.300.001 |
EUTOP Europe GmbH | 2.270.001 |
Deutsche Telekom AG | 2.260.001 |
Deutsche Bank AG | 2.260.001 |
Evonik Industries AG | 2.150.001 |
Deutsche Post AG | 2.130.001 |
Commerzbank AG | 2.130.001 |
Deutsche Bahn | 2.010.001 |
Airbus Defence and Space GmbH | 1.960.001 |
Rud Pedersen Public Affairs Germany GmbH | 1.960.001 |
Quelle: Lobbyregister, Stand: März 2025
In den Koalitionsverhandlungen und auch bei späteren energiepolitischen Fragen sollten Entscheidungsträger:innen diese Lobbyübermacht bedenken - und auf ausgewogene Beteiligung anderer Interessen wie vor allem Klima- und Verbraucherschutz achten. Das ist besonders relevant, weil sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren politisch viel bewegen wird. Ähnliches gilt für weitere finanzstarke Branchen wie die Finanzindustrie und die Automobilindustrie.
CDU-Lobbyverband und Lobbyagenturen
Auffällig sind auch die hohen Lobbyausgaben des Wirtschaftsrats der CDU. Dabei handelt es sich – anders als der Name suggeriert – nicht um ein Parteigremium. Dann hätte der Verband im Lobbyregister auch nichts zu suchen. Tatsächlich ist der Wirtschaftsrat ein unternehmerischer Verband, der aber einen sehr engen Draht in die CDU hinein hat. Die Präsidentin des Wirtschaftsrats sitzt sogar qua Amt als Dauergast im Parteivorstand der CDU und kann dort mitreden. Das ist eine ungute Nähe für einen der mächtigen Wirtschaftslobbyverbände – und noch dazu auch rechtswidrig.
Interessant ist auch ein Blick auf die Unternehmen EUTOP und Rud Pedersen Public Affairs Germany. Dabei handelt es sich um Lobbyagenturen, die im Auftrag von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden Lobbyarbeit betreiben. Dahinter verbergen sich auch manch finanzstarke Unternehmen wie zum Beispiel Bayer und Huawei, die eh schon zu den finanzstärksten Lobbyakteuren zählen. Huawei sticht ohnehin schon hervor, weil nur zwei ausländische Konzerne besonders hohe Lobbyausgaben in Deutschland haben. Der chinesische Tech-Konzern fiel damit auf, dass er starke Lobbyarbeit für seine Teilnahme am Ausbau des 5G-Netzes in Deutschland betrieb.
Gewinnträchtige Lobbyarbeit für Unternehmen
Es erstaunt kaum, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbänden mehr Mittel für ihre Lobbyarbeit zur Verfügung stehen. Schließlich dient deren Lobbyarbeit dazu, dass die Unternehmen höhere Gewinne machen. In anderen Worten: Lobbyarbeit ist für Unternehmen gewinnträchtig und lohnt sich damit auch finanziell.
Für Akteure mit vorrangig ideellen Interessen wie Naturschutz, Demokratieförderung oder Schutz von Menschenrechten gilt das nicht. Deren Ziel ist es, sich für bestimmte gesellschaftliche Themen einzusetzen – und nicht Gewinne zu machen. Zivilgesellschaftliche Organisationen finanzieren sich in aller Regel durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und zum Teil auch über öffentliche Gelder. Betreiben sie Lobbyarbeit, dient diese dazu, ihre politischen Anliegen umzusetzen, steigert aber nicht ihre Einnahmen oder allenfalls nur sehr indirekt.
Zivilgesellschaft und ausgewogene Debatten stärken
Deswegen ist es unlauter und grenzt an Desinformation, wenn derzeit immer wieder die angebliche Übermacht von „NGOs“ angeprangert wird. Dabei blenden CDU-Politiker:innen oder Springer-Medien wie WELT und BILD offenbar gezielt aus, bei wem die eigentliche Lobbymacht liegt: bei großen Wirtschaftsverbänden wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Verband der Chemischen Industrie und dem Verband der Automobilindustrie. Wer hier von „Schattenstrukturen“ vermeintlich allzu mächtiger NGOs raunt, bedient nicht nur extrem rechte Verschwörungserzählungen, sondern liegt mit Blick auf die Zahlen schlichtweg daneben.
Es ist wichtig, die Debatte um den Einfluss verschiedener Lobbygruppen nüchtern und anhand von aussagekräftigen Zahlen anzuschauen – und entsprechend gegenzusteuern. Die von manchen derzeit scharf kritisierten öffentlichen Fördergelder für zivilgesellschaftliche Organisationen sind dabei ein Mittel unter vielen. Auch Lobbyregulierung in Form von Transparenz und Schranken für Einflussnahme dient dazu, einseitige Einflussnahmen zumindest abzuschwächen. Schließlich liegt es auch an den politischen Entscheidungsträger:innen selbst, proaktiv auf ausgewogene Kontakte zu setzen. Das sollte auch und ganz besonders für die derzeitige entscheidende Phase in den Koalitionsverhandlungen gelten.

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