Aus der Lobbywelt

Basel III und die Finanzlobby in der Kritik

Der Streit um striktere Eigenkapitalregeln für Banken ist offiziell abgeschlossen. Jetzt ist die Frage, ob die G20 das Basel III-Paket im November beschließen werden. Eine Übersicht der Kritik an den neuen Regeln: Zu lange Übergangsfristen + das parallele Bankensystem  + „systemrelevante“ Banken geschont + öffentliche Banken als Verlierer + Außerdem: Bankenprotest am 29. September + […]
von 29. September 2010
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Hier waren auch Jochen Sanio und Axel Weber öfter zu Gast: In der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich tagt der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht. (Bildrechte: GNU Free Documentation License)

Der Streit um striktere Eigenkapitalregeln für Banken ist offiziell abgeschlossen. Jetzt ist die Frage, ob die G20 das Basel III-Paket im November beschließen werden. Eine Übersicht der Kritik an den neuen Regeln: Zu lange Übergangsfristen + das parallele Bankensystem  + „systemrelevante“ Banken geschont + öffentliche Banken als Verlierer + Außerdem: Bankenprotest am 29. September + Bankenblockade am 18. Oktober in Frankfurt + G20-Gipfel in Seoul auf künstlichen Inseln.

Das Vertragswerk Basel III, das die außer Rand und Band geratenen Weltfinanzmärkte durch striktere Eigenkapital-Vorschriften stabilisieren soll, ist eines der umkämpftesten Regulierungs-Projekte des Jahres. Mehrere Monate wurde in der Basler Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) um Prozentpunkte, Definitionsfragen, Eigenkapital, Fremdfinanzierungsquoten etc. gerungen.

Das Vertragswerk wurde am 13. September 2010 vorgestellt. Dass die Kurse der weltgrößten Privatbanken am Tag danach zunächst in die Höhe schnellten, ist ein sicheres Indiz dafür, dass Beobachter und Anleger mit einschneidenderen Maßnahmen gerechnet hatten. Insbesondere die langen Übergangsfristen sowie schwache Regeln für „systemrelevante“ Banken gelten als wichtiger Erfolg der Bankenlobby. Eine herausragende Rolle spielten dabei nicht zuletzt das Institute of International Finance (IIF, Vorsitzender: Josef Ackermann) und die European Banking Federation. Als Verlierer gelten dagegen die öffentlich-rechtlichen Banken in Deutschland. Die Regeln müssen noch auf dem G20-Gipfel am 11.+12. November 2010 in Seoul verabschiedet werden und danach in verbindliche nationale bzw. EU-Regeln umgesetzt werden. Die Auseinandersetzung ist also noch nicht zu Ende: Es bleibt Zeit für die Finanzlobby, weitere Verwässerungen zu erreichen sowie Schlupflöcher zu implementieren

War das Basler Komitee zur Bankenregulierung zu zahm?

Viele Beobachter bewerten die geplanten Regelungen so, dass diese zwar prinzipiell in die richtige Richtung gingen, aber zu zaghaft, lückenhaft und langfristig angelegt wurden. Und genau hier, in der Verwässerung der konkreten Ausgestaltung der Bemessungsgrenzen und -grundlagen, liegt stets ein Hauptansatzpunkt des Lobbyismus.

Folgende Kritikpunkte am Basel III-Papier erscheinen uns erwähnenswert:

  • Zu lange Übergangsfristen

Die Basler Zeitung schreibt in einem empfehlenswerten Beitrag über Basel III und Lobbyismus: „Als besonderer Erfolg der Bankenlobby werden die überaus langen Übergangsfristen gesehen, die bis 2019 reichen.“ In einem vergleichbaren Zeitraum – immerhin 9 Jahre – wurde die Weltwirtschaft von zwei großen Krisen erschüttert: Die IT-dotcom-Blase platzte 2001 und die US-Immobilienblase zerbarst 2007. Die Konjunkturkennziffern der USA lassen befürchten, dass ein nächster Absturz vor 2019 bevorsteht. Trotz gigantischer schuldenfinanzierter Konjunktur- und Rettungsprogramme erholt sich die größte Binnenwirtschaft der Welt nur schleppend, es ist ein Absturz verhindert, aber kein neuer Konjunkturzyklus in Gang gesetzt worden.

  • Das parallele Bankensystem: Niemand hat die leiseste Ahnung

David Cottle weist im Blog „The Source“ (Wall Street Journal Europe) darauf hin, dass die von Basel III ins Visier genommen Banken heutzutage nicht mehr die einzigen Akteure auf den Finanzmärkten seien. Laut einer Studie der ING Bank seien die klassischen Banken in den USA nur in Besitz von 22% aller Schulden. In Europa sei die Zahl etwa doppelt so hoch.

Eine besondere Gefahr gehe von einem „parallelen Bankensystem“ aus, das sich in den letzten 10 Jahren jeder Kontrolle entzogen habe. Besonders die Verbriefung von Krediten und Wertpapieren (Securitization) sei mit immer neuen Produkten ins Kraut geschossen:

„>>In Wahrheit hat die rapide Entwicklung des parallelen Bankensystems unsere Fähigkeiten überrant , es zu bewerten, geschweige es zu verstehen oder zu regulieren<<, schrieb ING. Deren Analysten ziehen den US-Markt für Rückkaufvereinbarungen (repurchase agreements) als Beispiel heran. Diese sind ein wichtiges Mittel für die kurzfristige Finanzierung von Finanzinstituten, sie könnten gegenwärtig einen Umfang von irgendwo zwischen 2.500 Millarden (2.5 Billionen, engl.: trillions) bis 8.000 Milliarden (8 Billionen) US-Dollar haben. Mit anderen Worten – niemand hat die leiseste Ahnung.“

Auch der Ökonom Max Otte nimmt laut Handelsblatt denn parallelen Finanzmarkt aufs Korn:

„Kritisch ist zu sehen, dass sie nur für Banken, nicht aber für andere Finanzmarktakteure wie Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften gelten, die ebenso einbezogen gehören“, sagte der Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Worms.

    • Too big to fail – Die ungelöst Frage der systemrelevanten Banken
  • Der Hauptansatz des Basel III-Werkes sind höhere Anforderungen an das Eigenkapital der Banken. Dadurch sollen sie im Krisenfall weniger anfällig werden. Ein Hauptproblem der zurückliegenden Weltfinanzkrise wird durch den aktuellen Regel-Entwurf aber nicht gelöst: Große Finanzinstitute wie die Hypo Real Estate oder die Commerzbank schafften es beispielsweise die Regierung der Bundesrepublik mit dem Schreckensszenario unter Druck zu setzen, dass die Pleite ihrer Unternehmen die gesamte Volkswirtschaft, ja Weltwirtschaft in den Abgrund reißen könnte. Die Frage der systemrelevanten Banken ist in den Basel III-Verträgen nur in Form einer Absichtserklärung angerissen – und die Bankenlobby wehrt sich weiter dagegen. Die Basler Zeitung schreibt dazu in dem lesenswerten Artikel „Banken reiben sich die Hände und lobbyieren heftig weiter“:

    „Die Banklobby macht dennoch weiterhin auf Panik. In einem Schreiben von gestern warnt die «European Banking Federation» vor den ökonomischen Konsequenzen der neuen Regulierungen. Die Banken wollen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, die neuen Regeln seien in ihrem Sinn ausgefallen, denn noch haben sie nicht alle Scherflein im Trockenen. Die Warnung der Finanzlobby zielt auf zwei Vorstösse der Basel-III-Regulierer ab, die noch weitgehend offen sind: «Die Europäischen Banken lehnen auch die Forderung nach weitergehenden Ansprüchen an die Banken ab, wie etwa jene für systemrelevante Banken oder jenen nach einem antizyklischen Buffer».“

  • Öffentliche Banken – Das Ende des deutschen Sonderwegs?

Ein lauter Aufschrei gegen Basel III kommt von den öffentlich-rechtlichen Banken. Das deutsche Bankensystem stellt mit seinen Sparkassen, Landesbanken und ähnlichen Misch-Instituten aus kommunalen, förderalen und privaten Eigentümern einen Sonderfall in der internationalen Bankenlandschaft dar. Diese stehen durch die Basel III-Vereinbarungen unter verschärftem Druck, da ihre Besonderheit – die stillen Einlagen – nicht länger als Eigenkapital gelten sollten. So bewertete der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB), Karl-Heinz Boos, das Basel III-Werk im Handelsblatt als „regulatorischen Blindflug“.

Auch Max Otte äußert sich kritisch:

„Sehr nachteilig für die deutsche Wirtschaft“ sei zudem die Tatsache, dass die speziellen Formen der Finanzierung für Sparkassen und Genossenschaftsbanken abgeschafft werden sollen. „Diese Institute waren seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine wesentliche Basis für die Stärke des deutschen Wirtschaftsmodells“, erklärte Otte und fügte hinzu: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gelegenheit auch genutzt werden sollte, Deutschland zu schwächen.“

Amerikaner gegen Deutsche?

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Die Zentrale der Deutschen Bank und ein Stück von Frankfurt am Main. (Autor: Gizmo23 / Lizenz: GNU)

Wiederholt ist aus Kreisen der öffentlichen Banken die Argumentation zu hören „die Amerikaner“ wollten das deutsche Bankensystem schleifen. Dabei wird offensichtlich übersehen, dass die Deutsche Bank, ein Flaggschiff der deutschen Wirtschaft, einen wesentlichen Beitrag in der Einflussnahme auf den Basel-III-Prozess leistet. So ist der Deutsche-Bank-Vorsitzende Josef Ackermann auch Vorsitzender des mächtigen Institute of International Finance. Die Bank dürfte über beste Kontakte in die deutsche Verhandlungsdelegation in Basel verfügen, hat sie doch mit Helmut Bauer und Malcom Knight zwei ehemalige Top-Regulierer in ihren Reihen. Helmut Bauer war bis 2007 als Chef der BaFin oberster Deutscher Banken-Aufseher. Er wechselte 2008 als „Leiter für Aufsichtsangelegenheiten“ zur Deutschen Bank. Sein Nachfolger bei der BaFin, Jochen Sanio, vertrat laut Presseberichten neben Bundesbank-Chef Axel Weber die deutschen Interessen in Basel. Mit Malcolm Knight konnte sich die Deutsche Bank ab 1. Oktober 2008 gar den Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sichern.

Auch der Präsident des Bankenverbands, Andreas Schmitz von HSBC Trinkaus & Burkhardt, forderte in einem Handelsblatt-Interview, dass der Staat für die öffentlichen Banken keine Ausnahmen zulassen dürfe. Im Bankenverband sind die Privatbanken organisiert, der Verband hat die letzten Jahre immer wieder massiv Lobbyarbeit gegen die öffentlichen Banken betrieben. Diese Auseinandersetzung geht auch nach der Finanzkrise weiter, wie Basel III zeigt.

Einflussnahme durch Schreckensszenarien

Die Einflussnahme der Banken-Lobbyorganisation „Institute of International Finance“ auf den Basel III -Prozess ist auch Thema in dem Blog „the baseline scenario“ des in den USA vielbeachteten Ökonoms Simon Johnson. Das IIF hatte bereits im Juni 2010 die Regierungen der Welt mit einer Studie alarmiert, wonach hohe Eigenkapitalanforderungen an Privatbanken die zarten Pflänzchen der Konjunkturerhohlung wieder zertrampeln könnten. Denn besonders die geplanten Puffer (engl: Buffer) für systemrelevante Banken (siehe oben) könnten zu einer Klemme bei der Kreditvergabe führen und dadurch Wirtschaftstätigkeit abbremsen. Das IIF veranschaulicht dieses für verantwortliche Politiker gewiss erschreckende Szenario mit bunten Grafiken, wie sie beispielsweise einen Bericht über das IIF-Jahres-Treffens im Juni 2010 Wien in der Tageszeitung „Der Standard“ illustrieren (Wiener Aufschrei gegen Basel). Darin wird eine Konjunkturabschwächung von 3,1 % in der Eurozone an die Wand gemalt, sollten die Puffer für systemrelevante Banken in Kraft treten.

Simon Johnson führt zwei Studien ins Feld, die diese Prognosen des IIF entkräften. Eine stammt von den Ökonomen Sam Hanson, Anil Kashayp und Jeremy Stein, die andere vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht,  das den Basel III-Prozess koordiniert. Die Basler Arbeitsgruppe kommt laut Johnson zu dem Schluss, „dass durch eine stärkere Eigenkapitalanforderungen das langfristige Wachstum der Wirtschaft begünstigt würde, da weniger Mega-Krisen zu befürchten seien, und dass der Übergang zu solchen Regelungen wesentlich unproblematischer gelingen könnte als die Finanzbranche behauptet“.

Johnson kommt bei der Betrachtung der Basel III-Ergebnisse zu dem Schluss, dass die USA, vielleicht auch Großbritannien oder die Schweiz, höhere Eigenkapitalanforderungen implementieren sollten. Schon jetzt lägen die US-Banken bei etwa 10 Prozent im Bereich des harten Kernkapitals (Core-Tier 1, Eigenkapital plus Gewinne) – der Basel III-Prozess soll am Ende lediglich zu 8,5 Prozent Eigenkapital führen.

Wesentlich weit reichendere Regulierungsmaßnahmen fordert Lucas Zeise in der Financial Times Deutschland („Bändigt das Üngeheuer!“).

Ein Thema für die Straße? Die Banken-Blockade in Frankfurt und attac-Protesttage

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G20-Proteste in der Innenstadt von London 2009. (Autor: felixthehat / Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0 Generic)

Dass sich längst nicht nur sogenannte Finanzexperten und studierte Ökonomen mit vormals langweilig anmutenden Themen wie Bankenregulierung beschäftigen, zeigen zwei anstehende Protest-Aktionen. Attac ruft für den 29. September 2010 zu einem Banken-Aktionstag auf, an dem nach Angaben des Bündnisses mittlerweile über 50 Aktionen in ganz Deutschland geplant sind. Das Motto: Zerschlagung der Großbanken statt Kürzungspaket gegen die Armen!

Die „Aktionsgruppe Georg-Büchner“ mobilisiert für den 18. Oktober 2010 nach Frankfurt am Main. Das ehrgeizige Ziel: Am Jahrestag der milliardenschweren Hypo-Real-Estate-Rettung soll ein deutsches Finanzinstitut dicht gemacht werden. Die Veranstalter, darunter auch Antifa-Gruppen und Gewerkschafter, moblisieren bewusst für einen Werktag. Diesmal soll das Räderwerk der Finanzindustrie zumindest ansatzweise und kurzzeitig angehalten werden: „Unsere Position ist schlicht: Wir werden nicht weiter tatenlos zusehen! Stoppen wir die Umverteilung von unten nach oben!“

Der G 20 Gipfel in Seoul auf künstlichen Inseln

Auch in Korea scheint man sich für den kommenden G20-Gipfel auf massive Proteste einzustellen. Wie das alternative Infoportal indymedia unter Bezugnahme auf die Korea Times berichtet, werden für den kommenden G20-Gipfel in Seoul drei künstliche Inseln erreichtet, die im Fluss Han zwischen zwei Brücken vor Anker gehen sollen. Kostenpunkt: 83 Millionen US-Dollar. Die Nationale Polizeibehörde plant 400.000 Polizisten zu mobilisieren, um die Regierungschefs der 20 reichsten Nationen vor zu erwartenden Protesten am Ufer abzuschirmen.

Koreanische Globalisierungsgegner beklagen seit dem Sommer 2010 massive Razzien und Säuberungsaktionen in der Stadt, die sich gegen Einwanderer, Obdachlose, Gewerkschafter, Studenten und soziale Aktivisten richten. Offenbar soll das Feld der kommenden Auseinandersetzung vorsorglich bereinigt werden. Ein kurzer Blick auf die Kampferfahrungen koreanischer Arbeiter und Studenten in den letzten 20 Jahren lässt die Sorge der Verantwortlichen durchaus realistisch erscheinen. Man darf also gespannt sein, ob die Staatenlenker der Welt auf ihren künstlichen Inseln in der Lage sein werden, das Basel-III-Papier ungestört zu beschließen.

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