Aus der Lobbywelt

Ab heute bist Du Deutschland

Heute abend geht es los: mit „Du bist Deutschland“ startet eine Kampagne deutscher Medienunternehmen für eine neue Aufbruchsstimmung in Deutschland. Koordiniert wird sie von Bertelsmann – unterstützt durch die Werbeagenturen Jung von Matt/Alster (Kreation) und kempertrautmann (strategische Kampagnenentwicklung). Die Kampagne läuft im Rahmen der Initiative „Partner für Innovation“ (mehr Infos dazu folgen). Zitat aus dem […]
von 26. September 2005

Heute abend geht es los: mit „Du bist Deutschland“ startet eine Kampagne deutscher Medienunternehmen für eine neue Aufbruchsstimmung in Deutschland. Koordiniert wird sie von Bertelsmann – unterstützt durch die Werbeagenturen Jung von Matt/Alster (Kreation) und kempertrautmann (strategische Kampagnenentwicklung). Die Kampagne läuft im Rahmen der Initiative „Partner für Innovation“ (mehr Infos dazu folgen). Zitat aus dem Pressepaket:

  • „Der zweiminütige TV-Spot wird nahezu zeitgleich auf den TV-Sendern der beteiligten Medienunternehmen ausgestrahlt. ARD und ZDF senden den Spot erstmals um 19.56 Uhr, SAT1, ProSieben und Kabel 1, RTL, RTL 2, VOX und Super RTL sowie alle Premiere-Spielfilmkanäle strahlen ihn um 20.13 Uhr aus. Ebenfalls am 26. September erfolgt der Launch der Kampagnensite www.du-bist-deutschland.de. Eine breit angelegte Kommunikation über Tageszeitungen und Publikumszeitschriften, Kino, Online-Medien und Outdoor-Werbung schließt sich an. Die Kampagne läuft bis Januar 2006.“

Die Medienunternehmen stellen für die Kampagne Werbeflächen und –zeiten im Wert von über 30 Mio. Euro unentgeltlich zur Verfügung. Auch die Agenturen und die prominenten Unterstützer arbeiten umsonst für die Kampagne. Die Kampagne betont, dass sie selbst „überparteilich und politisch unabhängig“ ist. Deshalb wurde der ursprünglich für Juni geplante Kampagnenstart nach die Wahl vergelegt. Das Interview mit dem Bertelsmann-Chef Gunther Thielen in der Welt am Sonntag von gestern zeigt aber, dass zumindest Bertelsmann Aufbruchstimmung mit einem verstärkten Reformkurs in Verbindung bringt:

  • WamS: Ihre Kampagne läuft bis Januar. Wird Deutschland danach ein anderes Land sein?
  • Thielen: Ich hoffe, daß aus unserer Kampagne eine intensive Diskussion hervorgeht und sich etwas im Bewußtsein der Menschen ändert. Das setzt voraus, daß viele Unternehmen und Institutionen mit einsteigen, unseren Impuls aufgreifen und aus der Kampagne eine Bewegung machen. Ich möchte aber ganz deutlich sagen: Wir erwarten auch von den Politikern, daß sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Auch für sie gilt: „Du bist Deutschland.“
  • WamS: Was erwarten Sie von der neuen Regierung?
  • Thielen: Unabhängig davon, wer die Regierung bildet, der Reformkurs muß verstärkt fortgesetzt werden.

Eine zweiter interessanter Aspekt in dem Interview ist die Frage nach den Gründen für die negative Stimmung in Deutschland.

  • WamS: Der „Economist“ lobte Deutschland jüngst als innovative und produktive Wirtschaftsmacht. Warum sehen wir uns selbst viel negativer, als das Ausland es tut?
  • Thielen: Das liegt wohl ein Stück weit in unserer Mentalität. […]

Trägt nicht auch die negative Berichterstattung über Deutschland dazu bei, immer neue Studien, wie schlimm es um Deutschland steht? Deren Ergebnisse werden gerne benutzt, um unbeliebte „Reformen“ mit Sachzwängen zu rechtfertigen. Auch in der Bertelsmann-Stiftung findet sich die Position, dass die negative Berichterstattung notwendig ist:

  • „Auch dem Standort Deutschland wäre kaum geholfen, würde man die offensichtlich vorhandenen Defizite unter den Teppich kehren, frei nach dem Motto: Wir kommen da schon irgendwie wieder raus, wir müssen nur für gute Stimmung sorgen. Dies kann und darf nicht der Anspruch des Internationalen Standort-Ranking sein.“ (Thorsten Hellmann, Projektmanager der Bertelsmann-Stiftung im Themenfeld Wirtschaft und Soziales, anläßlich des negativen Internationalen Standort-Rankings der Bertelsmann-Stiftung im Oktober 2004 in einem Beitrag gegen den Vorwurf, Deutschland in die Krise zu reden)

Es wird interessant werden, wie sich die Kampagne mit der Krisenrhetorik von Wirtschaftsverbänden oder „Experten“ wie Bernd Raffelhüschen kreuzt – insbesondere, wenn in den nächsten Wochen die Ausrichtung einer großen Koalition zu beeinflussen ist…

Spannend wird auch, wie die Kampagne öffentlich aufgenommen wird. Es ist doch merkwürdig, Menschen zu motivieren und aktivieren, indem man sie mit Einweg-Kommunikation beschallt. Bräuchte es dazu nicht mehr interaktive Elemente, sei es öffentliche Foren oder Weblogs, die Möglichkeit für Menschen, ihre Ideen einzubringen, Räume zur Entwicklung von Utopien usw.? Als die Kampagne im Mai das erste Mal angekündigt wurde, gab es im Internet erhitzte Diskussionen – vor allem ausgelöst durch einen polemischen Gegenaufruf von Johnny Haeusler auf Spreeblick (mit nachgeschobener Erläuterung). Dennoch (oder gerade deswegen!?) scheint es nach den ersten Ankündigungen in der Kampagne keine Rolle für interaktivere oder innovativere Kommunikationskanäle zu geben. Wir werden das nachfragen und berichten.

Weitere Berichte zur Kampagne: WamS, FAZ, siehe auch älteren LobbyControl-Beitrag.

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