Der Bayerische Rundfunk hatte schnell reagiert und uns schon Anfang der Woche eine erste Stellungnahme von Günter Ederer zur Kritik an dem Report München-Beitrag mit dem Klimawandelskeptiker Fred Singer geschickt. Leider hat es etwas länger gedauert die Stellungnahme Ederers (pdf) im Detail zu kommentieren – denn daran ist einiges fragwürdig. Unsere Kritik entkräftet sie nicht.
Zur Info stellen wir auch unseren Beschwerdebrief an Report München (pdf) online. Allerdings ist diese Stellungnahme keine Entgegnung auf diesen Brief, sondern auf andere kritische Reaktionen auf den Report München-Beitrag. Deshalb geht Ederer auf die Kernpunkte unserer Beschwerde nicht ein. Report München hat uns aber eine weitere Erklärung Ederers zugesagt, wenn er von einer Reise zurück ist.
Die vorläufige Stellungnahme Ederers ist teilweise recht persönlich und polemisch formuliert. Seine zentralen Punkte:
1) Alle Vorwürfe gegen Fred Singer seien Verleumdungen, die nicht fundiert sind. Er, Ederer, habe das als Journalist geprüft. (Dazu unten im Detail)
2) Singers Organisation SEPP dürfe als gemeinnütziger Verein in den USA schon rein rechtlich keine Lobbyarbeit betreiben. Sie betreibe nur Informations- und Aufklärungsarbeit.
Ederer bezieht sich damit auf einen engen Lobbyismus-Begriff, wie er sich in amerikanischen Lobby-Regulierungen findet. Lobbyarbeit ist danach nur all das, was auf die Anbahnung, Vorbereitung und Durchführung von Lobbygesprächen mit Entscheidungsträgern zielt.
Singer und das „deep lobbying“ gegen den Klimaschutz
Demgegenüber gibt es in der lobbykritischen Debatte den Begriff des „deep lobbying“. Damit ist die Beeinflussung politischer Entscheidungen auf indirektem Weg über die Einflussnahme auf Öffentlichkeit und Wissenschaft gemeint. Dieser Strategie bediente sich auch das von ExxonMobil, Chevron, dem American Petroleum Institute u.a. 1998 geformte „Global Climate Science Team“ (GCST). In einem öffentlich geworden Strategiepapier ist nachzulesen, dass das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz durch die Infragestellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel untergraben werden sollte – in den USA mit Erfolg. (Das Strategiepapier findet sich in der UCS-Studie “Smoke, Mirrors & Hot Air”, siehe auch den vorherigen Blogbeitrag dazu).
In diesem Kontext ist Singers Rolle zu sehen. Wie in unserem Beschwerdebrief dargelegt, war die Vizepräsidentin von SEPP und Frau Singer, Candace Crandall, Mitglied im GCST und an der Strategiebildung beteiligt. SEPP hat zudem von ExxonMobil finanzielle Unterstützung erhalten und Fred Singer selbst hat Verbindungen zu elf Instituten und Organisationen, die Gelder vom Ölkonzern ExxonMobil bekommen, um die Debatte über den Klimawandel zu beeinflussen.
Auf all diese Punkte geht Ederer in seiner ersten Stellungnahme nicht ein – mal sehen, was dazu noch kommt. Sich darauf zu beziehen, dass SEPP keine Lobbyarbeit machen dürfe, sondern nur Informations- und Aufklärungsarbeit greift zu kurz und ignoriert das eigentliche Problem der gezielten Meinungsmache über scheinbar unabhängige Experten und Organisationen.
Singer und die Tabakindustrie
Kommen wir zum ersten Punkt zurück, dass laut Ederer alle Vorwürfe gegen Singer nur Verleumdungen und Lügen seien und er das alles natürlich geprüft habe.
Punkt 1: Ederer behauptet, dass weder Singer noch SEPP jemals Geld von der Tabakindustrie bekommen habe.
Das ist – vielleicht – im wörtlichen Sinne richtig. Sinngemäß betrachtet sieht die Sache jedoch anders aus: In den internen Dokumenten der Tabakindustrie, die diese in den USA im Rahmen juristischer Prozesse und außergerichtlicher Einigungen offen legen musste, lassen sich klare Belege dafür finden, dass Singer und SEPP an Studien bzw. Kampagnen beteiligt war, die mit finanzieller Unterstützung der Tabakindustrie und die Debatte um das Passivrauchen zu ihren Gunsten beeinflussen und die amerikanische Umweltorganisation EPA angreifen sollten. Nur zwei Beispiele dafür – Details und Belege zum ersten Fall der Übersichtlichkeit halber unten im Anhang.
Singer war 1994 an einer Studie der Denkfabrik „Alexis de Tocqueville Institution“ beteiligt, die die Methoden der Umweltbehörde EPA kritisierte, insbesondere zu der jüngsten Kosten-Nutzen-Analyse zu den Auswirkungen des Passivrauchens. Die Studie wurde vom Tobacco Institute, der (1998 zwangsweise aufgelösten) Lobbyorganisation der Tabakindustrie finanziert. Das Tobacco Institute bekam auch die Entwürfe der Studie zur Kommentierung geschickt und half beim Einwerben weiterer Wissenschaftler, die der Studie mehr wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleihen sollten. Bei der öffentlichen Präsentation der Studie (in Anwesenheit Singers) wurde die Finanzierung durch die Tabakindustrie nicht offen gelegt.
Ein weiteres Beispiel ist ein Dokument der Tabakfirma Brown & Williamson (B&W) über ihre „Public Affairs Strategies“, also die Strategien auf öffentliche Angelegenheiten (Politik und Medien) Einfluss zu nehmen (undatiert, vermutlich 1996). Sie wollte eine kritische Antwort des Congressional Research Service auf eine Studie der Umweltbehörde EPA gerne über eine glaubwürdige „third party“ in der Öffentlichkeit bekannter machen. „Third party“-Strategien sind in der PR- und Lobbyszene weit verbreitet. Um mehr Glaubwürdigkeit und Wirkung zu erzielen, lässt man die eigenen Interessen (oder die von Kunden) durch andere, vermeintlich unabhängige Fürsprecher (third parties) vertreten. B&W wurde bei SEPP fündig:
„With B&W’s assistance, SEPP launched a media relations campaign in January calling attention to the ?Top Five Environmental Myths of 1995.? While such issues as ?global warming? and radon were on the list, the focus was on ETS.“ (Eigene Übersetzung: Mit B&Ws Unterstützung startete SEPP im Januar eine Medienkampagne, die Aufmerksamkeit erzeugen sollte für die ‚Top Fünf der Umweltmythen 1995’. Auf der Liste standen auch Themen wie ‚globale Erwärmung’ und Radon, aber im Fokus stand das Passivrauchen’)
Das Dokument lässt nicht erkennen, wie die Unterstützung durch B&W aussah und ob dabei direkt Geld an SEPP oder Singer geflossen ist. Neben Geld könnte die Unterstützung auch in Personal- oder Sachleistungen gelegen haben. Auch bei der Studie der „Alexis de Tocqueville Institution“ ist nicht klar, ob Singer dafür bezahlt wurde oder nicht. In einem Fax des AdTI an das Tobacco Institute ist nur die Rede davon, dass die angefragten 20.000 US$ alle Kosten decken würden inklusive „contracting“. Das deutet daraufhin, dass ein Teil des Geldes als Honorare weiter geflossen ist. Selbst dann könnte Singer strikt formal natürlich behaupten, kein Geld von der Tabakindustrie bekommen zu haben – er hätte das Geld in diesem Fall von AdTI bekommen, selbst wenn es eigentlich vom Tobacco-Institute stammt.
Insofern mag Ederer möglicherweise formal richtig liegen , aber er umgeht den substantiellen Kern: inhaltlich gesehen lässt sich deutlich belegen, dass Singer und SEPP aktiv an der (teilweise verdeckten) Öffentlichkeitsbearbeitung im Sinne und mit Unterstützung der Tabakindustrie beteiligt waren.
Die unheimlichen „ExxonSecrets“
Eine andere vermeintliche „Verleumdungskampagne“ gegen Singer macht Ederer in dem „Blog Exxonsecrets.org“ ausfindig und schreibt weiter: „Bisher konnte noch nicht festgestellt werden wer dahinter steckt.“
Diese Stelle ist recht entlarvend für Ederers Anspruch, allen Dingen genau nachgegangen zu sein. Sehen wir mal darüber hinweg, dass www.exxonsecrets.org kein Blog, sondern eine Datenbank mit graphischem Interface ist. Dieses ist in Flash programmiert und enthält eine Rubrik „About“. Darin ist ganz einfach nachzulesen, dass die Webseite ein Projekt von Greenpeace USA ist. (In HTML listet die Webseite nur die Factsheets zu einzelnen von ExxonMobil geförderten Organisationen. Dort findet man den Hinweis nicht, aber auf der Hauptseite in Flash ist er wirklich einfach zu finden).
„Sehen Sie“ würde Herr Ederer jetzt vermutlich sagen, „die Umweltschützer stecken dahinter“. Aber entscheidend ist der Inhalt der Seite: dabei handelt es sich um eine Auswertung von ExxonMobil-Dokumenten über ihre finanzielle Unterstützung für Denkfabriken und andere Organisationen. Wenn sich Herr Ederer die Seite genauer angesehen hätte, könnte er dort zum Beispiel lesen, dass Singers Organisation SEPP 1998 und 2000 jeweils 10.000 US$ von ExxonMobil bekommen hat und dass Singer selbst mit zahlreichen Denkfabriken verbunden ist, die von ExxonMobil gefördert wurden, um den Klimawandel in Frage zu stellen.
Für die Zahlungen sind jeweils die Belege angegeben – mit einer „Verleumdungskampagne“ hat das nicht zu tun. Es handelt sich also um Sachinformationen, die entlarven sollen, wer alles Geld von ExxonMobil bekommen hat. Eine kritische Perspektive ja – aber keine Verleumdungskampagne.
Fazit: Ederers vorläufige Stellungnahme entkräftet unsere Vorwürfe keineswegs. Dafür dass Herr Ederer behauptet, er wäre allen Vorwürfen gegen Singer (im Vorfeld) nachgegangen, ist sie dünn. Gerade die unzutreffende Kritik an Exxonsecrets ist eher entlarvend als sachdienlich. Wir sind gespannt, welche konkrete Gegenargumente und Belege die kommende Reaktion auf unsere Beschwerde liefern wird.
Anhang: Singer und die EPA-Studie
Am 29. Februar 1994 schickt die tendenziell wirtschaftsliberale Denkfabrik „Alexis de Tocqueville Institution“ dem Tobacco Institute per Fax einen Vorschlag für einen Aktionsplan zum Thema Passivrauchen (Environmental Tobacco Smoke, ETS). Der Vorschlag ist, eine Studie zu den Methoden der Umweltbehörde EPA zu machen, insbesondere zu der jüngsten Kosten-Nutzen-Analyse zu den Auswirkungen des Passivrauchens. Als mögliche Autoren werden Fred Singer und Kent Jeffreys (früher beim unternehmensnahen Competitive Enterprise Institute) vorgeschlagen. AdTI würde Wisschenschaftler suchen, die die Studie unterstützen würden, und die Verbreitung der Studie in den Medien und am Capitol Hill, also beim amerikanischen Kongress, übernehmen. AdTI bot das alles dem Tobacco Institute für 20.000 US$ an. Das TI war die zentrale Lobbyorganisation der Tabakkonzerne, bis sie 1998 in dem außergerichtlichen Vergleich zwischen Tabakindustrie und 46 US-Bundesstaaten aufgelöst und die internen Dokumente des Instituts öffentlich zugänglich gemacht wurden/ werden mussten (http://www.tobaccoinstitute.com/)
Am 10. März 1994 schickt AdTI Bill Orzechowski vom Tobacco Institute Singers Lebenslauf. Eine ergänzende Notiz von Walter Woodson (Tobacco Institute) erläutert Sam, wahrscheinlich Samuel D. Chilcote, Jr, Präsident des Tobacco Institute, dass dies der Mann für das EPA/ ETS Projekt sei. Der Lebenslauf sei sehr beeindruckend und das Projekt die diskutierten 20.000 US$ wohl wert („Very impressive resume. I think the project is worth the 20K we discussed. Agree?“).
Am 26. April bestätigt das AdTI dem Tobacco Institute den Erhalt von 20.000 US$ für das Projekt.
Am 17. Mai schickt AdTI dem Tobacco Institute den Entwurf der Studie von Singer und Jeffreys. AdTI bittet um die Überprüfung des Entwurfs durch die Anwälte des Tobacco Institutes – allerdings sollten die Änderungen klein gehalten werden. AdTI verweist darauf, dass der Entwurf sprachliche und stylistische Änderungen des TI übernommen habe und der Abschnitt zu Kosten Nutzen verstärkt wurde (aufgepeppt, „beefed up“). Außerdem bittet AdTI das Tobacco Institute um Hilfe bei der Gewinnung weiterer Wissenschaftler, die die Studie mit unterstützen.
Am 11. August stellt das AdTI zusammen mit Singer die Studie in Washington vor. Singer fungiert in der Endfassung nicht mehr als Autor, sondern als Leiter des „academic review board“. Das Tobacco Instituts wird in der Studie nicht erwähnt. Die Pressemitteilung zur Studie behauptet, die Studie sei von den Mitarbeitern des AdTI erstellt und durch ein „Academic Advisory Board“ von 19 anerkannten Wissenschaftlern und Ökonomen geprüft worden. Dabei zeigt das Fax vom 17. Mai, dass AdTI und Tobacco Institute vielmehr Wissenschaftler gesucht haben, die ihren Namen unter die Studie setzten, als diese schon fertig war.
Quelle: die Studie samt Pressemitteilung
Insgesamt ist der Fall ein gutes Beispiel für „deep lobbying“: über eine Denkfabrik wird eine Studie lanciert, die von der Tabaklobby bezahlt und inhaltlich mit beeinflusst wird. Diese Hintergründe werden im verborgenen gehalten. Stattdessen verleihen eingeworbene Wissenschaftler wie Singer dem Ganzen nach Außen Glaubwürdigkeit.
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