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Aus der Lobbywelt

Für unabhängige Regierungsberatung ohne Siemens Energy

Veronika Grimm soll als unabhängige Wissenschaftlerin die Bundesregierung zu Energiepolitik beraten. Doch sie ist bezahlte Aufsichtsrätin bei Siemens Energy, einem Konzern mit Gewinninteressen. Jetzt unterschreiben: Regierungsberatung darf nicht käuflich sein!

von 24. Juni 2024

Die Wissenschaftlerin Veronika Grimm soll die Bundesregierung als „Wirtschaftsweise“ beraten – und bezieht zugleich ein sechsstelliges Jahresgehalt als Aufsichtsrätin beim Energiekonzern Siemens Energy. Mehr denn je ist die Bundesregierung auf energiepolitische Fachkenntnisse angewiesen – doch Grimm ist keine unabhängige Beraterin.

Die Kritik an ihrer Doppelrolle ist enorm – auch von den anderen Wirtschaftsweisen. Doch Grimm ist eng mit der mächtigen Energiewirtschaft verbunden. Es braucht jetzt öffentlichen Druck, damit wirtschaftspolitische Beratung wieder unabhängig und frei von Konzerninteressen stattfindet.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,

sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister Habeck,
sehr geehrter Herr Finanzminister Lindner,
sehr geehrte Frau Sachverständigenrats-Vorsitzende Professorin Schnitzer,

zurecht gab es viel Kritik daran, dass ein Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft („Wirtschaftsweise“) parallel ein Aufsichtsratsmandat bei einem Konzern angenommen hat. Das führt zu einem Interessenkonflikt, der die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des Sachverständigenrats insgesamt gefährdet. Wirtschaftsweise sollten nicht von Zahlungen von Unternehmen profitieren, in deren wirtschaftlichem Interessensgebiet sie gleichzeitig die Bundesregierung beraten.

Wir fordern Sie darum auf:

> Drängen Sie darauf, dass Wissenschaftler:innen mit schweren Interessenkonflikten nicht länger Mitglied im Sachverständigenrat bleiben!
> Setzen Sie sich für neue Regeln für den Sachverständigenrat ein, die Tätigkeiten wie die von Frau Grimm künftig ausschließen!
> Setzen Sie sich für Offenlegungspflichten für Tätigkeiten und Einkünfte ein, die zu Interessenkonflikten führen könnten!

Mit freundlichen Grüßen

Hintergrund

Wer sind die Wirtschaftsweisen bzw. was ist der Sachverständigenrat?

Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ ist das renommierteste wirtschaftspolitische Beratergremium für die Bundesregierung.

Er besteht aus fünf Wirtschaftswissenschaftler:innen, die mehrmals pro Jahr Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung vorlegen. Umgangssprachlich wird von den „Wirtschaftsweisen“ oder auch vom „Sachverständigenrat Wirtschaft“ gesprochen.

Gerade angesichts der notwendigen Anpassung der deutschen Wirtschaft in der Klimakrise ist die Bundesregierung auf unabhängige Fachexpertise zu Energiefragen angewiesen, die frei von den Gewinninteressen mächtiger fossiler Konzerne ist. Das gilt selbstverständlich auch für andere wirtschaftspolitische Themen.

Wer ist Veronika Grimm und was ist ihre Rolle als Wirtschaftsweise?

Veronika Grimm ist Hochschulprofessorin an der Technischen Universität Nürnberg mit dem Schwerpunkt Energiewirtschaft. In dieser Funktion ist sie Mitglied im Sachverständigenrat, umgangssprachlich ist sie also eine der fünf Wirtschaftsweisen. Gleichzeitig ist sie seit Ende Februar Mitglied im Aufsichtsrat des Dax-Konzerns Siemens Energy. Sie erhält von Siemens Energy mindestens 120.000 Euro pro Jahr. Sie ist außerdem Gründerin und Vorständin des Lobbyforums Zentrum Wasserstoff Bayern. Dort erarbeitet sie unter anderem mit Konzernen wie Shell und BMW Lobbyforderungen an die bayerische Staatsregierung.

Im Sachverständigenrat gilt Grimm als die energiepolitische Expertin. Wenn sie gleichzeitig von einem Energiekonzern bezahlt wird, stellt das ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit infrage. Die vier übrigen Wirtschaftsweisen kritisieren Grimms Doppelrolle als Wissenschaftlerin und Aufsichtsrätin eines Dax-Konzerns aus diesem Grund scharf.

Was ist Siemens Energy?

Siemens Energy ist 2020 durch eine Abspaltung von der Siemens AG entstanden. Der Konzern macht seine Gewinne mit der Produktion von energietechnischen Anlagen, so unter anderem mit Turbinen und Kompressoren für Kohle- und Gas-Kraftwerke oder LNG-Terminals. Ein großer Teil der Gewinne stammt also aus fossilen Geschäftsfeldern.

Der frühere Mutterkonzern Siemens hält derzeit 17 Prozent der Anteile an Siemens Energy. Siemens Energy zählt zu den größten deutschen Konzernen. Im Jahr 2023 gab der Konzern über eine Million Euro für Lobbyarbeit aus. Im selben Jahr profitierte er von Staatshilfen in Form einer milliardenschweren Bürgschaft.

Aktuell erhofft sich das Unternehmen Großaufträge im Rahmen der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Siemens Energy baut zudem gerade sein Geschäft mit Wasserstoff aus – ein Bereich, für den Milliarden Fördergelder von der Bundesregierung vergeben werden.

Welche Positionen vertritt Veronika Grimm in energiepolitischen Fragen und insbesondere zum Thema Wasserstoff?

Veronika Grimm fällt in der energiepolitischen Debatte immer wieder durch ihre erstaunliche Vorliebe für Wasserstoff auf. Sie plädiert für einen breiten Einsatz von Wasserstoff – so auch in Bereichen wie Heizen und Straßenverkehr. Andere Energieexpert:innen wie etwa Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Fraunhofer Institut oder Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe kritisieren diese Position wiederholt, weil klimaneutraler Wasserstoff ein äußerst knappes Gut ist und absehbar teuer bleiben wird.

Gaskonzerne und deren Lobbyverbände dagegen setzen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit stark auf Wasserstoff und vermitteln den Eindruck, dass sich Erdgas einfach durch Wasserstoff ersetzen ließe. Dabei wird ausgeblendet, dass Wasserstoff laut Experteneinschätzung ineffizient, teuer und in aller Regel auch nicht klimaneutral ist.

Grimms Positionen gleichen hier also denen der Gas- und Ölindustrie und deren Lobbyerzählungen.

In welchen Gremien berät Veronika Grimm die Bundesregierung?

Neben dem Sachverständigenrat ist Veronika Grimm außerdem Mitglied in mehreren weiteren energiepolitischen Beratungsgremien der Bundesregierung, darunter im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung und in der Expertenkommission zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“ beim Wirtschaftsministerium.

Im Wasserstoffrat der Bundesregierung ist sie eine von drei Wissenschaftler:innen und sitzt dort Seite an Seite vor allem mit Unternehmen, die wirtschaftliche Interessen im Wasserstoffsektor haben – so unter anderem auch Siemens Energy.

Die beiden Umweltverbände, die Mitglied im Wasserstoffrat sind, beklagen, dass dort Umwelt-, Verbraucher- oder Menschenrechtsthemen kaum behandelt werden und stattdessen Geschäftsinteressen dominieren.

Gab es bereits ähnliche Interessenkonflikte bei den Wirtschaftsweisen?

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Mitglied aus dem Sachverständigenrat parallel in einem Aufsichtsrat sitzt. Auch die ehemaligen Mitglieder Wolfgang Franz, Jürgen Donges und Beatrice Weder di Mauro hatten Mandate bei Wirtschaftsunternehmen, was ebenfalls problematisch war.

Der Fall Grimm ist besonders brisant, weil Grimms Unternehmenstätigkeit sich mit den Themen überschneidet, zu denen sie die Bundesregierung berät, nämlich energiepolitische Fragen. Das war bei den bisherigen Wirtschaftsweisen so nicht der Fall.

Welche Regeln für Interessenkonflikte haben die Wirtschaftsweisen bereits?

Das Sachverständigenratsgesetz verbietet zwar ein Aufsichtsratsmandat bei einem Dax-Konzern nicht. Gleichzeitig sieht es bereits bestimmte Ausschlussgründe vor, die eine Unabhängigkeit insbesondere von wirtschaftlichen Interessen sicherstellen sollen. Nicht erlaubt ist etwa eine Tätigkeit für einen Wirtschaftsverband, Arbeitgeberverband oder Gewerkschaften.

Die entsprechende Passage wurde seit den 1960er Jahren nicht mehr verändert. Damals hatte der Gesetzgeber Unternehmen als eigene Lobbyakteure noch weniger im Blick. Die gesetzlichen Regeln sind also nicht mehr zeitgemäß.

Grimm beteuert uns gegenüber in einer Stellungnahme, dass ihre Tätigkeiten sowohl von Seiten der Politik, Siemens Energy als auch ihrer Universität geprüft und für regelkonform erachtet seien. Das macht noch einmal deutlich, dass die Regeln dringend angepasst werden müssen.

Welche Konsequenzen braucht es jetzt?

Veronika Grimm sollte den Sachverständigenrat der Wirtschaft verlassen. Tut sie das nicht, sollte sie zumindest die Bundesregierung nicht weiter zu energiepolitischen Fragen beraten. Entsprechend sollte sie auch weitere energiepolitische Beratergremien verlassen: den Nationalen Wasserstoffrat und die Expertenkommission zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“.

Vor allem aber braucht es neue Regeln, um Interessenkonflikte auch zukünftig zu vermeiden. Dazu braucht es eine Änderung des Gesetzes für den Sachverständigenrat. Das Gesetz sollte Interessenkonflikte durch Tätigkeiten wie im Fall Grimm adressieren.

Außerdem sollte es eine Offenlegungspflicht für Tätigkeiten und Einkünfte geben, die zu Interessenkonflikten führen könnten. Derzeit erarbeiten die Wirtschaftsweisen an sogenannten Compliance-Regeln für das Gremium. Das ist ein wichtiger erster Schritt hin zu verbindlichen und durchsetzbaren Regeln für den Sachverständigenrat.

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