Aus der Lobbywelt

Geschäftsgeheimnisse: „Gesinnungsprüfung für Whistleblower“? – Ein Interview mit Arne Semsrott

Interview mit Arne Semsrott zum Thema Whistleblower-Schutz und der Frage, wie stark die Arbeit von investigativen Journalisten künftig durch ein neues Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen erschwert wird.
von 18. Dezember 2018

Arne Semsrott ist Projektleiter für fragdenstaat.de bei der Open Knowledge Foundation Deutschland und nebenbei ehrenamtlich im LobbyControl-Vorstand (Bild: Jakob Huber/Lobbycontrol)

Journalisten decken mit ihren Recherchen regelmäßig Tatsachen auf, die auf illegales oder zumindest stark fragwürdiges Verhalten von Unternehmen, Organisationen oder Institutionen hindeuten. Diese Arbeit ist von essentieller Bedeutung für die Kontrollfunktion der freien Presse in unserer Gesellschaft und ein wichtiges Element einer funktionierenden Demokratie. Nur wenn Missstände ans Licht kommen, kann darüber diskutiert und entsprechend politisch und rechtlich reagiert werden. Doch auf der anderen Seite steht das Interesse insbesondere von Unternehmen, auf ihr Geschäft bezogene Informationen geheim zu halten – Stichwort Geschäftsgeheimnisse.

Doch wann genau ist eine Information berechtigterweise ein Geschäftsgeheimnis – und wann nicht? Und was passiert, wenn das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von Missständen mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Konflikt gerät? Genau darüber wird aktuell verhandelt, auf europäischer Ebene und auch im Bundestag. Aus diesem Anlass haben wir unser Vorstandsmitglied Arne Semsrott gefragt. Arne leitet das Portal fragdenstaat.de bei der Open Knowledge Foundation Deutschland.

Du warst letzte Woche für die Open Knowledge Foundation bei einer Anhörung des Rechtsausschusses im Bundestag . Worum ging es dabei?

Arne Semsrott: Deutschland hat lange verpasst, die EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen in deutsches Recht umzusetzen. Mit einiger Verzögerung geschieht das jetzt – nur leider hat das federführende Justizministerium beim Gesetzentwurf einige haarsträubende Fehler gemacht.

Was hast du an dem Gesetzentwurf auszusetzen?

Arne Semsrott: Das zentrale Problem ist die Definition von Geschäftsgeheimnissen, die eingeführt werden soll. Sie enthält – anders als bisher – nicht mehr das Kriterium des „berechtigten Interesses“. Bisher durften sich Unternehmen bei rechtswidrigen Praktiken nicht auf Geschäftsgeheimnisse berufen. Es war klar: Wenn ein Unternehme illegal handelt, liegt das Aufdecken der Missstände im öffentlichen Interesse und bleibt straffrei. Das könnte sich jetzt ändern. Fällt das „berechtigte Interesse“ weg, können Unternehmen quasi beliebig Informationen als Geschäftsgeheimnisse deklarieren. Außerdem sind Journalist*innen und Whistleblower nicht vom Gesetz ausgenommen. Das bedeutet: Auch sie können für die Aufdeckung von illegalem Verhalten verfolgt werden. Zwar gibt es eine Schutzklausel für Whistleblower. Die schützt sie aber nur, wenn ihr Motiv war, im öffentlichen Interesse gehandelt zu haben. Wohlgemerkt nicht, ob die Offenlegung im öffentlichen Interesse war. Es soll anscheinend eine
Gesinnungsprüfung eingeführt werden.

Das klingt wenig ermutigend. Gibt es denn auch positive Aspekte?

Arne Semsrott: Das „Reverse Engineering“, also das Rückbauen von Geräten, aber auch Algorithmen oder Quellcode von Software, wird künftig erlaubt. Das ist ein großer Gewinn gerade für OpenSource-Entwickler*innen.

Das nun im Bundestag verhandelte Gesetz geht zurück auf eine EU-Richtlinie. Wie beurteilst du diese Richtlinie und wie groß ist eigentlich der Spielraum für Deutschland?

Arne Semsrott: Schon bei der Verabschiedung der Richtlinie vor zwei Jahren sind Arbeitnehmer- und Journalistenverbände gegen den Entwurf Sturm gelaufen. Deutschland ist über die Vorgaben aus Brüssel aber hinausgeschossen. Sowohl eine engere Definition des Begriffs „Geschäftsgeheimnis“ als auch eine Ausnahme von Journalist*innen und Whistleblowern wäre möglich.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt aktuell gegen den Correctiv-Chefredakteur Oliver Schröm, der eine zentrale Rolle bei journalistischen Aufdeckung des Cum/Ex-Skandals spielte. Wie beurteilst du den Fall und würde das neue Gesetz die Situation für Journalisten wie Schröm noch erschweren?

Arne Semsrott: Der Fall zeigt exemplarisch, dass Strafanzeigen in diesem Bereich vor allem der Einschüchterung dienen sollen und Journalisten finanziell und persönlich bedroht werden. Bleibt es beim jetzigen Stand des Gesetzentwurfs, müssen wir uns darauf gefasst machen, dass es bald noch mehr Strafanzeigen geben wird. Dann bringt es den Betroffenen auch nichts, nach den Ermittlungen oder sogar einem Prozess freigesprochen zu werden. Der gewünschte Effekt wird alleine schon durch die Aufnahme von Ermittlungen erreicht.

Aktuell wird auf EU-Ebene auch über eine Whistleblower-Richtlinie verhandelt. Siehst du da Chancen und in welchem Zusammenhang steht Whistleblowerschutz mit dem aktuellen Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen?

Arne Semsrott: Whistleblower sind zentrale Quellen für journalistische Recherchen. Die meisten großen Skandale der vergangenen Jahre – Cum/Ex, Panama Papers, Dieselgate – gehen auf Whistleblower zurück. Es bleibt zu hoffen, dass die Richtlinie das einlöst, was sie verspricht: Nämlich Whistleblowern zu zeigen, dass sie für ihren Einsatz Respekt verdienen und nicht Strafverfolgung. Derzeit wird die Verabschiedung der Richtlinie übrigens durch den Rat der EU verlangsamt – und an der Verzögerung ist auch die deutsche Regierung beteiligt.

Arne, vielen Dank für das Gespräch und deine Einschätzungen zu diesen wichtigen und zugleich bedenklichen Vorgängen.

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