In der Endphase der Koalitionsverhandlungen schlägt die Stunde der Lobbyisten. Während der Koalitionsverhandlungen soll sich die Vorarbeit der Interessensgruppen der letzten Jahre auszahlen. Nun zeigt sich, wer über die besten Kontakte verfügt und sich am meisten Gehör verschaffen kann. Die Koalitionsgespräche sind ein Lehrstück dafür, wie sich im Lobbyerfolg gesellschaftliche Machtungleichgewichte widerspiegeln. Der Koalitionsvertrag wird am Ende maßgeblich von mächtigen Lobbygruppen beeinflusst sein.
Unübersichtliche Gespräche
Die Berliner Lobbyszene macht gerade Überstunden, um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen mit ihren Positionen zu überhäufen: Ob Energie, Gesundheit, Mindestlohn oder PKW-Maut – hier wird vermutlich gerade eine der größten Lobbyschlachten der letzten Jahren ausgetragen. Denn in den Koalitionsgesprächen werden die politischen Weichen für die nächsten vier Jahre gestellt.
Insgesamt 249 Politikerinnen und Politiker sitzen in den verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen, um den Koalitionsvertrag zu erarbeiten. Im Jahr 2009 waren deutlich weniger Personen beteiligt. Je mehr Politiker an den Gesprächen beteiligt sind, desto mehr Personen reichen die Texte weiter und desto mehr Personen geraten ins Visier der Lobbyisten. Die Art und Weise, wie die Koalitionsgespräche geführt werden, wird zunehmend unübersichtlich. Auch das ist eine Chance für Einflussnahme von außen.
Geheime Verhandlungspapiere kursieren unter den Lobbyisten
Eigentlich sind die Verhandlungspapiere der verschiedenen Arbeitsgruppen natürlich geheim. Dennoch kursieren die sogenannten Non-Paper unter den Lobbyisten. Aus den Koalitionsgesprächen wird berichtet, dass es Versuche gab, die Papiere über Hologramme vor dem Kopieren zu schützen. Doch schon bald wurde geschwärzt und die Papiere landeten wieder direkt auf den Schreibtischen in den Konzernzentralen, einfach per E-mail weiter geschickt oder – wenn es um brisante Texte geht – bei einem persönlichen Treffen übergeben. Lobbyisten können dabei auch Papiere aus einer Arbeitsgruppe zur nächsten weiterreichen. Dies führt dazu, dass Mitglieder der unterschiedlichen Arbeitsgruppen teilweise über die Lobbyisten besser informiert werden als über die offiziellen Kanäle.
Sind die Papiere erst einmal in der Hand der Lobbyisten, beginnt die Textarbeit. Hier werden Formulierungen gestrichen oder ergänzt. Oder man wendet sich gleich per Mail oder Telefon an die Verhandler der entsprechenden Arbeitsgruppen. Als der Vorschlag kursierte, dass 75 Prozent des deutschen Stroms bis zum Jahr 2030 aus erneuerbaren Energien stammen sollte, rief dies die großen Energiekonzerne auf den Plan. Der Spiegel (47/2013) berichtet, dass der Vattenfall-Lobbyist und frühere Energiereferent der SPD-Bundestagsfraktion Wolfgang Dirschauer eine Mail an die „lieben Kollegen“ von der SPD verfasste. Als „Wahnsinn“ hätte er darin die SPD-Vorstellungen bezeichnet und gefragt, ob es „Opium geregnet“ hätte. Die 75 Prozent stehen mittlerweile wohl nicht mehr zur Diskussion.
Lohnende Vorarbeiten
Wer die Papiere zuerst in die Hand bekommt, kann diese auch als erstes kommentieren. In den Koalitionsverhandlungen zahlt sich für die Lobbyisten nun aus, wer die beste Vorarbeit geleistet hat. Jetzt kommt es darauf dann, dass Lobbyisten über gute Netzwerke und Kontakte verfügen und so entsprechend Zugang zu den Verhandlern haben. Zu einem guten Netzwerk trägt etwa bei, wenn ein Verband oder ein Unternehmen frühere Spitzenpolitiker beschäftigt – Stichwort Seitenwechsel. Oder wenn Lobbygruppen Abgeordnete über Vortragstätigkeiten oder Ämter an sich binden konnten – Stichwort Nebeneinkünfte. Oder wenn Lobbyisten auf den Parteitagen immense Summen für Parteistände bezahlen oder per Parteispenden politische Landschaftspflege betrieben haben – Stichwort Parteienfinanzierung. Hier profitieren die Lobbyisten nun von den laxen Regeln zu Seitenwechslern, Nebeneinkünften oder Parteienfinanzierung.
Und natürlich spielt jetzt auch eine Rolle, wer es sich überhaupt leisten kann, in den Jahren und Monaten vor den Koalitionsverhandlungen die nötige Expertise aufzubauen. Hier spielt Geld eine große Rolle – nur die finanzkräftigen Verbände und Unternehmen können einen großen Stab an Experten beschäftigen, die das nötige Fachwissen haben, um Details der Papiere aus den Koalitionsgespräche zu kommentieren. Kleinere NGOs oder mittelständische Unternehmen haben hier ein Nachsehen.
Der Kampf um die Energiewende
Eines der meist umkämpften Themen ist die Ausgestaltung der Energiewende. Die energieintensiven Unternehmen und die Gewerkschaften sorgen sich um die Kosten der Energiewende. Die Betreiber von Kohlekraftwerken drängen auf eine Subventionierung ihrer Anlagen. Die Wind- und Solarlobby sorgt sich darum, dass ihre Förderung weiter gekürzt wird.
Den Lobbyisten kommt zugute, dass die Spaltungen innerhalb der Arbeitsgruppe Energie nicht unbedingt entlang der Parteigrenzen laufen. So setzt sich beispielsweise Josef Göppel (CSU) für die bayerische Solarindustrie ein; er sitzt auch im Beirat des Bundesverbands Erneuerbare Energie und stimmt sich laut Spiegel eng mit dessen christdemokratischen Präsidenten ab. Gleichzeitig drängt Unionskollege Peter Altmaier darauf, die bisherige Ökostromförderung zu kürzen. Ähnlich in der SPD: Hier stehen etwa Hannelore Kraft (Ministerpräsidentin NRW) und Dietmar Woidke (Ministerpräsident Brandenburg) unter dem Einfluss der heimischen Kohlelobby, während die neu gewählte Abgeordnete Nina Scheer über gute Verbindungen zur Branche der erneuerbaren Energien verfügt.
Lobbyarbeit in der Öffentlichkeit
An manchen Stellen bekommt auch die Öffentlichkeit einen Einblick in die ansonsten eher verborgene Lobbyarbeit während der Koalitionsverhandlungen. Schon länger spielen Lobbyisten auch über Bande – nämlich wenn es darum geht, über die Medien, die Wissenschaft und vermehrt auch über die breite Öffentlichkeit Stimmungsmache zu betreiben. Bestes Beispiel dafür ist die arbeitgeberfinanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Direkt nach der Wahl lancierte die INSM die Kampagne „Chance 2020“ mit großen Anzeigen in Zeitungen, auf Plakatwänden und sogar an Stadtbussen. Ziel der Kampagne war es, Akzeptanz für weitere neoliberale Reformen zu schaffen. Der Verband der Automatenwirtschaft stellte in Zeitungsanzeigen die Verbraucherschutzregeln ihrer Branche vor – vermutlich um schärfere Verbraucherschutzregeln abzuwehren. Und zurück zum Thema Energie: Mitten in den Koalitionsgesprächen verbündete sich der Verband der Chemische Industrie (VCI) mit der Gewerkschaft IG BCE, um in gemeinsamen Zeitungsanzeigen vor den Kosten und Arbeitsplatzverlusten der Energiewende zu warnen.
Interessante Artikel zum Thema:
Spiegel Online: Koalitionsverhandlungen: Angriff der Lobbyisten
Stern.de: Lobbyismus bei Koalitionsverhandlungen: Die Schlacht um den Strom
Weitere Informationen:
Lobbyismus höhlt die Demokratie aus: Zehn Thesen
Rückblick: Lobbyismus im Wahlkampf
Unser Lobbyreport 2013 beleuchtet die Debatte über Lobbyregulierung in den letzten vier Jahren.
Foto: Jakob Huber/Campact
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