Spiegel Online berichtete gestern über ein internes Strategiepapier der Atomlobby mit dem Titel: „Kommunikationskonzept Kernenergie – Strategie, Argumente und Maßnahmen“. Verfasst wurde es im November 2008 von der Berliner PR- und Lobbyagentur PRGS (Selbstbeschreibung: Unternehmensberatung für Politik & Krisenmanagement). Bereits ein Tag zuvor hatte Greenpeace auf seinem Blog das Papier online gestellt (pdf, 10 MB), allerdings ist darin der Empfänger des Papiers, der Energiekonzern E.ON, geschwärzt.
Laut Spiegel heißt es auf dem Deckblatt des Strategiepapiers, der Schriftsatz sei „für die E.on Kernkraft GmbH“ erstellt worden. E.on selbst behauptet das Papier nie beauftragt zu haben – dazu weiter unten mehr. Es lohnt sich auf jeden Fall das Papier zu lesen, auch unabhängig von der Atomdebatte mit Blick auf die Denkweise und Lobby-Instrumente. Man lernt daraus vermutlich mehr über die Funktionsweise von Politik als in manchen Politik-Lehrbüchern.
Unterzeichnen Sie unseren Appell für ein verpflichtendes Lobbyregister – damit wir endlich wissen, für wen Lobbyagenturen wie PRGS arbeiten!
Überblick: leise und grüne PR pro Atomkraft
Ziel des Papiers ist „die politische-öffentliche Debatte um die Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke positiv zu beeinflussen“ (S.5). Dazu tauchen in dem Papier eine lange Liste von Vorschlägen auf: parlamentarische Abende, Werksbesichtigungen, zahlreiche möglichst unverfängliche Veranstaltungen für Politik und Medien, Fortbildungen für Unions- und FDP-Politiker für einen Pro-Atom-Wahlkampf, Meinungsumfragen, die Einspeisung von Pro-Atom-Beiträgen in die Blogs und Grassroots-Elemente, bei denen über Callcenter gezielt Atomkraftbefürworter identifiziert und mit bereits frankierten Pro-Atom-Briefen an Bundestagsabgeordnete versorgt werden sollten.
PRGS empfiehlt eine aktive, aber diskrete Kommunikationsstrategie, um im Wahljahr die Stimmung pro Atom zu drehen (Kapitel 3). E.ON solle auf eine (laute) Werbekampagne pro Kernenergie zu verzichten und sich stärker auf „leise PR“ (S. 7) konzentrieren, die die Gegenseite nicht unnötig mobilisiere. Dabei solle E.ON die Aspekte Versorgungssicherheit und Klimaschutz sowie die Endlagerfrage in den Vordergrund zu stellen. Als weiteren erfolgreichen Themenstrang sieht PRGS das Thema Geostrategie/ Importabhängigkeit, um tradierte „Ängste vor einer russischen Dominanz“ (S.6, 31) zu schüren.
Die Agentur empfiehlt, wann immer es möglich ist, den „den Schulterschluss von Kernkraft und erneuerbaren Energien“zu betonen, um die „Front der Kernkraftgegner aufzuweichen“ (S.32) Der Aufbau eines grünen Images wird als zentraler Aspekt zur Durchsetzung von Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke gesehen. Dabei betont das Papier, dass es nicht nur um Kommunikationsmaßnahmen geht, sondern auch um eine Unterfütterung durch entsprechende Vorzeigemodelle. Ähnlich hatten wir die Strategien der großen Energiekonzerne bereits in unserer Greenwash-Studie analysiert.
Angedachte Maßnahmen: möglichst „neutral“
Lehrreich ist das Papier auch bei den angedachten Maßnahmen – das ganze Kapitel 5 sei zur Lektüre empfohlen. Deutlich wird, wie stark es darum geht, unauffällig und vermeintlich neutral zu agieren. Die konkreten Ziele hinter einzelnen Maßnahmen sollen nicht zu deutlich werden, externe Studien für mehr Glaubwürdigkeit sorgen und die eigenen Botschaften und Ziele vermeintlich neutral zu verpacken. So heißt es z.B. auf Seite 93 des Papiers: „Politiker bevorzugen wie Journalisten quellenbasiertes Informationsmaterial, das die Neutralität der Information suggeriert.“
Außerdem wird geraten bei Veranstaltungen „politische Forderungen nur beiläufig, z.B. im Grußwort“ zu stellen und erst im „Nachgang […] dann separate Ansprechen der relevanten Teilnehmer“ (S.84) durchzuführen. Angesichts der Kontroversen um die Kernkraft solle zudem ein unverfänglicher Titel gewählt werden, beispielsweise „Wege zum Klimaschutz“. Bei Fachkonferenzen wird die „gezielte und wohl dosierte Einbindung kritischer Stimmen“ als unerlässlich empfohlen. „Wichtig ist, dass der Eindruck einer ‚Werbeveranstaltung‘ vermieden wird“ (S. 85). Vielleicht sollten sich manche zivilgesellschaftliche Akteure nochmal überlegen, zu welchen Lobby-Veranstaltungen sie sich einladen lassen.
Einspeisen in Blogs und Pro-Atom-Briefaktionen
PRGS schlägt zudem vor, über das Internet die „Junge Generation der Nicht-Gorleben-Sozialisierten“ zu beeinflussen: „Beginnend mit einer Bestandsaufnahe relevanter Blogs werden Argumente pro Kernenergie in den Webdiskurs eingespeist. […] Entsprechend der Ausrichtung identifizierter Blogs werden die entwickelten Argumente zielgruppenadäquat formuliert und eingespeist“(S.92). Vermeintliche „Grassroots“-Aktivitäten wie die erwähnte CallCenter-/ Briefaktion sollen das öffentliche „Meinungsbild durch plebiszitäre Aktionsformen drehen“ (S.92).
Lobbyplattformen in Berlin
Auch die Beschreibung möglicher Veranstaltungsformate, die für eine Kampagne pro Kernkraft genutzt werden könnten (5.1.3, ab S. 86), lohnt sich. Zum Beispiel die Sätze zum Forum für Zukunftsenergien: „Das Forum ist auf den ersten Blick politisch unabhängig und branchenneutral. […] Als etabliertes Podium der EVU [Energieversorgungsunternehmen] eignet sich das Forum für erste Diskussionsrunden.“ (S. 87). Auch die – wenig bekannte – Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen wird als Lobby-Plattform beschrieben: “Die Strukturgesellschaft lädt regelmäßig in Sitzungswochen in den Bundestag, um zu bestimmten energierelevanten Themen zu diskutieren. In der Regel werden drei Statements von unterschiedlichen Akteuren einer Diskussion vorangestellt. Da zahlreiche MdB’s Mitglied sind, ist dieses Forum sehr beliebt“ (S. 88). Als Randbemerkung: von den vielen Abgeordneten, die bei der Strukturgesellschaft nicht nur Mitglied sind, sondern auch im Vorstand oder Beiratsvorsitzende sind, verschweigen diese Nebentätigkeit entgegen den Verhaltensregeln des Bundestages – siehe unsere gestrige Studie zu dem Thema.
Weiterhin lesenswert sind die Passagen zu Meinungsumfragen (S. 25ff) und die Stärke-Schwächen-Analyse auf S. 29, die explizit die „große Finanzkraft und Marktmacht“ und „große Ressourcen bei den Abteilungen Kommunikation und Politik“ als Stärken von E.ON identifiziert.
Debatte um den Status des Papiers
E.ON bestreitet, das Papier bei PRGS beauftragt zu haben. PRGS spricht selbst von einer „Ideenskizze“ zur Auftragsakquise, die nicht umgesetzt wurde. Auf der einen Seite gibt es das durchaus, dass Lobby- und PR-Agenturen auf eigene Faust möglichen Kunden Vorschläge machen, um an Aufträge zu kommen. Auf der anderen Seite werden Strategiepapiere gerne als Vorstufen oder Fingerübungen bezeichnet, wenn sie unerwünscht öffentlich werden. Es gibt in diesem Fall einige Aspekte, die Version einer reinen Ideenskizze zumindest in Frage stellen:
- In dem Kapitel Methodik beschreibt PRGS, dass es zahlreiche vertrauliche Gespräche mit Politikern (z.B. Bundestagsabgeordneten), Wirtschafts- und Medienvertretern geführt habe. Dazu heißt es: Selbstverständlich wurden diese Gespräche ohne Nennung E.ONs oder des Auftrags geführt“ (S. 9). Zumindest diese Sondierungsgespräche liefen also anscheinend im Auftrag E.ONs.
- Spiegel Online schreibt auch, dass PRGS im November 2008 für E.ON tätig war, als das Papier verfasst wurde. In dem Strategiepapier schreibt PRGS auch über unveröffentlichte Meinungsumfragen von E.ON/ PRGS zur Analyse der Einstellungen zur Atomkraft.
- Auch der Umfang des Papiers und die in dem Methodik-Kapitel beschriebene aufwendige Vorbereitung sprechen nicht für ein Akquisepapier ohne konkreten Anlass.
Fest steht auf jeden Fall, dass das Papier für E.ON erstellt wurde und dass PRGS 2008 auch für E.ON tätig war und damit nahe dran am Strategieprozess des Energiekonzerns. Und hinsichtlich der Lobby-Methoden ist es auf jeden Fall aufschlussreich – egal, ob alle Maßnahmen umgesetzt wurden.
Fazit
Aus LobbyControl-Sicht bestätigt das Papier nochmal bisherige Analysen wie zum Thema Greenwash und wichtige Forderungen wie ein verpflichtendes Lobbyregister. Die Auftraggeber von Lobbyagenturen müssen transparent sein – für die Öffentlichkeit, aber auch für Politik und Medien. Lobbyisten behaupten gerne, dass sie immer ihre Auftraggeber nennen, wenn sie sich an die Politik wenden. Das Papier zeigt, das dem nicht so ist und bestätigt damit auch LobbyControl-Informationen aus der Berliner Lobby-Szene. Dass Agenturen versuchen, Politiker, Medien- und Wirtschaftsvertreter in vertraulichen Gesprächen abzuschöpfen, ohne den Auftraggeber zu nennen, ist inakzeptabel.
Deshalb nochmal unsere Bitte: Unterzeichnen Sie unseren Appell für ein verpflichtendes Lobbyregister – damit die Kunden von Lobbyagenturen wie PRGS endlich öffentlich einsehbar sind! Die Aktion läuft noch bis Mitte Oktober, dann wollen wir die Unterschriften an die Bundestagsfraktionen übergeben.
Das Papier zeigt auch, dass man bei vielen Veranstaltungen (und Veranstaltern) genauer hinsehen muss, was die eigentlichen Ziele dahinter sind. Denn es gehört zu einer zentralen PR-Taktik, diese Ziele möglichst zu verwischen, damit die Veranstaltungen besser aufgenommen werden und weniger Widerspruch hervorrufen. Aufklärungsarbeit und kritischer Journalismus tun also Not.
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