Aus der Lobbywelt

Lobby-News rund um Corona – Teil 2

Auch in der zweiten Ausgabe der „Lobby-News“ rund um die Corona-Krise haben wir ausgewählte Artikel und Kommentare aus lobbykritischer Perspektive zusammengestellt. Wir dokumentieren, wer versucht, die Krise auszunutzen oder für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Wir schauen darauf, wie die gewaltigen Lasten der Krise verteilt werden und welche Interessengruppen dabei mitreden.
von 2. April 2020

Auch in der zweiten Ausgabe der „Lobby-News“ rund um die Corona-Krise haben wir ausgewählte Artikel und Kommentare aus lobbykritischer Perspektive zusammengestellt. Wir dokumentieren, wer versucht, die Krise auszunutzen oder für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Wir schauen darauf, wie die gewaltigen Lasten der Krise verteilt werden und welche Interessengruppen dabei mitreden. In den Beiträgen geht es aber auch darum, welche Chancen die Krise bietet und welche Konsequenzen sich allgemeiner für Demokratie, Zivilgesellschaft und Grundrechte ergeben.

Lobbyismus konkret

Dass die Corona-Krise viel durcheinander wirbelt, neue Allianzen entstehen und alte Muster aufbrechen, zeigt sich aktuell in den USA. Die Organisation Open Secrets zeigt in einem Artikel auf, welche Industriebranchen die Lobbyschlacht um das dortige Corona-Konjunkturpaket für sich entschieden haben – und welche nicht. Zu den Verlierern gehört demnach die eigentlich einflussreiche U.S. Chamber of Commerce sowie die Ölindustrie, die Casinobetreiber und die Kreuzfahrtbranche. Auch die National Association of Manufacturers, ein echtes Lobby-Schwergewicht, konnte sich mit ihren Forderungen nicht durchsetzen. Die U.S. Chamber of Commerce investiert seit Jahren am meisten in Lobbyarbeit von allen Lobbyakteuren – dass sie sich hier nicht durchsetzen konnte, zeigt zum einen, dass Geld nicht alles ist und zum anderen, dass die Krise tatsächlich einiges durcheinanderwirbelt. In Deutschland lassen sich vergleichbare Analysen leider (noch) nicht erstellen, da es hier weiterhin an einem verpflichtenden Lobbyregister fehlt. Aber auch hier stellt sich grundsätzlich die Frage, wie die Mittel aus dem letzte Woche vom Bundestag beschlossenen Wirtschaftsstabilisierungsfonds verwendet werden, wie transparent die Vergabe ist und welche Auflagen den Unternehmen gemacht werden – dem wollen wir weiter nachgehen.

Transparent ist dagegen, wie sich einer der einflussreichsten Lobbyakteure in Europa positioniert: die Autoindustrie. In einem Offenen Brief (pdf, englisch) an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordern alle großen Verbände der Branche – Hersteller, Zulieferer, Reifenproduzenten und Händler – Verständnis für ihre schwierige Situation ein. Das ist an sich nachvollziehbar. Ganz konkret heißt das allerdings aus Sicht der europäischen Dachverbände: Die CO2-Ziele sollten angesichts der Coronakrise gelockert werden. Darüber berichtet die Organisation Transport & Environment. Die Coronakrise nun zu nutzen, um die bereits immer wieder nach hinten verschobenen CO2-Ziele zu kassieren, halten wir für fragwürdig. Doch auch an dieser Stelle führt die Krise offenbar zu neuen Brüchen: So haben sich die deutschen Autokonzerne BMW, Daimler und VW für die Beibehaltung der Grenzwerte ausgesprochen.

Dazu passend: In den USA hat die US-Regierung relativ weitreichende Regeln für den Kraftstoffverbrauch von Neuwagen zurückgenommen. Damit beende sie eine „ihrer größten Errungenschaften im Kampf gegen den Klimawandel“, berichtet Zeit Online: „US-Regierung mildert Vorgaben zum Spritverbrauch ab“.

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Bild: Pixabay

Lobbyismus, Rettungsmaßnahmen und Lastenverteilung

Ein lesenswertes Interview mit dem Wirtschaftsweisen Achim Truger hat die Süddeutsche Zeitung geführt. Truger fordert die Bundesregierung darin auf, sich gemeinsam mit anderen Staaten mit Euro-Bonds zu verschulden. Wenn die Politik zögere, wie in der Finanzkrise, breche der Euro auseinander - und wahrscheinlich die ganze EU, so Truger. Für ihn wird durch die Krise zudem deutlich, dass „jene politischen Kräfte unrecht hatten, die den Staat noch weiter reduzieren wollten“: „Die Krise ist nicht der Moment für Erbsenzählerei

Gegen gemeinsame Anleihen der Eurostaaten, sogenannte Coronabonds, gibt es aber auch Widerstand, etwa vom Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BMVW). Allerdings verschieben sich an diesem Punkt gerade auch Positionen bei unternehmensnahen Instituten und Ökonomen. So spricht sich etwa das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in der aktuellen Lage für gemeinsame Bonds aus (siehe Welt und Tagesspiegel). „Selbst neoliberale Ökonomen werben inzwischen für Eurobonds – und gehen Allianzen mit Keynesianern ein“, schreibt Ulrike Herrmann in der taz. Die Bundesregierung zeigt sich bei dem Thema bisher sehr zurückhaltend. Für die EU ist das eine schwere Belastungsprobe. Bereits vor der Krise sind die Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021-27 gescheitert. Diese müssen nun unter erschwerten Bedingungen fortgesetzt werden – inklusive des Streits über Coronabonds, worüber das Handelsblatt ausführlich berichtet: „Die EU ringt um ein Hilfspaket gegen die Coronakrise“.

Auch in Deutschland stellt sich die Frage der Solidarität und Lastenverteilung. Der renommierte Historiker Heinrich-August Winkler hat dazu eine klare Meinung. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel fordert er „einen Lastenausgleich zwischen denen, die unter den materiellen Folgen dieser Krise weniger zu leiden haben als die, deren berufliche Existenz auf dem Spiel steht.“

Immer mehr gerät neben der Frage der konkreten Lastenverteilung auch die Rolle des Staates in den Blick der politischen Diskussion. Achim Truger betont in dem oben erwähnten Interview, die Krise zeige, dass jene unrecht hatten, die den Staat weiter reduzieren wollten. Der britische Autor und Umweltschützer George Monbiot zeichnet nach, wie die langfristig angelegte Lobbyarbeit von Akteuren wie der Tabakindustrie zu Gunsten eines schwachen Staates und gegen Regulierung nun die Bewältigung der Corona-Krise erschwert: „Der Staat ist der Feind“.

Letztlich muss die Corona-Krise aber nicht nur im Rahmen des Nationalstaats oder der EU bewältigt werden. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel fordert Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) internationale Solidarität ein: „Während wir mit dem Reichtum unserer Welt tausende Milliarden aufbieten können, landen ärmere Länder über Nacht im Existenzminimum“, so Müller. Müller plädiert unter anderem für das gerade wegen der Corona-Krise zusätzlich umstrittene Lieferkettengesetz, um in ärmeren Ländern soziale und ökologische Standards zu stärken und auch den Gesundheitsschutz zu verbessern. Die Organisation medico international zeigt im Beitrag „Von Ebola lernen – global handeln“ deutlich kritischer auf, was im globalen Gesundheitswesen geschehen müsste – und was derzeit falsch läuft - „damit nach Corona nicht wieder alles Offenkundige vergessen wird und man sehenden Auges in die nächste absehbare Katastrophe gerät.“

Grundrechte

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat eine umfassende Sammlung von Fragen und Antworten zu Grundrechten in der Coronakrise veröffentlicht. Sehr zu empfehlen: "Corona und Grundrechte: Fragen und Antworten".

Alle Notfallmaßnahmen der Regierungen müssen demokratische Verfahren, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit respektieren. Ein Aufruf aus dem Europaparlament fordert, dass sich die EU-Kommission klar gegen den Missbrauch der Coronavirus-Krise für Machtergreifungen durch autoritäre Regierungen etwa in Ungarn oder Polen positioniert. Journalist:innen und Parlamente müssen weiterhin ihre demokratischen Kontrollfunktionen ausüben können. Die Zivilgesellschaft darf in ihrer Arbeit nicht eingeschränkt werden. Wir unterstützen den Aufruf. Sie können ihn hier unterzeichnen.

Zu aktuell aufkommenden Forderungen zur verpflichtenden digitalen Datenerhebung zur Pandemie-Bekämpfung hat sich der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber am Mittwoch in einem Thread auf Twitter geäußert.

Die Krise als Chance?

In einem ausführlichen Artikel im britischen Guardian geht der Autor Peter C. Baker unter anderem darauf ein, welche Parallelen aber auch welche Unterschiede es zwischen der Corona- und der Klima-Krise gibt und welche Lehren aus der Finanzkrise 2008 gezogen werden sollten. Er arbeitet heraus, welche negativen Folgen große Krisen haben, aber wie sie auch langfristig zu positiven Veränderungen führen können, wenn die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden (englisch): „We can‘t go back to normal: How will coronavirus change the world?

Auch die Frankfurter Rundschau widmet dem Thema Krise als Chance eine Artikelreihe: „Die Welt nach Corona

Serie
Hier finden Sie die erste Ausgabe der Lobby-News zu Corona.

Beitragsfoto by Martin Sanchez on Unsplash

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