Die FDP stand schon öfter wegen ihrer Nähe zu Lobbyinteressen in der Kritik – Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki liefert dafür erneut ein anschauliches Beispiel. Dabei führen Spuren in ein Netzwerk rund um die Moderatorin Sabine Christiansen, die luxuriöse Lobbyforen organisiert.(*) Zudem stellt sich die Frage, ob Kubickis Redeauftritt mit dem Abgeordnetengesetz vereinbar ist und ob die aktuellen Regeln für solche Auftritte ausreichend sind. Eine weitere fragwürdige Dienstreise führte ihn in ein Luxushotel nach Mallorca – mit dabei war auch Julia Klöckner.
Eine Luxus-Kreuzfahrt durch die Karibik
Auf dem Luxus-Kreuzfahrtschiff Europa 2 in der Karibik sprach Kubicki als Talk-Gast zum Thema „Beben in Berlin: Die Ampel-Koalition vor dramatischer Zerreißprobe“. Sein Gesprächspartner war Patrick Adenauer, Kölner Bauunternehmer und Lobbyist für große Familienunternehmen. Die Einladung erfolgte von TV21, der Firma der früheren Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen, Auftraggeber war die Reederei. Kubicki wetterte dort über seinen Koalitionskollegen Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen und forderte gar dessen Rücktritt. Auch mit dem von der Koalition beschlossenen Heizungsgesetz ging er scharf in die Kritik.
Er trat hier ganz offensichtlich als streitbarer FDP-Politiker auf. Als solcher wird er auch auf der Veranstaltung angekündigt. In Schleswig-Holstein tagte derweil sein FDP-Landesverband. Kubicki erhielt zwar kein direktes Honorar für seinen Redebeitrag auf dem Kreuzfahrtschiff. Allerdings wurden ihm die Kosten für eine achttägige Luxus-Kreuzfahrt plus Flüge erstattet – und zwar für sich und seine Frau. Die Kabinenpreise auf dem Luxusschiff liegen bei mindestens 7.000 Euro pro Woche.
Verstoß gegen das Abgeordnetengesetz?
Besonders brisant: Bezahlte Vorträge sind nach dem Abgeordnetengesetz eigentlich verboten, wenn es um Themen geht, zu denen ein Abgeordneter im Bundestag tätig ist.(*) Die Kostenübernahme für seine Frau wäre jedoch wie ein Honorar zu werten. Kubicki argumentiert nun allerdings, er sei als Buchautor eingeladen gewesen, nicht als Abgeordneter. Dabei hat er klar zu aktuellen politischen Themen gesprochen, die ihn auch im Rahmen seiner Arbeit als Abgeordneter beschäftigen. Aus unserer Sicht kann und darf das Verbot, zu mandatsbezogenen Themen bezahlte Vorträge zu halten, nicht einfach mit dem Verweis auf eine Buchautorenschaft umgangen werden. Die Bundestagsverwaltung sollte den Fall daher genau prüfen.
Zwar dürfen bei mandatsbezogenen Vorträgen Reisekosten übernommen werden, aber diese müssen „angemessen“ und „notwendig“ sein. Schon die Finanzierung einer einwöchigen Kreuzfahrt für einen einzelnen Vortrag lässt sich kaum als „angemessen“ oder „notwendig“ ansehen. Noch schwieriger wird dies bei der Übernahme für die Kosten von Kubickis Ehefrau, da sich nicht direkt erschließt, warum ihre Anwesenheit für die Durchführung des Vortrags notwendig gewesen sein sollte.
Aus rechtlicher Sicht ist also streitbar, ob ein zweistündiger Podiumsauftritt eine angemessene Gegenleistung zu einer Luxus-Kreuzfahrt in der Karibik für zwei Personen ist. Viel hängt also vom genauen Wert der übernommenen Kosten ab. Hier bieten die entsprechenden Formulierungen einigen Spielraum. Kubicki sagte dem Tagesspiegel, er kenne den Betrag, würde ihn aber nur der Bundestagsverwaltung nennen. Das ist dreist – zumal aus einem Alltagsverständnis heraus wohl viele eine Luxus-Reise als übertriebene Gegenleistung für einen Talkshow-Auftritt betrachten würden.
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Vertrauen in die Integrität des Bundestags erschüttert
Kubicki hat drei Monate Zeit, um den Fall bei der Bundestagsverwaltung zu melden, die mit der Kontrolle des Abgeordnetengesetzes betraut ist. Doch auch wenn die Bundestagsverwaltung zu dem Schluss kommen sollte, der Vortrag von Kubicki habe keinen Mandatsbezug, könnte die Kreuzfahrt für Kubicki zum Problem werden. Denn geldwerte Zuwendungen, für die keine angemessene Gegenleistung erbracht wird, sind in jedem Fall verboten – auch ohne Mandatsbezug.
Auch jenseits rechtlicher Fragen hat Kubicki mit seiner Kreuzfahrt schon jetzt das Vertrauen in die Integrität des Bundestags erschüttert. Er täte gut daran, proaktiv für Transparenz zu sorgen und sein unwürdiges Versteckspiel zu beenden, um weiteren Schaden zu verhindern. Als Bundestagsvizepräsident ist Kubicki selbst für die Kontrolle und Durchsetzung der Abgeordnetenregeln zuständig. Er sollte als Vorbild vorangehen.
Das Bundestagspräsidium muss zudem eine Untersuchung einleiten, selbstverständlich unter Ausschluss von Präsidiumsmitglied Kubicki. Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, sollte die Bundestagsverwaltung transparenter vorgehen als sonst. Üblicherweise gibt die Bundestagsverwaltung keine Informationen zu Überprüfungen im Zusammenhang mit dem Abgeordnetengesetz heraus. Da jedoch ein Präsidiumsmitglied betroffen und das öffentliche Interesse hoch ist, sollte dieses Vorgehen überdacht werden.
Sabine Christiansen als Organisatorin von Luxus-Lobbyevents
Veranstalter der Kreuzfahrt-Talkrunde war TV21, die Firma der früheren Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen. Mit dieser ist Kubicki gut bekannt, Christiansen erschien auf einem Empfang anlässlich seines 65. Geburtstages. In Auftrag gegeben wurde die Veranstaltung von Hapag Lloyd Cruises (TUI), Eigentümer der MS Europa.
TV21 bietet schon seit 2017 auf verschiedenen Kreuzfahrtschiffen das Format „talk2christiansen“ an, zu dem auch immer wieder Spitzenpolitiker:innen eingeladen wurden, darunter Ralf Stegner, Christian Lindner, Julia Klöckner, Wolfgang Bosbach und Wolfgang Ischinger. Auch Unternehmer wie der frühere BILD-Chef Kai Diekmann und der frühere Deutsche-Bank-Vorstand Jürgen Fitschen oder Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut waren dabei.
LobbyControl hatte schon im Jahr 2006 kritisch über die Fernsehtalk-Runden von Christiansen als „Schaubühne der Einflussreichen und Meinungsmacher“ berichtet. Eine Analyse der unausgewogenen Gästelisten und Themenauswahl zeigte damals, dass Christiansen eine „Stichwortgeberin für einen neoliberal geprägten Reformdiskurs“ war. Auch viele Jahre später sieht die Besetzung und Themenauswahl ihrer Kreuzfahrt-Talkshows und Mallorca-Konferenzen nur wenig anders aus.
Nähe zum Lobbyverband Wirtschaftsrat und Lobbyist Harald Christ
Sabine Christiansen pflegt auch sonst eine große Nähe zu Unternehmen und in das Lobbygeschäft. Sie selbst sitzt in mehreren Aufsichtsräten großer Unternehmen. Bis Mai 2023 war sie zudem mehrere Jahre lang Präsidiumsmitglied des CDU-nahen Lobbyverbands „Wirtschaftsrat der CDU“. Hier trat sie immer wieder auch als Moderatorin zentraler Veranstaltungen auf. Der Wirtschaftsrat fungiert als Lobbyforum, um Unternehmer:innen mit Politiker:innen vor allem aus der CDU zusammenzuführen.
Enge Kontakte bestehen offenbar auch zu dem Spitzen-Lobbyisten und früheren SPD- und FDP-Schatzmeister Harald Christ. Laut dem PR-Report war Sabine Christiansen für einen Beirat von Christ und Company vorgesehen. Dem Bericht zufolge sollte eine Zusammenarbeit zwischen Christ und TV21 ausgeweitet werden. Ein Sprecher von Christ und Company weist den Bericht auf Anfrage allerdings zurück mit dem Verweis, eine Kooperation bestünde nicht und der ursprünglich geplante Beirat sei nie zustande gekommen. Auch TV21 streitet eine weitergehende Zusammenarbeit ab: Allerdings seien Christ und Christiansen „gut bekannt“ und TV21 habe übergangsweise Christs Büroräume mitgenutzt.
Zu den Referent:innen der Konferenz Neu Denken auf Mallorca, die TV 21 mitorganisiert, zählen u.a. auffällig viele Vertreter:innen aus dem Wirtschaftsrat, wie etwa dessen Präsidiumsmitglieder Astrid Hamker, Karsten Wildberger und Roland Koch. Auch Lobbyunternehmer Harald Christ war dabei.
Luxus-Kongress auf Mallorca
Mit ihrer Firma TV21 organisiert Christiansen seit 2018 auch den jährlichen Kongress „Wirtschaft neu denken“, zu dem sie hochrangige Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft in ein Luxushotel nach Mallorca einlädt. Die Konferenz ist Teil des Geschäftsmodells der Firma Plattes Groups, die mit TV21 der Hauptveranstalter der Konferenz ist. Neben Beratung zu Immobilien und „Vermögenserhalt“ bietet Plattes seinen Kunden mit dieser Konferenz auch ganz explizit „Networking“ an.
Seine Kund:innen sollen hier „Einblicke in die Denk- und Handlungsstrukturen bedeutender Persönlichkeiten und Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“ erhalten. Das Motto lautet: „Vertrauen aufbauen, Kontakte knüpfen und Geschäfte anbahnen“. Mit anderen Worten: Hier geht es beim Netzwerken auch um Lobbyarbeit.
Auf der Veranstaltung geht es offenbar edel und verschwiegen zu: Pastellfarbene Sommeranzüge, luxuriöse Sektempfänge, Palmen und Panorama bestimmen das Ambiente. Ziel der Konferenz sei es – so zitiert die Mallorca-Zeitung Sabine Christiansen – „in offener Atmosphäre zu reden, ohne zu befürchten, dass man gleich in den sozialen Medien zitiert wird.“
Organisiert und finanziert von den Dienstleistern der Superreichen
Kubicki war bereits regelmäßig auf der Konferenz - zumindest 2023 auch wieder gemeinsam mit seiner Frau. Aber auch andere Spitzenpolitiker:innen waren als Referent:innen schon dabei, u.a. Julia Klöckner, Christian Lindner, Manfred Weber, Volker Wissing, Jürgen Trittin und Lars Klingbeil.
Im Jahr 2023 trafen Kubicki und andere Spitzenpolitiker:innen u.a. auf Vertreter:innen der Schwarz-Gruppe, BlackRock, Deutsche Bank, Infineon, der BDA (online), der Jungen Familienunternehmern und gleich vier Unternehmern aus Freihandelszonen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch der ehemalige Bayer-Vorstandschef Werner Baumann war dabei, nachdem er nur wenige Tage zuvor zurückgetreten war. Medienpartner waren u.a. der Fernsehsender ntv und die Mallorca-Zeitung.
Neben TV21 und der Plattes Group waren die Vermögensverwaltung Flick Gocke Schaumburg und der Steuerberatungsfirma LeitnerLeitner Initiatoren der Konferenz, Sponsor der Veranstaltung war u.a. die Vermögensberatung Flossbach von Storch. Die Geschäftsmodelle der Firmen zielen allesamt klar auf Immobilienbesitzer und Hochvermögende ab. Die Plattes Group berät etwa hochvermögende „Multi-Domestic-Individuals“ dazu, wie sie zum „Vermögensschutz“ Stiftungen gründen können. Flick Gocke Schaumburg ist bekannt dafür, dass sie Superreichen Tipps zur Steuervermeidung gibt.
Wer zahlte für Kubickis und Klöckners Mallorca-Reise?
Auf Anfrage gab die Plattes Group an, für Kubicki seien die Reisekosten, für Klöckner die Unterbringungskosten bezahlt worden. Das wirft Fragen auf, denn sowohl Kubicki als auch Klöckner reisten nach eigenen Angaben im Jahr 2023 nicht als Privatpersonen, sondern in ganz offizieller Mission nach Mallorca.
Das Abgeordnetenbüro von Wolfgang Kubicki ließ mitteilen, dass er sich die Reise von der Bundestagspräsidentin als Dienstreise habe genehmigen lassen und bestätigte, die Reisekosten seien von den Veranstaltern übernommen worden. Unsere Anfrage nach den Unterbringungskosten beantwortete TV21 mit der allgemeinen Aussage, viele der aktiven politischen Redner besäßen „ohnehin private Unterkünfte auf der Insel.“ So auch Kubicki, der gleich zwei Immobilien auf Mallorca besitzt.
Ließ sich Kubicki also eine Reise ins eigene Feriendomizil vom Bundestag bezahlen? Kubickis Bundestagsbüro verweigerte jegliche Auskunft darüber, wo Kubicki bei seiner Dienstreise nach Mallorca wohnte und wie lang die Reise war. Laut Büro sei Kubicki „ausschließlich dem Deutschen Bundestag zu Auskunft verpflichtet.“ Das weist auf ein Problem hin: Es gibt tatsächlich wenig Transparenzpflichten zu den Dienstreisen von Bundestagsabgeordneten. Zwar müssen die Abgeordneten über Dienstreisen berichten, doch der entsprechende öffentliche Bericht enthält nur Beispiele und keine vollständige Auflistung der Abgeordnetenreisen.
Das ist allerdings bei Mitgliedern des Bundestagspräsidiums, zu denen Kubicki zählt, anders. Für das Präsidium müssen alle Reisen aufgelistet werden. Doch Kubickis Reise fehlt hier – obwohl er auf der Konferenz klar als „Vizepräsident des Bundestags“ angekündigt war. Sein Büro ließ diesbezüglich mitteilen: „Herr Kubicki ist nicht für das Erstellen der Bundestagsdrucksachen verantwortlich.“ Jedoch wird der Bericht vom Bundestagspräsidium herausgegeben und Kubicki hat zumindest eine Teilverantwortung dafür. Vorbildfunktion sieht in jedem Fall anders aus.
Widersprüchliche Aussagen
Klöckners Mallorca-Reise sei laut Auskunft ihres Bundestagsbüros „als klassische Dienstreise von der Fraktion genehmigt und abgerechnet“ worden. Ihr sei „persönlich“ nicht bekannt, dass Kosten von Dritten übernommen worden seien. Doch letzteres steht im Widerspruch zu den Aussagen der Veranstalter. In jedem Fall sollte Klöckners Büro wissen, wer ihre Reisen bezahlt – schon alleine, damit ihre Unabhängigkeit gewahrt ist.
Problematisch ist hier, dass Fraktionsreisen überhaupt nicht veröffentlicht werden müssen. Und das, obwohl die Kosten für diese besonders oft von externen Dritten übernommen werden. Die Unionsfraktion antwortete auf Anfrage, Frau Klöckner sei als wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion nach Mallorca gefahren, um über „die allgemeine wirtschaftliche Lage“ zu sprechen. Die Hotelkosten habe der Veranstalter getragen. Die Plattes Group bestätigte ausdrücklich, die Kosten für Klöckner und Kubicki direkt mit „Hotel bzw. Airlines“ abgerechnet zu haben. (**)
Abgeordnetenreisen, die von Dritten finanziert werden, können ein Einfallstor für Lobbyeinflüsse sein. Deswegen ist hier Transparenz darüber, wer auf wessen Kosten wohin fährt, besonders wichtig. Kubickis Kreuzfahrt und das Mallorca-Lobbytreffen zeigen das anschaulich. Die Transparenz darüber, wer welche Reisen finanziert, ist hier klar nicht ausreichend. Die Details zu der Mallorca-Konferenz werfen zudem Fragen auf, wie eine solche Veranstaltung als sinnvolle Dienstreise deklariert werden konnte.
Elitär und exklusiv: Gemeinsame Positionen im Luxushotel
Es ist auffällig, wie viele Politikergrößen zu der Konferenz "Wirtschaft Neu Denken" nach Mallorca und Kreuzfahrt-Talkrunden anreisen. Allein am inhaltlichen Interesse an der Veranstaltung wird es nicht liegen – das gibt auch Julia Klöckner in einem Video zu der Konferenz ganz offen zu: Der anziehende Ort sei für viele ein Grund zum Kommen.
Hier trifft man sich, lernt sich kennen und schätzen und ist unter sich – und das alles organisiert von den Dienstleistern der Hochvermögenden. Solch hochrangig besetzte Treffen in luxuriösem Ambiente tragen dazu bei, gemeinsame Positionen und Ansichten innerhalb der Eliten zu fördern und Netzwerke zu festigen.
Auch die Unternehmenschefs und Verbandslobbyist:innen werden nicht ohne Hintergedanken zu aufwändigen Treffen wie der Konferenz Neu Denken reisen – sie erhoffen sich beispielsweise offene Ohren für ihr Interesse an möglichst politischer Zurückhaltung in Sachen Regulierung von Unternehmenstätigkeiten. Bei Klöckner scheint das 2023 gut funktioniert zu haben. Als Resümee der Konferenz nimmt sie von den anwesenden „vielen klugen Köpfen“ mit, dass Deutschland „überreguliert und überreglementiert“ sei und man in Sachen Energiewende nicht „ideologisch mit dem Kopf durch die Wand“ gehen solle.
Es ist richtig und wichtig, dass Politiker:innen an Konferenzen teilnehmen, sich mit Unternehmens- und Verbandsvertreter:innen treffen und öffentlich als Redner:innen auftreten. Zum Problem wird das aber, wenn der Austausch in geschlossenen elitären Räumen stattfindet und Politiker:innen nicht gleichermaßen den Austausch mit anderen – weniger gut betuchten – gesellschaftlichen Gruppen suchen. Die Mallorca-Konferenz trägt durch ihre Nähe von Wirtschaftschefs und Spitzenpolitik dazu bei, dass demokratische Strukturen durch informelle Verbindungen überlagert werden.
Spitzenpolitiker:innen sollten deshalb lieber Abstand von solch einseitig besetzten Luxus-Lobbyforen halten – und nüchternere Orten für ihre Vernetzung und ihren Wissensaustausch suchen. Und als Dienstreisen sollten solche Konferenzen auch nicht durchgehen.
Kein Einzelfall: Es braucht Abstand und klarere Regeln
Die Luxusreisen von Kubicki, Klöckner und Co. erwecken den Anschein von Käuflichkeit und Lobbynähe. Sie leisten dem Bild der abgehobenen Politiker:innen Vorschub, die den Luxus fernab der Probleme des „realen“ Lebens genießen. Das ist ein Vorurteil, das auf die Mehrheit der Politiker:innen kaum zutrifft, aber dennoch immer wieder dazu dient, deren Ruf zu beschädigen. Das ist besonders angesichts aufstrebender rechtspopulistischer Tendenzen gefährlich. Elitäre Lobbynetzwerke befördern zudem, dass sich einseitige elitäre Netzwerke im vordemokratischen Raum ausbilden.
Sowohl Kubicki, Klöckner als auch die Bundestagsverwaltung müssen deshalb nun für Aufklärung und Durchsetzung geltender Regeln sorgen. Alle Beteiligten sollten dabei mit größtmöglicher Transparenz vorgehen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Zudem erscheint die Erstattung von Reisekosten als ein Schlupfloch, mit dem das noch recht neue Verbot von Zuwendungen an Abgeordnete umgangen werden kann.
Die entsprechenden Gesetzestexte lassen hier zu viel Interpretationsspielraum, so dass hier nachgeschärft werden sollte. Zudem braucht es mehr Transparenz: Der Bundestag sollte alle Reisen von Abgeordneten, auch Fraktionsreisen, offenlegen und klarstellen, wer endgültig die Kosten getragen hat. Nur so lässt sich nachvollziehen, ob durch diese Reisen Interessenkonflikte entstehen.
(*) In einer vorherigen Version stand an dieser Stelle, Kubicki würde offenbar gegen die Regeln verstoßen. Herr Kubicki besteht allerdings darauf, alle Regeln eingehalten zu haben, da er als Buchautor und nicht mandatsbezogen auf der MS Europa aufgetreten sei. Ob das regelkonform ist, sollte die Bundestagspräsidentin prüfen.
(**) In einer früheren Version wurde hier die Frage gestellt, ob die direkte Übernahme von Kosten für Dienstreisen von Abgeordneten durch Dritte regelkonform ist. Die Bundestagsverwaltung bestätigte nach Redaktionsschluss, dass dies üblich sei. Dennoch besteht bei solchen Transaktionen ein Transparenzdefizit. Eine Berichtspflicht darüber, welche Dienstreisen von wem finanziert wurden, besteht nicht.
Weitere Informationen
- Pressekommentar: Fragwürdige Luxus-Lobbyreisen nach Mallorca
- Der Spiegel: Als Wolfgang Kubicki und Julia Klöckner auf »Dienstreise« nach Mallorca flogen