Seit Jahren steigern Unternehmen und Wirtschaftsverbände ihre Aktivitäten an Schulen. Besonders Unterrichtsmaterialien sind ein beliebtes Mittel, um Produkte zu bewerben oder die eigenen Interessen und einseitiges Wirtschaftsdenken zu propagieren. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat als Reaktion auf dieses Problem kürzlich einen Materialkompass für Unterrichtsmaterial gestartet.
Er soll Lehrkräften die Suche nach geeigneten Materialien erleichtern. Denn während Schulbücher ein Prüfungsverfahren durchlaufen, landen die oft einseitigen und manipulativen Unterrichtsmaterialien direkt bei den Lehrern.Die untersuchten Materialien beschränken sich auf Themen der Verbraucherbildung; das Projekt wurde finanziell vom Bundesverbraucherministeriums unterstützt. Grundlage der Bewertung ist ein wissenschaftlich basiertes Raster, das zu jedem der 180 bewerteten Materialien angeschaut werden kann.
„My Finance Coach“ fällt durch
Eines der untersuchten Materialien ist „My Finance Coach“, das als „nur bedingt unterrichtstauglich“ eingestuft wird, was der Note 4 auf einer Skala von 1 bis 5 entspricht. My Finance Coach bezeichnet sich selbst als „gemeinnützig ausgerichtete Initiative“ gehört jedoch zu 100% der Allianz. Ein „unabhängiger Fachbeirat“ soll für die Neutralität des Materials sorgen. Auf der Webseite werden jedoch die Mitglieder des Beirates verschwiegen.
Die Bewertung der einzelnen Aspekte durch die Verbraucherzentrale ist deutlich:
- „Das umfassende Thema ‚Sparen‘ auf die Frage nach der geeigneten Anlageform zu reduzieren, ist fachdidaktisch und fachwissenschaftlich unzulässig.“
- „Auswahl und Aufbereitung des Materials lassen erkennen, dass es sich um eine von Kapitalinteressen geleitete Auseinandersetzung mit Kaufentscheidungen handelt.“
- „Selbständiges und selbsttätiges Lernen wird durch die methodische ‚Engführung‘ […] nicht gefördert.“
Das Angebot, dass MitarbeiterInnen der Allianz als Finanzexperten die Unterrichtsgestaltung übernehmen, wird als besonders bedenklich und pädagogisch nicht zu legitimieren betrachtet.
My Finance Coach resgierte seinerseits mit einer Pressemitteilung, in der auf die bisherigen Erfolge hingewiesen wird. Nach eigenen Angaben wurden im ersten Jahr mehr als 30 000 SchülerInnen von über 1 000 MitarbeiterInnen aus den beteiligten Unternehmen „unterrichtet“. Angesichts der schlechten Bewertung durch die Verbraucherzentrale klingt die Ankündigung das Programm weiter auszubauen wie eine Drohung.
Die Politik muss endlich handeln
Auch wenn mit dem Materialkompass die Problematik thematisiert und den Lehrkräften ein nützliches Hilfsangebot zur Verfügung gestellt wird, ist der Materialkompass keine Lösung für das Problem. Zu groß ist die Dominanz finanziell bestens ausgestatteter Unternehmen und Wirtschaftsverbände, zu groß ist das Interesse beispielsweise der Finanzbranche ihre Produkte auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu bewerben.
Weitere Schritte sind daher dringend notwendig, vor allem muss die Politik endlich anfangen, sich aktiv mit der Problematik zu beschäftigen: Experten dürfen nur eine Ergänzung darstellen und nicht die Leitung des Unterrichts übernehmen; direkte Kontakte mit Mitarbeiten von Unternehmen müssen von der Schule kritisch begleitet werden; Unterrichtsmaterialien müssen, ähnlich wie Schulbücher, von staatlicher Seite begutachtet werden; die Finanzierung der Materialien muss offen gelegt werden.
Für unsere Arbeit sind wir auf Hinweise angewiesen. Wenn Ihnen besonders einseitiges Engagement an Schulen auffällt, wenden Sie sich an uns.
Links:
My Finance Coach
Materialkompass
Foto: Screenshot Materialkompass
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