Passend zu den Koalitionsverhandlungen machen Energiekonzerne und Industrieverbände Druck, um eine Aufweichung des Atomkonsenses und längere Laufzeiten für Atomkraftwerke zu erreichen. Der BDI veröffentlichte ein Gutachten, dass der Atomkonsens Jobs und viel Geld koste, das wirtschaftsnahe Institut der deutschen Wirtschaft berichtete, wie teuer der Strom in Deutschland im europäischen Vergleich ist und der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) unterstützt längere Laufzeiten, um die Energiepreise zu stabilisieren. Am interessantesten ist aber das gemeinsame Papier der Energiekonzerne Vattenfall, Eon, RWE und EnBW mit den Gewerkschaften IG Bergbau, Chemie, Energie und ver.di. Die Stellungnahme mit dem Titel „Mehr Realismus in der Energie- und Umweltpolitik erforderlich“ (pdf) befürwortet u.a. die weitere Förderung der Kohle, mehr Zertifikate für den Emissionshandel und bescheinigt der Kernenergie preisdämpfende Effekte. „Vor diesem Hintergrund sollte angedacht werden, den Einsatz
der Kernenergie allein auf den Sicherheitsnachweis der Anlagen abzustellen“, so das Papier weiter – ein Plädoyer gegen Laufzeitbeschränkungen. Außerdem soll die Erkundung des Endlagers Gorleben fortgesetzt werden.
Man kann an diesem Fall einiges lernen über konzertierte Aktionen nach dem Motto „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ und über den strategischen Einsatz von Allianzen: dass die Energiekonzerne mit diesem Papier IG BCE und besonders ver.di auf ihre Seite gezogen haben, ist natürlich ein gezielter Versuch, die SPD in den Koalitionsverhandlungen zum Einknicken zu bringen (siehe auch den taz-Artikel zum Thema). Allerdings ist der Einsatz solcher Allianzen nicht ohne Risiko. Nun bläst ver.di der Wind ins Gesicht – dem schwächsten Glied in der Kette. Der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer trat demonstrativ aus ver.di aus, die Kampagne „.ausgestrahlt“ von BUND, X-tausendmal quer und Campact hat eine E-Mail-Aktion gestartet, um ver.di-Chef Frank Bsirkse zum Rückzug seiner Unterschrift zu drängen. Und ver.di dementiert, dass es für den Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg ist. Allerdings heißt es in der Pressemitteilung auch, dass möglicherweise für eine begrenzte Zeit verstärkt Atomenergie eingesetzt werden könnte und dazu auch Übertragung von Produktionsrechten zwischen Kernkraftwerken möglich sein können.
Damit unterstützt ver.di die Notfall-Pläne, die die Energiekonzerne vorbereiten, falls ihre Kampagne gegen den Atomausstieg nicht fruchtet. Danach sollen Reststrommengen von neueren Kernkraftwerken auf ältere Kraftwerke umgeschichtet werden, um die Abschaltung weiterer Atomkraftwerke in dieser Legislaturperiode zu vermeiden. Die Energiekonzerne machen sich damit eine Regelung zunutze, die eigentlich dazu gedacht war, Laufzeiten von alten auf moderne Atomkraftwerke zu übertragen. Allerdings seien sich die Energiekonzerne bewusst, dass dies zu kontroversen Diskussionen führen würde und eine absolute Loslösung sei – so steht es nach SZ-Angaben in einem internen RWE-Papier. Aber um die selbst geschlossenen Vereinbarungen zum Atomkonsens zu unterlaufen, scheint den Energiekonzernen im Notfall jedes Mittel recht.
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