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Aus der Lobbywelt

„SOS Wirtschaft“: Wie die INSM mit ihren Lobbybotschaften den Wahlkampf verzerrt

Wahlkampfzeit ist Lobbyzeit: Vor der Bundestagswahl bringen sich Lobbyakteure in Stellung, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Mit irreführenden und rückwärtsgewandten Lobbybotschaften immer wieder vorne dabei ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

von 28. Januar 2025

Im Wahlkampf mischen nicht nur Politik und Medien mit, sondern auch Lobbyakteure. Denn jetzt gilt es, die entscheidenden Debatten vor der Wahl zu beeinflussen. Besonders fällt dabei immer wieder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) auf.

Die INSM ist eine Lobbygruppe, die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird. Sie flankiert die Lobbyarbeit des Verbands Gesamtmetall durch Öffentlichkeits- und PR-Arbeit. Kurzum: Sie versucht, öffentliche Debatten immer wieder mit ihren Lobbybotschaften zu beeinflussen, und betreibt damit Meinungsmache – mit teils fragwürdigen Methoden.

Mit dem Lobby-LKW beim SPD-Parteitag

Anders als die Klimabewegung oder Gewerkschaften hat die INSM kein großes Mobilisierungspotential. Doch sie hat viel Geld – und erkauft sich damit ihre Sichtbarkeit. So hat sie beispielsweise zum SPD-Parteitag Anfang Januar einen großen LKW gemietet und ihn vor dem Parteitagsgelände geparkt, um ihre Botschaften sichtbar zu machen.

Außerdem bezahlt sie regelmäßig riesige Außenwerbeflächen im Regierungsviertel oder Social-Media-Anzeigen. Allein die Ausspielung eines Motivs ihrer Kampagne „SOS Wirtschaft“ in den Sozialen Medien hat den Wert von etwa 130.000 Euro (Bruttowerbekosten).

Als nächstes großes Event organisiert die INSM – gemeinsam mit anderen Wirtschaftslobbyverbänden – einen „Wirtschaftswarntag“. Geplant ist u.a. eine „Demo“ in Berlin, zusätzlich werden Firmen Banner und Plakate an ihren Büros oder Werksgebäuden aufhängen. Die BILD-Zeitung hat bereits vorab berichtet und kündigt einen „Mega-Aufstand“ an.

Immer wieder imitiert die INSM mit ihrer Bildsprache zivilgesellschaftliche Aktionen – zuweilen sogar mit extra über eine Promotion-Agentur angeheuerten bezahlten Studierenden. Beliebt bei Lobbyakteuren sind große Fahrzeuge: Auch beim Wirtschaftswarntag wird der LKW wieder dabei sein.

INSM-LKW mit einer fragwürdigen SOS-Botschaft beim SPD-Parteitag im Januar 2025
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INSM-LKW mit einer fragwürdigen SOS-Botschaft beim SPD-Parteitag im Januar 2025
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INSM-LKW mit einer fragwürdigen SOS-Botschaft beim SPD-Parteitag im Januar 2025
INSM-LKW mit einer fragwürdigen SOS-Botschaft beim SPD-Parteitag im Januar 2025

Dramatische Bilder, drastische Forderungen

„SOS Wirtschaft“ nennt sich diese jüngste INSM-Kampagne im laufenden Bundestagswahlkampf. Mit dramatischen Bildern und Worten warnt die INSM vor dem Niedergang der deutschen Wirtschaft und mahnt zum sofortigen Handeln. Mit dabei sind laut INSM 49 weitere Verbände, darunter große Verbände wie Gesamtmetall, Die Familienunternehmer und der Deutsche Bauernverband. Skurril allerdings: Unter den 49 Verbänden sind gleich 10 Verbände aus Düsseldorf dabei, die von einem einzigen Geschäftsführer gemanagt werden. Hier will man sich wohl etwas größer geben, als man eigentlich ist.

Die Forderungen der Kampagne sind teils sehr drastisch: Steuersenkungen für Spitzenverdiener:innen, Vermögende und Konzerne, radikale Kürzungen öffentlicher Ausgaben, Schleifen der Klimaziele. Die INSM will den Solidaritätszuschlag streichen – und behauptet fälschlicherweise, diesen müssten vor allem „mittelständische Unternehmen und Freiberufler“ zahlen.

Doch das stimmt nicht: Nur die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung zahlen überhaupt den Soli. Gleichzeitig will die INSM weiter Vermögende und Konzerne aus der Verantwortung nehmen, öffentliche Ausgaben mitzufinanzieren: Auch Unternehmenssteuern und der Spitzensteuersatz sollen sinken. Wie diese massiven Einschnitte in öffentliche Haushalte vollständig ausgeglichen werden sollen, bleibt offen.

Steuergeschenke für Vermögende und Konzerne

Unklar bleibt vor allem, wie die von der INSM geforderten Maßnahmen die Wirtschaftskrise lösen sollen. Renommierte Wissenschaftler:innen äußern erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit solch rigider Sparpolitik und neoliberaler Marktgläubigkeit. Es bleibt fraglich, ob Steuergeschenke an Vermögende und Konzerne tatsächlich schnelles Wirtschaftswachstum nach sich ziehen.

Und doch finden sich die Steuergeschenke an Vermögende und Spitzenverdiener:innen in den Wahlprogrammen von CDU, FDP und AfD wieder. DIW-Chef Marcel Fratzscher warf den Parteien CDU und FDP „unlautere Wahlversprechen“ vor, weil sie große Steuersenkungen ganz im Stil der INSM in ihren Programmen zur Bundestagswahl ankündigten. Die INSM bietet den Parteien die Rechtfertigung für solche Versprechen, wenn sie diese als vermeintliche Lösung der Wirtschaftskrise darstellt.

Klimaschutz: erst einmal sind andere dran

Zum Thema Klima bringt die INSM den Evergreen der Klimaschutz-Skeptiker:innen: „Deutschland allein kann das Weltklima nicht retten“. Dieser Satz ist so wahr wie problematisch zugleich. Schließlich behauptet niemand, dass Deutschland allein Klimaschutz betreiben sollte. Die Funktion dieser Aussage ist vielmehr, Deutschland aus der Verantwortung zu nehmen – ganz nach dem Motto: Nicht wir müssen handeln, sondern vor allem erst einmal andere.

So wird Klimaschutz ausgebremst. Die INSM ignoriert mit solchen Aussagen auch, dass die Klimakrise durch Extremwetterereignissen der Wirtschaft schon jetzt massiv schadet und weiter schaden wird. Manche Wirtschaftsbranchen, wie etwa die Versicherungswirtschaft, haben schon ganz konkret mit den wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen.

Damit wird deutlich, dass die INSM nur die Interessen bestimmter Akteure bedient, wie etwa dem Mineralöl- und Verbrennerlobbyverband UNITI, der mit zum Wirtschaftswarntag aufruft. UNITI ist einer der fossilen Lobbyverbände, der darauf drängt, dass die deutsche Autoindustrie weiter auf Verbrenner-Autos setzt, obwohl in vielen Ländern bereits eine andere Richtung eingeschlagen wird.

Enger Draht in die Politik

Die Lobbybotschaften der INSM sind fragwürdig und irreführend – und doch dringen sie immer wieder in die politische Diskussion durch. Das liegt auch an den engen Verbindungen zur Politik. Im Mai sponserte die INSM die Namensschilder der Delegierten auf dem CDU-Parteitag. Dort ließen sich außerdem zahlreiche prominente Politiker:innen am INSM-Infostand ablichten. Auch im INSM-„Bürokratie-Museum“ gingen zuletzt zahlreiche Politiker:innen von FDP und CDU ein und aus.

Die Nähe zu bestimmten Politiker:innen hat bereits Tradition: Der aktuelle CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz war bereits am Aufbau der INSM beteiligt. Er war Gründungs- und langjähriges Mitglied im Förderverein der INSM, der den Zweck hatte, in der Frühphase der INSM diese zu unterstützen und ihr ein überparteiliches Image zu geben.(*)

Thorsten Alsleben (INSM), Friedrich Merz und Julia Klöckner (CDU) beim Parteitag der CDU 2024 in Berlin.
Flickr/INSM - CC-BY-ND 2.0
Julia Klöckner (CDU) und Parteichef Friedrich Merz vernichten am INSM-Stand beim CDU-Parteitag 2024 sinnbildlich das Lieferkettengesetz.
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Thorsten Alsleben (INSM), Friedrich Merz und Julia Klöckner (CDU) beim Parteitag der CDU 2024 in Berlin.
Julia Klöckner (CDU) und Parteichef Friedrich Merz vernichten am INSM-Stand beim CDU-Parteitag 2024 sinnbildlich das Lieferkettengesetz.

Parteispenden in Millionenhöhe

Auch finanziell profitieren die Parteien von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, die die INSM finanzieren: Seit dem Ampel-Aus ließen Gesamtmetall und regionale Arbeitgeberbände der Metall- und Elektroindustrie Parteien über eine Million Euro Parteispenden zukommen.

Über die Hälfte davon floss über den bayerischen Verband an die CSU, gefolgt von CDU und FDP. Rechnet man die Summen der verschiedenen Verbände der Metall- und Elektroindustrie zusammen, gehört die Branche zu den größten Parteispendern in Deutschland. Auch aus diesem Grund mögen sich manche Politiker:innen verpflichtet fühlen, den Veranstaltungen der INSM als deren PR-Organisation einige Aufmerksamkeit zu widmen.

In wessen Interesse? Kampagnen für die Lobby der Vermögenden

Die INSM knüpft Bündnisse mit anderen Wirtschaftsakteuren, allen voran dem Lobbyverband „Die Familienunternehmer.“ Dieser ist bei vielen Aktionen der INSM ganz vorne mit dabei – so auch als Partner der Kampagne SOS Wirtschaft oder dem Wirtschaftswarntag. Der Verband fällt immer wieder durch Forderungen und Kampagnen im Interesse der Vermögenden und Superreichen auf. Kein Wunder: Übergroßer Reichtum in Deutschland speist sich vor allem aus Erben und Eigentümer:innen großer Familienunternehmen.

Der größte Wirtschaftslobbyverband Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fehlt bei solchen Aktionen – oder auch andere Stimmen aus der Wirtschaft, die auf den Ausbau zukunftsfähiger Geschäftsfelder setzen. Die INSM spricht keineswegs für die gesamte Bandbreite wirtschaftlicher Interessen, sondern adressiert vor allem diejenigen, die ohnehin viel Geld und Einfluss haben: die fossile Lobby, Vermögende und Superreiche, Konzerne und große Familienunternehmen. Ergo: Die INSM ist nicht die Stimme „der Wirtschaft“.

Irreführende und rückwärtsgewandte Lobbybotschaften hinterfragen!

Lobbyakteure wie die INSM preisen unter dem Label „Wirtschaftswende“ und „Wirtschaftswahlkampf“ Scheinlösungen an und erschweren damit ausgewogene Debatten. Das gilt insbesondere auch für die wichtige Frage, welche politischen Maßnahmen es braucht, um die Wirtschaftskrise abzumildern. Wer die zentralen gesellschaftlichen Krisen wie Klima oder den übergroßen Einfluss von Vermögenden vernachlässigt, bremst unsere Zukunft aus und schafft Ungerechtigkeit und Unsicherheit. Das wiederum gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt, schürt Misstrauen in staatlichen Institutionen und untergräbt so schleichend die Demokratie.

Deswegen sollten wir irreführende Lobbybotschaften von Zukunftsbremsern wie der INSM kritisch hinterfragen. Wir brauchen ausgewogene Debatten über tatsächliche Lösungsangebote – jetzt im Wahlkampf, aber auch danach. Kampagnen wie die von der INSM verzerren demokratische Aushandlungsprozesse und verstärken die Stimme ohnehin mächtiger Lobbyakteure.

(*) In einer früheren Version stand hier, dass der Förderverein die Funktion hatte, die INSM zu gründen. Stattdessen hatte der Förderverein die Funktion, die INSM zu unterstützen.

LobbyControl/Zitrusblau - CC-BY-NC-ND 4.0

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