LobbyControl setzt sich vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher Machtungleichgewichte für Transparenz und Integrität in der Politik ein und für eine ausgewogene Beteiligung an politischen Entscheidungen. Zu erreichen, dass sich besonders finanzstarke und gut vernetzte Interessengruppen nicht zu Lasten der Allgemeinheit in der Politik einseitig durchsetzen, bleibt auch nach der Bundestagswahl ein zentrales Anliegen.
Die nächste Regierungskoalition sollte Transparenz und wirkungsvolle Regeln für den Lobbyismus und zur Stärkung von Integrität oben auf die Prioritätenliste setzen. Genau so wichtig sind eine ausgewogene Beteiligung verschiedener Interessen sowie Maßnahmen zur Begrenzung von Machtkonzentration durch Monopolisierung. Die zunehmende Monopolisierung in Teilen der Wirtschaft führt zu einer starken Konzentration von wirtschaftlicher Macht. Dies kann politische Machtungleichgewichte noch verstärken und demokratische Handlungsspielräume durch Abhängigkeiten von Konzernen einschränken.
Wir fordern, den von der Ampelkoalition eingeschlagenen Weg Richtung mehr Transparenz und Integrität und zur Begrenzung von Machtkonzentrationen entschieden weiterzugehen und somit unsere Demokratie zu stärken und zu verbessern. Aufbauen und anknüpfen sollte die nächste Regierungskoalition dabei an die zuletzt erreichten positiven Veränderungen und Reformen:
- das 2024 verschärfte Lobbyregister-Gesetz sowie der „exekutive Fußabdruck“ für Gesetzentwürfe,
- die neuen Regelungen zur Transparenz bei der Parteienfinanzierung,
- die verschärften Regeln für Seitenwechsel politischer Beamt:innen,
- das neue Antikorruptionsgesetz für Mandatsträger:innen.
- Die Reform des Kartellrechts und die Schärfung der Instrumente gegen Monopolmacht (GWB-Novelle)
Politischer Handlungsbedarf
1. Parteienfinanzierung
Insgesamt hat die Ampelkoalition in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit der Union wichtige Fortschritte für mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung erzielt. Dennoch bestehen auch nach der Reform noch Defizite. LobbyControl fordert vordringlich folgende Reformen:
Obergrenzen
Parteispenden und Parteisponsoring sollten auf maximal 50.000 Euro pro Spender:in oder Sponsor:in je Partei pro Jahr begrenzt werden.
Mehr Transparenz bei Parteispenden
Die Veröffentlichungsschwellen sollten deutlich gesenkt werden. Parteispenden ab 10.000 Euro sollten sofort nach Spendeneingang offengelegt werden müssen, statt ab 35.000 Euro wie bisher. Zuwendungen ab 2.000 Euro sollten in den Rechenschaftsberichten der Parteien transparent gemacht werden. Spenden an Untergliederungen einer Partei sollten als solche gekennzeichnet werden müssen, damit die gezielte Förderung einzelner Gebietsverbände oder Politiker:innen nachvollziehbar wird.
2. Integrität in der Bundesverwaltung
Das Regelwerk und die Verfahren zum Umgang mit Interessenkonflikten in Bundesbehörden, insbesondere in Bundesministerien, sollten grundlegend überarbeitet werden. Es gab in dieser Legislaturperiode gleich mehrere Fälle, bei denen nicht ausreichend zwischen privaten und dienstlichen Interessen getrennt wurde. Handlungsbedarf besteht in folgenden Punkten:
Strengere Karenzzeit
Die derzeitige Regelung zur Karenzzeit für Mitglieder der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretär:innen ist unzureichend. Die maximale Dauer, in der Beschäftigungen untersagt werden können, sollte von derzeit 18 auf 36 Monate verdoppelt werden. Zudem sollten Sanktionen bei Nichteinhaltung eingeführt werden.
Vorbeugung und Umgang mit Interessenkonflikten
Hochrangige Entscheidungsträger:innen in Ministerien sollten verpflichtet sein, eine Interessenerklärung abzugeben. Diese sollte Angaben zu finanziellen Interessen wie Beteiligungen an Personen oder Kapitalgesellschaften enthalten. Für hochrangige Entscheidungsträger:innen sowie für Beschäftigte in besonders korruptionsgefährdeten Bereichen sollte darüber hinaus ein Verbot des Handels mit Wertpapieren eingeführt werden.
Nebentätigkeiten und -einkünfte
Bei der Genehmigung und Untersagung von Nebentätigkeiten von Beamt:innen und anderen Beschäftigten in Ministerien sollten mögliche Interessenkonflikte eine wesentlich größere Rolle spielen. Der Bundestag sollte im Beamtengesetz klarstellen, dass entgeltliche Nebentätigkeiten grundsätzlich genehmigungspflichtig und zu untersagen sind, wenn die entsprechenden Arbeitgeber:innen oder Auftraggeber:innen vom dienstlichen Handeln betroffen sind – etwa bei Rechtsetzungsvorhaben.
3. Kontrolle und Durchsetzung der Regeln
Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, die eine effektive Durchsetzung bestehender Regeln im Bereich Transparenz und Integrität sicherstellen. Wir empfehlen die Einrichtung einer eigenständigen, unabhängigen obersten Bundesbehörde, die diese Regeln kontrolliert. Vorbild ist die Hohe Behörde für Transparenz im öffentlichen Leben in Frankreich. Diese nimmt Interessenerklärungen von hochrangigen Amtsträger:innen zentral entgegen, prüft und trifft Entscheidungen zum Umgang mit Interessenkonflikten. Die Behörde kann eigenständig Untersuchungen durchführen und Hinweisen zu regelwidrigem Verhalten nachgehen. Eine solche Stelle würde die Rechtsdurchsetzung auch in weiteren Bereichen verbessern. Dazu gehören Karenzzeit-Regelungen, die Parteienfinanzierung oder auch das Lobbyregister.
4. Lobbytransparenz und Transparenz der Gesetzgebung
Mit der Reform des Lobbyregister-Gesetzes und der Einführung eines „exekutiven Fußabrucks“ durch die Ampelkoalition wurde die Transparenz über Lobbyakteure und konkrete Einflussnahmen auf politische Entscheidungen deutlich erhöht. Weiterer Handlungsbedarf besteht allerdings:
Umfassender Fußabdruck und Kontakttransparenz
Die von der Ampel beschlossene Regelung für einen exekutiven Fußabdruck ist nicht ausreichend. Alle Lobbytermine von Minister:innen und der Leitungsebene der Bundesministerien sollten veröffentlichungspflichtig werden. Zudem sollten alle schriftlichen Eingaben zu einem Gesetzentwurf in einer Online-Datenbank veröffentlicht werden.
Ausnahmen reduzieren
Die pauschalen Ausnahmen im Lobbyregister-Gesetz für wichtige Akteure der politischen Interessenvertretung wie Arbeitgeberverbände, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Gewerkschaften sollten abgeschafft werden.
Sanktionen verschärfen
Der im Lobbyregister-Gesetz vorgesehene Sanktionsrahmen bei Verletzungen der Registrierungspflicht ist mit einem maximalen Bußgeld von 50.000 Euro deutlich zu gering, um effektiv abschrecken zu können.
Finanztransparenz erhöhen
Hohe Zuwendungen (Schenkungen) an im Lobbyregister eingetragene Akteure sollten transparent gemacht werden müssen. Konkret sollte die mit der Reform eingeführte relative Offenlegungsschwelle durch eine absolute ergänzt werden. Insbesondere dann, wenn die Zuwendung nicht von natürlichen Personen, sondern von Unternehmen, Stiftungen oder Verbänden stammt.
5. Europäische Union
Die nächste Bundesregierung sollte sich auch auf EU-Ebene entschieden für eine starke Demokratie, Transparenz und Integrität einsetzen sowie für Maßnahmen zur Beschränkung von Machtkonzentrationen, vordringlich in folgenden Punkten:
Antikorruptionsrichtlinie
Die Bundesregierung sollte sich für eine starke Antikorruptionsrichtlinie einsetzen. Ziele sind die Erleichterung der Bekämpfung von Korruption über nationale Grenzen hinweg sowie starke Präventionsmechanismen und entsprechend ausgestattete Behörden in den Mitgliedstaaten.
Transparenz in der EU-Gesetzgebung
Die nächste Bundesregierung sollte sich für mehr Transparenz insbesondere im Rat der EU einsetzen. Die Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat über Gesetzesvorhaben sollten für die Öffentlichkeit nachvollziehbar werden, zentrale Verhandlungsdokumente veröffentlicht werden. Auch die Positionen der Regierungen bei ihren Verhandlungen im Ministerrat sollten öffentlich gemacht werden – bisher können Bürger:innen nicht nachvollziehen, was ihre nationalen Regierungen bei den Ratssitzungen fordern. Das macht EU-Politik oft schwer nachvollziehbar und erschwert politisches Engagement und eine breite Beteiligung.
6. Stärkung der Zivilgesellschaft
Die nächste Regierungskoalition sollte sich in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene für eine starke und lebendige Zivilgesellschaft einsetzen. Eine starke Zivilgesellschaft stärkt die Demokratie und ist ein Korrektiv zu finanzstarken, vorrangig wirtschaftliche Interessen vertretenden Lobbygruppen. Entsprechend sollte sich die nächste Regierungskoalition entschieden gegen Versuche wenden, den Handlungsraum zivilgesellschaftlicher Organisationen einzuschränken. Aktuell diskutierte Auflagen für zivilgesellschaftliche Organisationen, Interessenvertretung etwa im Klima- und Umweltbereich zu untersagen oder einzuschränken, wenn dafür EU-Fördergelder verwendet werden, sollte die Bundesregierung dringend entgegentreten. In Deutschland sollte die nächste Regierungskoalition für Rechtssicherheit für gemeinnützige Akteure sorgen, die politisch tätig werden.
7. Einmischung in demokratische Prozesse durch ausländische staatliche Akteure
Die illegitime Einmischung in demokratische Prozesse von Wahlen bis hin zur Gesetzgebung durch autokratische Regierungen oder regierungsnahe Akteure ist eine zentrale Herausforderung unserer Zeit. Ziel dieser Aktivitäten ist es oft, politisch-gesellschaftliche Spaltungen zu verstärken und destabilisierend zu wirken. Die nächste Regierungskoalition muss sich dieser Herausforderung stellen. Ein robuster Transparenz- und Integritätsrahmen ist dabei ein wichtiges Gegenmittel. Zum Beispiel könnten effektive Karenzzeitregeln einen zeitnahen Seitenwechsel zu ausländischen staatlichen oder staatsnahen Akteuren verhindern. Das Lobbyregister-Gesetz verlangt bereits jetzt verpflichtend Angaben zu staatlichen Akteuren als Auftraggeber von Interessenvertretung und zur Finanzierung durch ausländische staatliche Stellen. Ein gesondertes Register ausschließlich für ausländische Einflussnahme birgt dagegen hohe Risiken für legitime Interessenvertretung vor allem für zivilgesellschaftliche Akteure bei zweifelhaftem zusätzlichem Nutzen. Insbesondere einer vollharmonisierten EU-Richtlinie dazu sollte die nächste Bundesregierung widersprechen.
8. Machtungleichgewichte und Machtkonzentration – Konzernmacht begrenzen
Angesichts großer Unterschiede bei den Möglichkeiten, Interessen wirkungsvoll gegenüber der Politik zu vertreten, sollte diese aktiv auf eine ausgewogene Beteiligung auch weniger finanzstarker Interessengruppen an wichtigen politischen Weichenstellungen achten. Zugleich muss die Politik Maßnahmen zur Begrenzung von Konzernmacht ergreifen.
Ausgewogene und breite Beteiligung
Beratungsgremien und institutionalisierte Austauschrunden dürfen weder personell noch thematisch einseitig den Interessen der jeweils betroffenen Branche entsprechen. Andere Interessengruppen, wie zum Beispiel Umwelt- und Verbraucherschutzverbände, müssen ausreichend vertreten sein und dürfen nicht nur als Feigenblatt dienen.
Um ausgewogene Beteiligung an der Gesetzgebung und politischen Entscheidungen längerfristig zu fördern, könnte eine Leitlinie zur ausgewogenen Einbindung gesellschaftlicher Interessen hilfreich sein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine solche Leitlinie in ihrem Arbeitsprogramm für die EU-Kommission festgelegt.
Kritische Distanz zu fossilen Lobbys
Insbesondere dort, wo es um wichtige, ressortübergreifende Zukunftsfragen geht – wie in der Klimapolitik – ist es essentiell, privilegierte Zugänge für Vertreter:innen fossiler Geschäftsmodelle zu begrenzen. Politiker:innen sollten ihre Kontakte zu Akteuren mit fossilen Geschäftsinteressen auf das absolut Nötigste reduzieren, weil diese der Einhaltung der Klimaziele und somit dem öffentlichen Interesse entgegenstehen. Kontakte sollten auf notwendigen sachlichen Austausch begrenzt bleiben und sollten nicht mit weiteren Annehmlichkeiten verbunden sein – wie etwa Festveranstaltungen oder aufwändige Reisen. Politiker:innen sollten auch keine Veranstaltungen organisieren oder protegieren, die stark von fossilen Akteuren dominiert oder finanziert sind – oder bei entsprechenden Lobbyverbänden Funktionen übernehmen.
Konzernmacht begrenzen
Zudem sollte sich die nächste Regierungskoalition für die Durchsetzung und Weiterentwicklung bestehender Gesetze in Deutschland und auf EU-Ebene einsetzen, die zum Ziel haben, übermäßige Marktmacht und damit oft auch politische Macht zu begrenzen. Mit dem Digital Markets Act (DMA) wurde für den Bereich der Tech-Konzerne ein wichtiges Instrumentarium geschaffen, das nun auch angewandt und ausgeweitet werden muss. Das Gleiche gilt für das in Deutschland mit der GWB 11-Novelle geschaffene Entflechtungsinstrument.
Weitere Informationen
- Das Forderungspapier als pdf zum Download.
- Detaillierte Informationen und Empfehlungen finden Sie auch in unserem Lobbyreport 2024.