Derzeit attackieren reichweitenstarke Medien und die CDU/CSU in besorgniserregender Weise die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und zivilgesellschaftliches Engagement. Sie diffamieren sie als vermeintlich „staatsgelenkt“ oder sogar „demokratieschädlich“. Gleichzeitig stellen sie ihre finanzielle Förderung und ihre Klagerechte infrage. Wir sind besorgt und erklären hier, warum es Nichtregierungsorganisationen braucht und weshalb sie weiterhin gefördert werden sollten.
Seit Wochen fahren CDU/CSU und die Springer-Zeitungen BILD und WELT eine beängstigende Diffamierungskampagne gegen die Zivilgesellschaft. Begonnen hat die Union damit auf EU-Ebene: Dort hat die Fraktion der Christdemokraten (EVP) zusammen mit den rechtspopulistischen und extrem rechten Parteien so lange Druck auf die EU-Kommission ausgeübt, bis diese Umweltorganisationen tatsächlich finanziell geschwächt hat. Sie dürfen in Zukunft mit Fördergeldern der EU keine direkte Lobbyarbeit mehr betreiben.
Kampagne gegen die Zivilgesellschaft
In Deutschland hat die BILD-Zeitung nach dem Bruch der Brandmauer durch Friedrich Merz die absurde Behauptung verbreitet, die Demonstrationen gegen dieses Vorgehen seien staatlich finanziert gewesen. Damit griff sie Vorwürfe des rechtspopulistischen Hetzportals NIUS auf, die diese Falschinformation schon im Sommer 2024 verbreitet hatte. Die Union ging darauf ein und drohte zivilgesellschaftlichen Organisationen mit der Streichung von Fördergeldern oder dem Entzug der Gemeinnützigkeit. Die Einschränkung der Klagerechte von Umweltorganisationen hat die CDU sich sogar ins Wahlprogramm geschrieben.
Die WELT kritisierte Nichtregierungsorganisationen sogar in ihrer angeblichen Funktion eines „deep state“. Dabei handelt es sich um eine Verschwörungserzählung aus dem Umfeld der extrem rechten QAnon, die das Trump-Umfeld maßgeblich beeinflussen.
Warum sind zivilgesellschaftliche Organisationen wichtig für die Demokratie?
Demokratie lebt von Engagement und vielfältiger Beteiligung. Unternehmen und Wirtschaftsverbände haben sich schon immer an der demokratischen Willensbildung beteiligt. Aber wer vertritt eigentlich die Anliegen, hinter denen keine ökonomischen, aber höchst wichtige (Allgemein-)Interessen stehen? Etwa die Rechte von Verbraucher:innen oder von benachteiligten Gruppen oder den Schutz von Umwelt und Natur? Das tun sehr häufig Nichtregierungsorganisationen. Sie organisieren sich unabhängig von Regierungen und Parteien. Sie artikulieren die Interessen von Bürger:innen, die sich um diese Themen sorgen, gegenüber der Politik und nehmen daher eine wichtige Rolle in Demokratien ein.
Unsere Gesellschaft braucht diese Organisationen als Gegengewicht zu finanzstarken Konzernen und Unternehmensverbänden. Schon jetzt sind die Kräfteverhältnisse bei der politischen Interessenvertretung ungleich verteilt. Konzernlobbyist:innen haben durch ihre finanziellen Möglichkeiten, privilegierten Zugänge und persönlichen Verflechtungen mit der Politik viel mehr Möglichkeiten, politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Aufgabe von Entscheidungsträger:innen ist es aber, immer wieder verschiedene Interessen gegeneinander abzuwägen.
Warum bekommen manche NGOs Geld vom Staat und welche Gelder bekommen sie von der Bundesregierung?
Um diese Meinungsvielfalt in der Demokratie zu fördern, unterstützen die Bundesregierung und die EU einige Nichtregierungsorganisationen auch finanziell. In Deutschland gibt es beispielsweise die Verbändeförderung für Umwelt- und Naturschutzverbände oder das "Demokratie leben!"-Programm des Bundesfamilienministeriums. Die staatlichen Fördergelder machen in der Summe jedoch nicht den Großteil der Mittel aus. Die Finanzierung von NGOs variiert von Organisation zu Organisation: Manche bekommen hohe staatliche Unterstützung, viele auch gar keine, sondern bauen auf reine Spenden- und Mitgliederfinanzierung.
Warum die Förderung von NGOs wichtig ist, lässt sich gut anhand der Lobbyarbeit in Brüssel verdeutlichen: Dort haben laut Lobbyregister 2023 die 50 größten Unternehmen und Wirtschaftsverbände fast 200 Millionen Euro für ihre Lobbyarbeit ausgegeben. Ein Heer von Unternehmenslobbyist:innen umgibt die Sitze der Macht und ist bei jedem einzelnen Schritt der Rechtsetzung präsent.
Die Europäische Kommission macht deshalb sehr deutlich, warum sie Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Sie schreibt zum Beispiel in ihrem Umweltförderprogramm LIFE:
„Für die Entwicklung und Umsetzung der EU-Umwelt- und Klimapolitik ist ein offener und umfassender Dialog mit allen Beteiligten erforderlich. Es ist wichtig, dass Organisationen an einem solchen Dialog teilnehmen können, da sie die organisierte Zivilgesellschaft vertreten und die Sorgen der Öffentlichkeit in Bezug auf Umwelt und Klimawandel gut kennen. Ihre Anwesenheit ist wichtig, um einen fundierten demokratischen Beitrag zu leisten, auch um ein Gegengewicht zu den Interessen anderer Akteure in der EU-Arena zu schaffen.“
Im LIFE-Programm sind daher 15 Millionen Euro für eine direkte Förderung von Umweltorganisationen enthalten – das sind übrigens gerade einmal 7,5 % von den Lobbybudgets der größten 50 Wirtschaftsakteure. Und die möchte die christlich-konservative Fraktion den Organisationen streitig machen.
In Deutschland zählen laut Lobbyregister von den 100 größten Lobbyakteuren nur sechs zu den Nichtregierungsorganisationen, darunter der Dachverband der Verbraucherzentralen, das Deutsche Rote Kreuz und die Caritas. Die mit Abstand größte Gruppe sind Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände sowie Unternehmen, also Akteure mit wirtschaftlichen Interessen.
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SpendenOhne finanzielle Förderung können viele Verbände und Organisationen ihre Funktion, weniger gut ausgestattete Interessen zu artikulieren, nicht ausfüllen. Sie können z. B. gar nicht die Ressourcen aufbringen, um sich an Expertenkommissionen der Politik zu beteiligen oder um regelmäßig ebenfalls mit Abgeordneten und Beamten ins Gespräch über ihren Blick auf eine bestimmte Gesetzesinitiative zu kommen.
Was von Kritiker:innen der Förderprogramme für NGOs häufig unerwähnt bleibt: Auch Wirtschaftsverbände bekommen Gelder von der Bundesregierung – zum Beispiel der Deutsche Bauernverband, der Verband der Automobilindustrie oder der Verband der chemischen Industrie. Und: Wenn wirtschaftliche Akteure über Lobby- oder Kampagnenarbeit für ihre Interessen werben, generieren sie damit in aller Regel Gewinne. Das ist bei zivilgesellschaftlichen Verbänden nicht so – sie können ihre öffentliche Aufmerksamkeit bei erfolgreicher Kampagnen- oder Lobbyarbeit nutzen, um Spenden und Mitglieder zu werben, aber keine direkten Gewinne einfahren.
Zur Info: Wir von LobbyControl finanzieren unsere Arbeit ohne staatliche Mittel oder Geld von Unternehmen. Mehr dazu finden Sie hier.
Welche weiteren Instrumente gibt es, mit denen Nichtregierungsorganisationen gefördert werden?
Um die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen als hohes demokratisches Gut zu schützen und zu stärken, gibt es bestimmte Mittel und Rechte für diese: Neben öffentlichen Mitteln gibt es Klagerechte für Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen und steuerliche Begünstigungen durch das Gemeinnützigkeitsrecht. Doch all diese Instrumente werden immer wieder von Lobbyakteuren, bestimmten Medien und Parteien wie vor allem der Union angegriffen und in Frage gestellt. Im aktuellen Wahlprogramm der CDU geschieht das beispielsweise mit dem Verbandsklagerecht. Mit diesem können Vereine und Verbände die Verletzung von Rechten der Verbraucher:innen oder der Umwelt vor Gericht geltend machen. Die Union will nun die Verbandsklage gegen Infrastrukturmaßnahmen wieder abschaffen.
Doch ob eine Organisation als gemeinnützig anerkannt werden kann oder Klagebefugnisse hat, ist gesetzlich verankert. Dafür gibt es klare Kriterien. Eine Gesinnungsprüfung durch Parteien oder die Regierung gehört nicht dazu. Zuständig für die Zu- und Aberkennung der Gemeinnützigkeit sind das Finanzamt und im Streitfall die Gerichte – und nicht die Politik. Es widerspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn Politiker:innen sich in dieses Verfahren einmischen wollen.
Das Gemeinnützigkeitsrecht beinhaltet vor allem steuerliche Vorteile für zivilgesellschaftliche Organisationen. Das dient als Ausgleich für die Lobbyausgaben von Wirtschaftsverbänden, die diese als Betriebskosten von der Steuer absetzen können.
Was ist dran an der Behauptung, dass Demos für die Demokratie von der Bundesregierung gelenkt sein könnten?
Springer-Medien wie die BILD-Zeitung und rechtspopulistische Foren wie NIUS suggerieren, dass die bundesweiten Demonstrationen gegen den Bruch der Brandmauer durch Friedrich Merz von der Bundesregierung gelenkt sein könnten. Ihre Begründung: Organisationen wie die Omas gegen Rechts oder der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) erhalten Geld von der Bundesregierung. Diese Gelder sind aber transparent und an klare Bedingungen geknüpft. Sie werden ausschließlich für projektbezogene Maßnahmen verwendet, auf die sich die Organisationen beworben haben, und unterliegen auch einer offiziellen Kontrolle.
NIUS hatte der Organisation Campact schon im August 2024 vorgeworfen, mit staatlichen Geldern Proteste zu organisieren. Teile der Vorwürfe musste NIUS inzwischen nach einem Rechtsstreit zurücknehmen. Dennoch tauchten ähnliche Anschuldigungen rund um die Brandmauer-Proteste erneut auf – und wurden auch über die BILD-Zeitung weiterverbreitet. Campact finanziert sich allerdings über Spenden und Mitgliedsbeiträge, der Vorwurf ist also tatsächlich falsch.
Die Behauptung, Nichtregierungsorganisationen würden von der Exekutive gegen die Opposition oder allgemein Abgeordnete eingesetzt, wurde in den letzten Monaten von den Christdemokraten (allen voran den deutschen CDU/CSU-Abgeordneten) in Brüssel immer wieder erhoben. Angeblich, so der Vorwurf, hätten EU-Kommissare finanziell geförderte NGOs dazu vertraglich verpflichtet, bei Abgeordneten und bei anderen EU-Kommissar:innen für den Green Deal zu werben (LobbyControl berichtete). Diese Vorwürfe haben sich als falsch herausgestellt – das Magazin Politico konnte Einblick in die Verträge nehmen und hat darüber berichtet. Die CDU/CSU hat hier offenbar absichtlich eine irreführende Erzählung über die Förderung von Nichtregierungsorganisationen in die Welt gesetzt, die nun auch nach Deutschland schwappt.
Umweltorganisationen brauchen keine Aufforderung der EU-Kommission, um sich bei anderen politischen Akteuren für den Green Deal einzusetzen. Genauso wenig brauchen NGOs, die sich in Deutschland für Demokratie starkmachen, eine Aufforderung von der Bundesregierung, wenn sie gegen den Bruch der Brandmauer durch Friedrich Merz protestieren gehen. Nur weil Nichtregierungsorganisationen die Meinung einer oder mehrerer Regierungsparteien teilen und zum Teil staatliche Förderung bekommen, sind sie noch lange nicht staatlich gelenkt.
Warum gibt es Kampagnen gegen Nichtregierungsorganisationen?
Diffamierungskampagnen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen sind nicht neu. Auffällig ist, dass Proteste und Organisationen immer dann ins Visier ihrer Gegner geraten, wenn sie besonders laut und wirksam werden. Die Proteste gegen das geplante Handelsabkommen TTIP erlangten sehr großen Zulauf und hohe Aufmerksamkeit und trugen letztlich mit dazu bei, dass die Verhandlungen am Ende scheiterten. Die Deutsche Umwelthilfe hatte einen wesentlichen Anteil daran, den Dieselskandal in die Öffentlichkeit zu bringen und setzte mit Hilfe von Klagen zahlreiche Fahrverbote durch. Sie erreichte damit hohe Aufmerksamkeit und Wirksamkeit, sah sich aber auch massiven Diffamierungskampagnen ausgesetzt. Dass nun die Proteste gegen den Bruch der Brandmauer in den Fokus geraten, zeigt damit ganz offensichtlich auch: Die Proteste sind wirksam.
Es ist unlauter, sie deshalb mit rechtlichen und finanziellen Mitteln schwächen zu wollen. Derartige Vorgehensweisen erinnern in einigen Aspekten an die Diffamierung der Zivilgesellschaft durch Donald Trump in den USA, Viktor Orban in Ungarn oder Wladimir Putin in Russland. Kampagnen gegen Nichtregierungsorganisationen finden sich in vielen Autokratien oder unter populistischen Regierungen. Autokratische Herrscher gehen davon aus, dass sie selbst am besten wissen, was gut für ihre Gesellschaft ist. Ein offener Austausch der Meinungen ist nicht in ihrem Sinne. Auch nur in die Nähe solcher autokratischer oder antidemokratischer Bestrebungen zu geraten, sollte nicht im Sinne der Unionsparteien sein.
Zum Weiterlesen:
- Gemeinsames Statement von zivilgesellschaftlichen Dachverbänden
- LobbyControl: Konservative Kampagne: Wie Christdemokraten in Brüssel die Zivilgesellschaft schwächen
- LobbyControl: Warum die Stimmungsmache gegen die Umwelthilfe fragwürdig ist
- LobbyControl: CDU will handelskritischen NGOs EU-Förderung verweigern