Seit Jahren fordern Industrie und Lobbyverbände die Verankerung von „regulatorischer Kooperation“ in Handelsabkommen. Die Zivilgesellschaft warnt hingegen vor den Negativfolgen dieser Zusammenarbeit. Unser Positionspapier benennt die Gefahren und verdeutlicht: In bestehender Form hebelt regulatorische Kooperation grundlegende demokratische Spielregeln aus.
Vergangene Woche gab die EU-Kommission bekannt, die Verhandlungen zur „Modernisierung“ des Freihandelsabkommens zwischen EU und Mexiko stünden kurz vor dem Abschluss. Vor dem Hintergrund der Coronakrise und ihren Auswirkungen auf den globalen Handel betonte Handelskommissar Phil Hogan: „Freihandel, Partnerschaft und Kooperation werden nach Bewältigung dieser Pandemie wichtiger sein denn je“. Das Vorantreiben einer „offenen und fairen Handelsagenda“ habe für die Union unverändert hohe Priorität.
Fester Teil der Handelsagenda
Ein Teil dieser Agenda ist die Festschreibung von "regulatorischer Kooperation“ in Handelsverträgen der EU, auch in verschiedenen Kapiteln des neuen Abkommens mit Mexiko ist sie verankert. Ähnliches gilt für die bereits abgeschlossenen Abkommen mit Kanada (CETA) und Japan (JEFTA). Auch bei den derzeit laufenden Verhandlungen der EU mit den USA zu TTIP 2.0 ist regulatorische Kooperation ein wichtiges Thema. Schon im Januar 2019 kündigte die zuständige Arbeitsgruppe an, sie werde interessierte Lobbyvertreter*innen um Vorschläge für geeignete Bereiche bitten – unabhängig von den eigentlichen Verhandlungen über ein Abkommen.
Viele Gefahren, wenige Profiteure
Entgegen gängigen Behauptungen der Kommission kommt regulatorische Kooperation nicht vorrangig den betroffenen Bevölkerungen oder der Wirtschaft insgesamt zugute. Denn dabei kommen vor allem sogenannte „nicht-tarifäre“ Handelshemmnisse auf den Prüfstand. Dazu gehören zum Beispiel Qualitätsvorgaben für Produkte, aber auch Regeln für den Umwelt- und Verbraucherschutz können betroffen sein. Werden solche Regeln beseitigt, profitieren davon vor allem exportstarke Konzerne und Industriezweige. Und dank regulatorischer Kooperation sind genau diese Profiteure mit von der Partie, wenn es um Standards und Regeln geht, an deren Beseitigung sie ein aktives, rein wirtschaftlich motiviertes Interesse haben.
Offenes Ohr für Lobby-Wünsche
Denn ob diese oder jene Verordnung eine Behinderung für den „freien“ Handel darstellt, sprich mit den Export- oder Investitionsinteressen von Konzernen kollidiert, entscheiden nicht gewählte Politiker:innen, sondern Bürokrat:innen in speziellen Gremien. Beraten lassen sich diese bei ihrer Arbeit bevorzugt von finanzstarken Industrie- und Arbeitgeberverbänden wie BusinessEurope auf EU-Ebene oder dem BDI in Deutschland. Dieser „Beratungsfunktion“ kommen die Lobbyverbände gerne nach, für ihre Interessen hat die verantwortliche „Generaldirektion Handel“ verlässlich ein offenes Ohr. Umwelt- oder Verbraucherverbänden dagegen wird diese Vorzugsbehandlung nur selten zuteil.
Regulatorische Kooperation zementiert Machtungleichgewichte, schadet der Demokratie und ist eine Gefahr für das Gemeinwohl. Lobbyist:innen dürfen kein weiteres Instrument erhalten, das die Interessen von Wirtschaft und Industrie systematisch denen von Bürger:innen, der Umwelt oder des Klimas überordnet. Deshalb fordern wir: Raus damit aus Handelsabkommen oder strenge demokratische Kontrolle von regulatorischer Kooperation.
Wir fordern deshalb:
Demokratische Kontrolle!
Dort, wo regulatorische Kooperation bereits Teil von Verträgen ist, muss die Handelskommission als absolutes Minimum ihre transparente und demokratische Kontrolle gewährleisten! Es darf keine Sondergremien geben, in denen Bürokrat:innen und Industrieverbände unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber entscheiden, welche Schutzstandards für uns gelten dürfen. Das bedeutet: Umfassende Informationen für Bürgerinnen und Bürger und uneingeschränkte Kontrollrechte für das Parlament!
Dominanz der Handelspolitik aufbrechen!
Die für Verhandlungen zuständige DG Trade darf Verträge, die regulatorische Kooperation beinhalten, nicht unter Ausschluss anderer Ressorts und abgeschnitten von jeder öffentlichen Kontrolle verhandeln. Wenn Vertragsabschnitte Wirkungen über den Handel hinaus haben, wie es in der Regel der Fall ist, muss die Einbeziehung der entsprechenden Kommissionsressorts verpflichtend sein.
Betroffene einbinden!
Über Gremien zur regulatorischen Kooperation, wie Handelsabkommen sie aktuell festschreiben, können Lobbyist:innen frühzeitig auf Gesetze Einfluss nehmen. Diese einseitige Einflussnahme dürfen wir nicht hinnehmen. Die Kommission und die zuständigen Beamt:innen müssen alle Interessengruppen einbeziehen – und nicht nur die Lobbyverbände der mächtigsten Industrien und Konzerne. Keine weiteren Entscheidungen gemäß dem Motto: „Handel und Wirtschaft über alles“!
Keine regulatorische Kooperation ohne Legitimation!
Es ist absolut inakzeptabel, dass die Kommission europäische Standards unkontrolliert und ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen auf dem Altar des Freihandels opfert. Neuerdings setzt sie sich dafür sogar über die Grenzen ihrer Verhandlungsmandate hinweg, wie jüngst im Fall TTIP 2.0. Wir brauchen neue Regeln für die Kommission und mehr Macht für die gewählten Abgeordneten im Parlament – für echte Demokratie in Europa!
Hier klicken zum vollständigen Positionspapier
Mehr Informationen:
- Briefing, März 2020: Was ist los bei TTIP 2.0?
- Studie mit PowerShift, CEO u.a., April 2019: International Regulatory Cooperation and the Public Good
- Studie mit CEO, Spinwatch u.a., Juni 2019: Brexit, fincance sector lobbying and regulatory cooperation
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