Konzernmacht

Regulatory Scrutiny Board: „Black Box“ der EU-Gesetzgebung

Ein kaum bekanntes EU-Gremium verschont Unternehmen vor unliebsamen Gesetzen. Die EU-Kommission sollte das verhindern.

von 2. Mai 2023

Die EU-Gesetzgebung ist für viele Bürger:innen schwer nachvollziehbar. Das liegt auch daran, dass wichtige Entscheidungen hinter verschlossenen Türen beschlossen werden. Besonders problematisch - aber weitgehend unbekannt - ist die Rolle des Regulatory Scrutiny Board (RSB, Ausschusses für Regulierungskontrolle). Immer wenn die EU-Kommission ein wichtiges Gesetz plant, prüft dieses Gremium, welche Auswirkungen die Kommission von dem Gesetz erwartet.

Problematisch sind vor allem die Kriterien, die das RSB für seine Bewertung nutzt. Das Hauptaugenmerk des RSB liegt auf wirtschaftlichen Auswirkungen. Sind diese zu negativ, muss die Kommission ihre Bewertung überarbeiten. Reicht auch die Überarbeitung nicht aus, kann das RSB sogar ein Veto einlegen.

Damit hat das RSB zu einen frühen Zeitpunkt großen Einfluss auf die EU-Gesetzgebung und trägt dazu bei, dass die kurzfristigen Kosten für Unternehmen stärker berücksichtigt werden, als der langfristige Nutzen für die Gesellschaft.

Bleiben Sie informiert über Lobbyismus.

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter.

Datenschutzhinweis: Wir verarbeiten Ihre Daten auf der Grundlage der EU-Datenschutz-Grundverordnung (Art. 6 Abs. 1). Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Zur Datenschutzerklärung.

Einfluss auf das Lieferkettengesetz

Wie stark Gesetzesvorhaben der EU-Kommission durch ein Veto des RSB beeinflusst werden können, zeigt aktuell das Beispiel des Lieferkettengesetzes. Ziel des Gesetzesvorschlags ist es, die Arbeitsbedingungen entlang der globalen Lieferkette zu verbessern und die Eindämmung des Klimawandels zu unterstützen.

Durch das Veto des RSB hat die EU-Kommission den Geltungsbereich des Gesetzes auf wenige Unternehmen beschränkt. Nur 0,2 weniger als 1 Prozent der europäischen Unternehmen sollen sich an die neuen Regeln halten. Die Blockade des RSB hat somit zu einer deutlichen Verzögerung und einer Verwässerung des Rechtsvorschlags auf Kosten von Beschäftigten, Konsument:innen und der Umwelt geführt.

Problem 1: Vetomacht für ein ungewähltes Gremium

Das RSB besteht aktuell aus nur sechs ungewählten Personen, doch es hat weitreichenden Einfluss auf die EU-Gesetzgebung. Denn das RSB wurde mit einer de facto Vetomacht ausgestattet. Für jeden Gesetzesvorschlag der EU-Kommission, der voraussichtlich weitreichende Auswirkungen hat, wird ein Bericht über die möglichen Folgen erstellt. Diese sogenannten Folgenabschätzungen werden vom RSB geprüft und bewertet: Sie werden dabei entweder für positiv, positiv mit Einschränkungen oder negativ befunden.

Bei einem negativen Ergebnis muss die Folgenabschätzung grundlegend überarbeitet und erneut zur Prüfung vorgelegt werden, was bei 39% aller Prüfungen vorkommt. Zwischen 2016 und 2021 hat das RSB insgesamt 314 Folgeabschätzungen geprüft. Kommt der RSB auch bei der zweiten Prüfung zu einem negativen Ergebnis, kann ein Gesetzesvorschlag nicht ohne weiteres weiter bearbeitet werden, was bei neun Prüfungen der Fall war. Das ist dann nur noch in einem aufwändigen Verfahren möglich, in dem der Vizepräsident der EU-Kommission für institutionelle Beziehungen den Vorschlag dem Kollegium der 28 Kommissionsmitglieder zur Entscheidung vorlegt. Was dann zu einer deutlichen Verzögerung wichtiger Gesetze führt.

Damit hat das RSB de facto eine Vetomacht und kann die EU-Gesetzgebung schon in einem sehr frühen Stadium weitreichend beeinflussen. Keine andere Regulierungsaufsicht verfügt über einen derartigen Einfluss – das gibt selbst die EU-Kommission zu.

Wir fordern: Mit seiner derzeitigen Rolle untergräbt das RSB insbesondere das EU-Parlament, da es Fakten schafft, bevor das Parlament einen Gesetzentwurf der EU-Kommission zu Gesicht bekommt. Damit kann ein nicht gewähltes Gremium die EU-Gesetzgebung weitreichend gestalten. Das ist nicht demokratisch. Ein beratendes Gremium darf keine Vetomacht über den Gesetzgeber haben. Die Vetomacht des RSB sollte daher abgeschafft werden!

Problem 2: Intransparenz

Obwohl das RSB mit seiner Vetomacht großen Einfluss auf die Gesetzgebung der EU hat, arbeitet das Gremium weitgehend im Verborgenen. Die Bürgerinnen und Bürger der EU und selbst die Abgeordneten des Europäischen Parlaments können nicht nachvollziehen, wie das RSB zu seinen Entscheidungen kommt. Denn die negativen Stellungnahmen des RSB werden erst nach Abschluss des Verfahrens veröffentlicht. Dabei sind es gerade die negativen Stellungnahmen, die auf großes öffentliches Interesse stoßen.

Zuletzt wurde dem Europäischen Parlament der Zugang zu den Dokumenten verweigert, aus denen hervorgeht, warum das RSB eine negative Stellungnahme zum Recht auf Reparatur abgab. Hinzu kommt, das viele relevante Informationen geheim gehalten werden. Zum einen gibt es die sogenannten Upstream Meetings, also Treffen zwischen der EU-Kommission und dem RSB, die vor einer Bewertung stattfinden, die aber nicht veröffentlicht werden. Auch mögliche Interessenkonflikte der Mitglieder des RSB können nicht überprüft werden, da die nötigen Angaben nicht öffentlich gemacht werden. Über die Lobbykontakte zum Gremium gibt es ebenfalls nur einen groben Überblick.

Unsere Forderung: Um die Arbeit des RSB nachvollziehen zu können, die bis jetzt weitgehend im Verborgenen stattfindet, ist umfassende Transparenz erforderlich. Dazu gehört die unverzügliche Veröffentlichung der Entscheidungen des RSB. Zudem sollten die Lobbykontakte des RSB nachvollziehbar sein und ebenfalls veröffentlicht werden.

Problem 3: Fragwürdige Bewertungskriterien

Bei seinen Bewertungen orientiert sich das RSB an einem 608-Seiten langen Leitfaden. Neben Kriterien zu sozialen und ökologischen Auswirkungen stehen darin wirtschaftliche Auswirkungen im Vordergrund. Dieser Fokus spiegelt sich auch in den Stellungnahmen des RSB wider, deren Hauptaugenmerk häufig auf den wirtschaftlichen Auswirkungen und den Kosten liegt. Problematisch ist zusätzlich, dass in einer Kosten-Nutzen-Analyse die kurzfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen oft leichter zu bewerten sind, als der langfristige Nutzen für die Umwelt oder die Gesellschaft. Auch das führt zu einer Verzerrung.

Mit der Überarbeitung der Kriterien 2021 sollten eigentlich soziale und ökologische Aspekte stärker berücksichtigt wurden. Zwar wurden die Kriterien erweitert, doch parallel wurde der Hauptschwerpunkt auf wirtschaftliche Auswirkungen und deren Kosten sogar noch verschärft. Denn unter der aktuellen Kommission unter Ursula von der Leyen wurde der höchst fragwürdige „One-in-one-out“-Grundsatz als Kriterium für das RSB eingeführt: Für jedes neue Gesetz muss ein altes Gesetz gestrichen werden. Dies steht im Widerspruch zu den eigenen Zielen der EU-Kommission etwa im Bereich Nachhaltigkeit. Denn um höhere Sozial- oder Umweltstandards zu gewährleisten, sind oft mehr und nicht weniger Regeln erforderlich.

Wir fordern: Die EU-Gesetzgebung und damit auch das RSB sollte stärker die langfristigen Auswirkungen auf Gesellschaft, Beschäftigte und die Umwelt berücksichtigen, anstatt sich auf buchhalterische Prinzipien wie das „One In, One Out“-Prinzip zu konzentrieren. Das RSB muss daher seine Bewertungskriterien ändern.


Bleiben Sie auf dem Laufenden zu Lobbyismus in Deutschland und der EU

Jetzt Newsletter abonnieren!

Problematische Grundlage: „Bessere Rechtsetzung“

Grundlage für die Arbeit des RSB ist das sogenannten Prinzip der „besseren Rechtsetzung“ (better regulation agenda). Was zunächst positiv klingt, verbirgt ein zutiefst problematisches Konzept. Es hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass in der EU-Gesetzgebung wirtschaftspolitische Aspekte wesentlich stärker berücksichtigt werden, als beispielsweise beschäftigungs- und umweltpolitische Belange.

Ziel der „besseren Rechtsetzung“ ist es, die Kosten von Regulierung für Unternehmen zu senken. Regulierung wird demnach als vor allem als Belastung und Kostenfaktor für Unternehmen gesehen. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass neue Vorschriften so eng wie möglich sind und die Wettbewerbsfähigkeit, d.h. die Gewinne der Unternehmen, nicht beeinträchtigt werden.

Mit seiner Arbeit hat das RSB die Aufgabe, diese Agenda in der Gesetzgebung der EU zu berücksichtigen. Immer wieder fallen daher Regeln, die Unternehmen nicht passen, der Kontrolle durch das RSB zum Opfer. Das Prinzip der sogenannten „besseren Rechtsetzung“ macht daher oft den Eindruck eines Wunschkonzerts der Konzerne.

Ein unbemerkter Skandal: Zeit, das RSB zu entmachten

Es ist undemokratisch und deshalb skandalös, dass es in der EU ein intransparentes Beratungsgremium gibt, das mit de facto Vetomacht dafür sorgt, dass neue Gesetze möglichst wenig Auswirkungen auf Unternehmen haben. Dieser Missstand hat in der Vergangenheit viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Mit unserer Studie wird deutlich, dass sich das ändern muss.

Wir wollen dafür sorgen, dass das RSB entmachtet wird und dazu eine kritische Debatte anstoßen. Deshalb fordern wir das EU-Parlament auf, sich unseren Forderungen anzuschließen.

Die Forderungen liegen auf dem Tisch. Jetzt liegt es an der EU-Kommission, sie umzusetzen und die Arbeit des RSB grundlegend zu überdenken.


Weitere Informationen:


Auch interessant:

In Brüssel werden Gesetze unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Wir fordern die EU auf, diese Geheimhaltung zu beenden.


Teilen

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar.

Pflichtfelder sind mit * markiert. Neue Kommentare erscheinen erst nach Freigabe auf der Webseite.

Durch Absenden des Kommentars akzeptieren Sie die Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten gemäß unserer Datenschutzerklärung.

Interesse an mehr Lobbynews?

Newsletter abonnieren!