Wie große Konzerne sich Macht und Einfluss verschaffen, beobachtet LobbyControl seit vielen Jahren. Mit ihrer ökonomischen Macht verschaffen sie sich über ihre Lobbyarbeit auch stärkeren politischen Einfluss – ein gefährlicher Kreislauf, der unsere Demokratie bedroht.
Am Gorki Theater in Berlin wird dieses Thema ab dieser Woche auf die Bühne gebracht, als szenische Installation nach dem Buch „Diktatur der Konzerne“ von Thilo Bode, Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Wir waren im Rahmen unserer internen zivilgesellschaftlichen Tagung „Rebalancing Power“ im Gorki Theater zu Gast und sprachen vor der Premiere mit dem geschäftsführenden Dramaturg Johannes Kirsten.
Herr Kirsten, woher kam die Idee, am Gorki Theater ein Stück zum Thema Konzernmacht auf die Bühne zu bringen? Was wollen sie diskutieren oder darstellen?
Klassenfragen und ökonomische Fragen sind immer auch in den anderen Themen enthalten, mit denen wir uns am Gorki beschäftigten. Ursprünglich war die Idee, das Thema Konzernmacht als Dokumentartheater zu erarbeiten und die blinden Flecken zu beleuchten. Doch mit dem Buch von Thilo Bode war schon so viel Material da: Er deckt mit seinem Buch bestimmte „blind spots“ auf und knüpft Verbindungen. Für uns war dann die Frage, wie wir das auch versinnlichen und in die Welt des Theaters übertragen können, es in einem Kunstraum erfahrbar machen können. Es geht also um Vermittlung: Wie sind solche faktenreichen Inhalte jenseits des bloßen Sagens in der Öffentlichkeit darstellbar? Wie kann man die Mächte spürbar machen und vielleicht auch die Notwendigkeit, dagegen zu opponieren?
Uns war es außerdem wichtig, das Material aus verschiedenen Perspektiven zu befragen. Auch Stimmen aus dem globalen Süden müssen in diesem Kontext gehört werden, das war Mirko Borscht, den wir dann für dieses Projekt gewinnen konnten (Regisseur, Anm. d. Red.) und seinem Team besonders wichtig. Es gibt Menschen an anderen Orten der Welt, die viel unmittelbarer von Konzernmacht betroffen sind, als wir hier in Deutschland – im abgesicherten Stadttheater. Wenn wir uns mit Konzernmacht beschäftigen, müssen diese Stimmen gehört werden. Peter, der aus Uganda zum Team dazugestoßen ist, bringt seine beeindruckenden Texte, die an Spoken Word Performances erinnern, ein und stellt damit Fragen an uns und die Thematik.
Ist Theater heute eigentlich noch politisch? Und würdet ihr euch als gesellschaftswirksam beschreiben?
Definitiv, ja! Das spielt in nahezu allen Stücken am Gorki eine Rolle. Sei es Klassissmus, Rassismus, oder auch schmerzhafte soziale Fragestellungen, die wir thematisieren. Aber es geht auch über die Inhalte auf der Bühne hinaus, es ist auch das, was jenseits des Theaters passiert an Programmen, Angeboten und einem politischen Selbstverständnis. Dazu gehören etwa fest konstituierte Erinnerungstage am Haus, wie u.a. der 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, der 9. November, der ja vielfach belegt ist und an dem wir der Reichspogromnacht gedenken, der 24. April, dem Gedenktag an den Genozid an den Armenier:innen oder der 19. Februar, dem Tag des rassistischen Anschlags in Hanau, um nur einige Daten zu nennen. Dazu finden bei uns jeweils verschiedenste Veranstaltungen statt. Diese Gedenktage sind ein fester Teil des Hauses. Das nimmt beim Gorki eine viel größere Rolle ein, als ich es von anderen Theaterhäusern kenne und das finde ich gut so.
Sprecht ihr auch breite Kreise der Gesellschaft an? Und muss ein Theater, das zu Austausch und einer lebendigen Demokratie beitragen will, das sicherstellen?
Es ist tatsächlich die Frage, wie affirmativ man ist. Oft spricht man ja in der Tat zu einem Kreis, der einem ohnehin Zustimmung gibt. Es ist selten konfrontativ, da sitzt ja keine Aktionärsversammlung im Publikum, der wir die Perspektiven zu Konzernmacht entgegen schmettern. Gleichzeitig braucht es aber auch eine Schärfung der eigenen Positionen, müssen auch neue Aspekte und neue Komplexitäten hinzugefügt werden. Das Theater kann so ein Raum der Begegnung und Konkretisierung der eigenen Positionen sein.
Und ja, natürlich müssen wir immer überlegen, wie wir die Leute erreichen. Muss man z.B. aus dem Theater rausgehen - diese Diskussion gibt es ja seit mehreren Jahren. Das macht immer wieder mal Sinn. Aber gleichzeitig ist das Theater auch ein Ort, der ein Zusammenkommen ermöglicht und auch die Selbstvergewisserung als Gruppe.
Was ist dann genau die Rolle des Theaters? Was ist Sinn und Zweck des Gorkis als politisches Theater?
So ein Stadttheater – und diesen Begriff nehmen wir auch für uns in Anspruch – macht Theater für die Fragen und Konflikte in dieser Stadt. Das ist lokal, aber viel ist natürlich gleichzeitig auch eine globale Fragestellung. Wir wollen einen Ort von Freiheit im Denken schaffen, einen Möglichkeitsraum und Raum für Debatten, Diversität, unterschiedliche Ästhetiken und Kunstformen, für Lautes und Leises und die Geschichten, die woanders vielleicht nicht erzählt werden.
Da spielt die Vermittlung eine wichtige Rolle. Wir fragen uns schon, wie wir die Leute erreichen. Wir wollen ein Raum für Begegnung sein, ganz bewusst auch für junge Menschen oder marginalisierte Gruppen, Menschen, die Austausch finden wollen. Es ist wichtig, dass man auf Fragen trifft, die den Horizont erweitern und gleichzeitig Gemeinschaft findet.
Letztes Jahr gab es in Berlin eine öffentliche Auseinandersetzung um das Thema Konzernmacht, nämlich in Form der Kampagne „Deutsche Wohnen Enteignen“. Wenn das Stadttheater diese großen Fragen der Stadt aufnehmen soll, seht ihr euch als Teil einer solchen Bewegung?
Wir sind zwar parteipolitisch neutral, doch natürlich gehen wir mit politischen Themen und Fragestellungen um. In konkreten Fragen nehmen wir in der Kunst eine sehr klare Positionierung ein. Das gehört zur Kunstfreiheit dazu. Die Themen, die hier dazugehören, sind Gentrifizierung und Klassismus, genauso alle identitätspolitischen Fragen, dazu nehmen wir Positionen ein.
Bei DW Enteignen geht es um die Fragen wer hat und wer hat nicht, wie sind die Eigentumsverhältnisse – und die Dekonstruktion von Machtstrukturen ist generell ein relevantes Thema für uns im Theater. Das kann etwa in der Familie sein, in Form patriarchaler Macht, aber auch so eine Konstruktion von Macht von Konzernen ist für uns relevant. Da wollen wir dran kratzen!
Seht ihr euch allgemein als Teil von politischen und sozialen Bewegungen? Und könntet ihr euch als Teil einer Anti-Monopolbewegung sehen?
Ja, auch das. Bestimmte Fragen sind uns als post-migrantisches Theater besonders wichtig. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex, zu dem bei uns im Rahmen des 5. Berliner Herbstsalons die Ausstellung „Offener Prozess“ mit einem parallel stattfindenden umfangreichen Rahmenprogramm lief, oder auch Hanau – mit einer antifaschistischen Ausrichtung sehen wir uns definitiv als Teil einer größeren Bewegung. Am Theater können diese Positionen verortet werden, es ist ein Haus mit offenen Türen für antifaschistische Positionen.
Gleichzeitig sind wir auch ein bisschen auf Expertisen wie etwa von LobbyControl angewiesen, wenn wir uns mit bestimmten Fragen auseinandersetzen. Ich spreche da erst mal nur für mich, aber die Auseinandersetzung mit Themen findet meist kulturell, politisch, literarisch statt – die ökonomischen Bedingungen sind nicht immer der Fokus und schwieriger zu durchdringen. Das ist vielleicht auch nachvollziehbar, da bestimmte Strukturen ja gut kaschiert sind in ihrer Komplexität, und es vielleicht auch einigen Leuten ganz gut passt, dass es schwierig zu durchdringen ist. Es gibt aber immer soziale Aspekte, die mit den ökonomischen Bedingungen zusammenhängen. Das wollen wir beleuchten.
Die Zusammenarbeit zu diesem Thema war auch für uns von LobbyControl bereichernd, es tut immer gut, andere Herangehensweisen zu erfahren. Vielen Dank für das Gespräch, wir freuen uns auf die Premiere.
GROUND CONTROL, eine szenische Installation von Mirko Borscht & Ensemble nach "Die Diktatur der Konzerne" von Thilo Bode feiert am Samstag, 28. Mai, Premiere im Gorki Theater Berlin. Weitere Termine im Juni: gorki.de/ground-control
Gespräch: Kathrin Anhold und Max Bank
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