Staatssekretär Patrick Graichen wurde von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Das war eine folgerichtige und notwendige Entscheidung, nachdem letzte Woche bekannt wurde, dass nach der sogenannten „Trauzeugen-Affäre“ Graichen in einem weiteren Fall gegen die Compliance-Regeln des Ministeriums verstieß. Graichen hatte Fördergelder für ein Projekt des BUND Berlin-Brandenburg befürwortet, in dem seine Schwester in führender Position tätig ist. Damit wurde die Entlassung des Staatssekretärs unumgänglich. Der Fall wirft jedoch weitere Fragen auf: Warum wurde Patrick Graichen die entsprechende Vorlage überhaupt auf den Tisch gelegt? Die vielbeschworene Compliance-Brandmauer hat hier offenbar nicht gehalten.
Ein weiterer Staatssekretär in der Kritik
Zugleich steht mit Udo Phillip ein weiterer Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium in der Kritik. Philipp ist als Staatssekretär unter anderem für Start-Ups zuständig, hält aber selbst Anteile an einigen Start-Ups und entsprechenden Fonds. Das Wirtschaftsministerium hat inzwischen öffentlich Angaben zu Philipps Beteiligungen gemacht und betont, dass Philipp diese bereits zu Amtsantritt gegenüber dem Ministerium angezeigt hat – obwohl er das nach den geltenden Regeln nicht hätte tun müssen. Ob und wie gut die Compliance-Vorschriften in diesem Fall funktionierten, lässt sich schwer beurteilen.
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Auch ein weiteres Besetzungsverfahren wirft Fragen auf: Das Bundesfinanzministerium will einen Aufsichtsratsposten bei der Commerzbank mit dem Unternehmer Harald Christ besetzen. Christ ist Parteifreund des Finanzministers Christian Lindner (FDP) – die Entscheidung für ihn erfolgte ohne ein nachvollziehbares Verfahren und offenbar ohne eine Prüfung auf Interessenkonflikte.
Die Fälle Graichen und Philipp werfen aber ein Schlaglicht auf den insgesamt unzureichenden Umgang mit Interessenkonflikten beim Leitungspersonal in den Bundesministerien. Es ist nicht ausreichend, wenn Erklärungen zu finanziellen Interessen nur intern und freiwillig abgegeben werden und Compliance-Vorschriften von den Ministerien selbst überprüft werden. Für Führungspersonen in den Ministerien sind mehr Transparenz und strengere Regeln angemessen und nötig. Die Vorschriften des Beamtenrechts sind hier nicht ausreichend. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, den Umgang mit Interessenkonflikten und das Compliance-Management auf grundlegend neue Füße zu stellen.
Eckpunkte für strengere Regeln
In einem Eckpunktepapier schlagen wir Verbesserungen in sieben wesentlichen Bereichen vor:
1. Aufsicht und Kontrolle der Regeln: Die gegenwärtigen Mechanismen zur Korruptionsprävention und zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Leitungspersonen in den Bundesministerien sind nicht ausreichend. Wir empfehlen die Einrichtung einer zentralen, eigenständigen und weisungsunabhängigen Behörde nach dem Vorbild der Hohen Behörde für Transparenz im öffentlichen Leben in Frankreich. Diese nimmt Interessenerklärungen von hochrangigen Amtsträger:innen zentral entgegen, prüft Interessenkonstellationen und trifft Entscheidungen zum Umgang mit Interessenkonflikten. Sie kann eigene Untersuchungen durchführen und Hinweisen auf regelwidriges Verhalten nachgehen. Auf EU-Ebene wird aktuell über vergleichbare Pläne zur Einrichtung eines unabhängigen Ethik-Organs verhandelt. Mit solchen ressortübergreifenden Aufsichts- und Kontrollmechanismen für Integrität und Transparenz könnte die Bundesregierung Empfehlungen der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats umsetzen und ein starkes Signal senden, um Vertrauen in die Unabhängigkeit und Integrität der Politik zu erhöhen.
2. Interessenerklärungen: Hochrangige Entscheidungsträger:innen in den Ministerien (dazu zählen wir Minister:innen, parlamentarische und beamtete Staatssekretär:innen und Abteilungsleiter:innen) sollten künftig verpflichtet werden, zu Amtsantritt und bei Eintritt wesentlicher Änderungen eine Interessenerklärung gegenüber der neu zu schaffenden Aufsichtsbehörde abzugeben (siehe 1.). Darin enthalten sein sollten Angaben zu finanziellen Interessen inklusive der Beteiligung an Personen- oder Kapitalgesellschaften. Die Erklärungen sollten in der Regel öffentlich gemacht werden. Für hochrangige Entscheidungsträger:innen sowie für Beschäftigte in besonders korruptionsgefährdete Bereichen sollte darüber hinaus ein Verbot des Handels mit Wertpapieren geprüft werden, wie es im Nachgang des Wirecard-Skandals bereits für bestimmte Beschäftigte im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums eingeführt wurde.
3. Stellung politischer Beamter: Für politische Beamte in den Ministerien sollten auf Grund ihrer besonderen Verantwortung und Stellung eigene, über das allgemeine Beamtenrecht hinausgehende Vorschriften und Anzeigepflichten mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte gelten. Die Regeln für beamtete Staatssekretär:innen sowie Abteilungsleiter:innen sollten denen für Mitglieder der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretär:innen entsprechen, insoweit diese über beamtenrechtliche Vorschriften hinausgehen.
4. Nachamtliche Beschäftigung: Die Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten beim Wechsel aus dem Amt in andere Tätigkeiten sollten für alle hochrangigen Entscheidungsträger:innen in den Ministerien angeglichen und zugleich ausgeweitet werden. Die bisher für Minister:innen und parlamentarische Staatssekretär:innen vorgesehene Karenzzeit von maximal 18 Monaten ist zu kurz; die für beamtete Staatssekretär:innen und Abteilungsleiter:innen greifenden beamtenrechtlichen Vorgaben sind indessen ungenügend. Für nicht-beamtete Abteilungsleiter:innen gelten indessen gar keine Regeln. Wir empfehlen eine Karenzzeit von bis zu 36 Monaten und eine unabhängige Prüfung des Wechsels auf mögliche Interessenkonflikte samt öffentlich zugänglicher Beschlussempfehlung für alle hochrangigen Entscheidungsträger:innen. Diese Aufgabe könnte ebenfalls von der neu zu schaffenden Behörde erfüllt werden, die damit das beim Kanzleramt angesiedelte Karenzzeit-Gremium ersetzen würde.
5. Sanktionen: Weder das Bundesministergesetz (BMinG) noch das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (ParlStG) sehen spezielle Sanktionen vor, wenn gegen Anzeigepflichten oder Unvereinbarkeitsbestimmungen verstoßen wird. Die Bundesregierung sollte einen Katalog an abgestuften Sanktionsmöglichkeiten für alle hochrangigen Entscheidungsträger:innen einführen. Insbesondere, wenn gegen Anzeigepflichten für nachamtliche Tätigkeiten verstoßen wird, läuft die parlamentarische Kontrolle ins Leere und die Entlassung aus dem Amt entfällt als Sanktionsmöglichkeit.
6. Transparenz über Treffen mit Interessenvertreter:innen: Zur Stärkung des öffentlichen Vertrauens in demokratische Entscheidungsprozesse sollten Termine der hochrangigen Entscheidungsträger:innen in den Ministerien mit Interessenvertretungen künftig zeitnah unter Angabe des Themas transparent gemacht werden. Hier kann sich die Bundesregierung an der Praxis der Europäischen Kommission orientieren und zugleich eine weitere Empfehlung der Staatengruppe gegen Korruption umsetzen. Diese betont in ihrem aktuellen Evaluierungsbericht explizit, dass diese Kontakttransparenz nicht nur für Mitglieder der Bundesregierung sowie parlamentarische Staatssekretär:innen gelten sollte, sondern „in Anbetracht von deren Beteiligung an der Politikgestaltung“ auch für beamtete Staatssekretär:innen sowie Abteilungsleiter:innen.
7. Personalentscheidungen: Insbesondere bei politischen Stellenbesetzungs- oder Berufungsverfahren sollte es klar definierte Verfahren geben, wer in welcher Weise an der Auswahl über Kandidat:innen und der letztlichen Entscheidung beteiligt ist. Um Interessenkonflikte möglichst zu vermeiden, sollte es festgelegte Haltepunkte geben, an denen alle Beteiligten aktiv zu möglichen privaten Interessen oder persönlichen Verbindungen zu Kandidat:innen befragt werden, zum Beispiel mit standardisierten Fragebögen, die verschiedene Formen möglicher Beeinträchtigungen der Unparteilichkeit abfragen.
Zum Eckpunktepapier (PDF-Download)
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Weitere Informationen
- Wie saubere Bewerbungsverfahren in der Politik funktionieren könnten, Der Spiegel (21/2023)