2022 bat Finanzminister Christian Lindner den Porsche-Chef um "Argumentationshilfe" zum Thema Verbrenner-Motoren. Mit einem Umweltverband, dessen Meinung er nicht teilt, wollte er aber nicht reden. Ende 2023 trifft sich Verkehrsminister Volker Wissing mit dem Chef eines Automobilclubs, um über seine Beteiligung an einer fragwürdigen Lobbykampagne zu beraten. Es geht um die Vermarktung des neuen Kraftstoffs HVO100 – und um die Rücknahme des bereits beschlossenen Verbrenner-Aus. Lindner und Wissing machen damit gemeinsame Sache mit der Verbrennerlobby. Diese einseitige Lobbynähe ist für Bundesminister und -ministerinnen untragbar.
Wie einseitig sich Lindner und Wissing mit der Verbrennerlobby austauschen, ist für die Öffentlichkeit bisher kaum sichtbar. Mit wem sich Regierungsmitglieder treffen, erfahren wir nur selten, mit großer Verzögerung und vielen Einschränkungen. Die Ergebnisse sind bisweilen erschütternd: Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer etwa traf sich in seiner Amtszeit 80 Mal mit der Autolobby – aber nur ein einziges Mal mit Umweltverbänden.
Wir fordern, dass Regierungsmitglieder ihre Lobbytreffen offenlegen. EU-Kommissar:innen tun dies schon lange. Der Sinn der Sache: Die Politik soll verschiedene Interessen ausgewogen beteiligen. Einseitiger Austausch schadet der Demokratie, denn er führt oft zu Entscheidungen, die nur den Lobbygruppen mit dem besten Draht zur Politik nutzen. Die Kosten dafür tragen wir alle. Ein Beispiel dafür ist das dichte Lobby-Netzwerk des Gazprom-Konzerns, durch das Deutschland sich in eine fatale Abhängigkeit von russischem Gas manövrierte.
Bitte helfen Sie mit, Druck auf die Bundesregierung zu machen, damit sie sich endlich zu mehr Transparenz und Ausgewogenheit durchringt. Unterzeichnen Sie jetzt unseren Appell an Bundeskanzler Olaf Scholz:
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
schon lange sorge ich mich um den übermäßigen Einfluss großer Konzerne und starker Lobbys auf die Politik. Viel zu lange hat etwa die Autoindustrie eine konsequentes Umsteuern in der Verkehrspolitik blockiert – und wurde zugleich von der Politik hofiert. Vergleichbares lässt sich über die Lobby der fossilen Energien und die bislang unzureichende Energiewende sowie die fatale Abhängigkeit von russischem Gas sagen. Mit unausgewogener Beteiligung muss jetzt Schluss sein!
Herr Scholz, gehen Sie jetzt einen beherzten Schritt in Richtung mehr Transparenz und ausgewogene Beteiligung! Sorgen Sie als Regierungschef dafür, dass
1) Sie als Bundeskanzler, Ihre Minister:innen sowie Staatssekretär:innen und Abteilungsleitende künftig ihre Treffen mit im Lobbyregister eingetragenen Lobbyist:innen offenlegen, wie es die EU-Kommission bereits seit Jahren vormacht, und
2) die Mitglieder der Bundesregierung bei ihren Treffen mit Interessenvertreter:innen bewusst auf eine Balance verschiedener Interessen und Perspektiven achten und Kommissionen und Beratungsgremien der Bundesregierung ausgewogen besetzt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Hintergrund
Warum sollten die Lobbytreffen der Bundesregierung sowie der Leitungsebene von Kanzleramt und Ministerien öffentlich sein?
Bislang ist es extrem aufwändig und nur selten möglich, aktuelle Angaben darüber zu erhalten, mit welchen Lobbyakteuren sich die Leitungsebenen der Ministerien direkt austauschen. Es gibt zwar Transparenz über die Beteiligung von Lobbyakteuren an der Gesetzgebung, und weitere Maßnahmen sind geplant (siehe dazu unten). Doch diese sehen die Veröffentlichung von Informationen über Lobbytermine nur in Einzelfällen vor. Dabei wäre eine Termin-Transparenz aus verschiedenen Gründen richtig und wichtig:
- Wer mit wem sprach, wann und worüber, das ist oft Gegenstand der Arbeit von Untersuchungsausschüssen, sofern es sich um fragwürdige oder illegitime Einflussnahmen handelt. Man denke an Karl-Theodor zu Guttenbergs Lobbyarbeit bei Angela Merkel zugunsten von Wirecard, oder an die Treffen von Olaf Scholz in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal. Wenn Lobby-Termine stets zeitnah offengelegt werden müssen, ist es für die Öffentlichkeit, aber auch für die Abgeordneten leichter, die Arbeit der Bundesregierung zu kontrollieren. Im besten Fall werden illegitime Einflussnahmen durch die Transparenzpflicht von Vornherein verhindert.
- Einseitige Beteiligung wird öffentlich sichtbar und kann damit zum Thema politischer Diskussion und Kritik werden. Damit wird für Politiker:innen ein Anreiz gesetzt, bewusst auf eine gute Balance bei den Terminen mit den Vertreter:innen verschiedener Interessen zu achten. Ein Anreiz ist es auch, aktiv auf weniger gut vernetzte oder finanziell schwächere Interessengruppen zuzugehen und sie einzubinden.
- Eine solche Öffnung der Lobby-Terminkalender wäre vergleichsweise einfach rechtlich und technisch umzusetzen. Sie würde die bisherigen Transparenz-Maßnahmen wie das Lobbyregister gut ergänzen. Und sie würde das wichtiges Signal senden, dass die Ampel-Regierung Lobbytransparenz und Ausgewogenheit groß schreibt.
Sollen alle Gesprächstermine veröffentlicht werden?
Veröffentlicht werden sollen alle Termine mit Akteuren, die im Lobbyregister eingetragen sind. Andere Gespräche oder Termine wären davon nicht betroffen, etwa Gespräche mit Bürger:innen aus dem Wahlkreis oder anderen Privatpersonen.
Welche Informationen sollen veröffentlicht werden?
Bei jedem Termin mit Lobbyakteuren sollen Angaben gemacht werden zum Datum, zu den Teilnehmenden, dem Thema und der Form des Termins (Präsenztermin, Video-Call, Telefonkonferenz).
Es gibt doch bereits das Lobbyregister. Warum reicht das nicht aus?
Das Lobbyregister macht sichtbar, wer in wessen Auftrag, mit welchen Zielen und mit welchem Budget Lobbyarbeit gegenüber Bundestag und Bundesregierung betreibt. Es macht also die Strukturen und Ziele der Interessenvertretung, Auftraggeber:innen und Finanzquellen sichtbar und legt Regeln und Schranken für die Lobbyarbeit fest. Es macht aber nicht sichtbar, mit welchen Lobbyist:innen konkret zu welchen Themen ein direkter mündlicher Austausch erfolgte.
Was ist mit der „legislativen Fußspur“?
Die Bundesregierung hat 2024 beschlossen, ab Juli "wesentliche" Einflüsse auf die Gesetzgebungsvorhaben offenzulegen. Die Ministerien sollen dokumentieren und offenlegen, welche Teile eines Gesetzentwurfs inwieweit auf Grund von Lobbyeinflüssen entstanden oder verändert wurden. Das ist ein wichtiger Schritt, der definitiv in die richtige Richtung weist. In der Kombination mit dem Lobbyregister, in dem seit Juli 2024 auch schriftliche Stellungnahmen hochgeladen werden müssen, ist so schon ein großer Schritt in Richtung Transparenz gewonnen. Jedoch bleibt den Ministerien ein großer Ermessensspielraum bei der Frage, wann ein Lobbyeinfluss als "wesentlich" zu betrachten ist.
Zudem treffen sich Politiker:innen nicht nur zu Gesetzesvorhaben mit Lobbyist:innen, sondern auch zu anderen Themen, beispielsweise zu Wirtschaftsförderung im Ausland (Fall Merkel-Wirecard), EU-Themen (Fall Lindner-Porsche, Stichwort E-Fuels) oder auf Drängen eines Unternehmens, das sich vom Fiskus unangenehm behandelt fühlt (Fall Scholz-Warburg).
Wir fordern in unserem Appell deshalb eine Offenlegung von Lobbyterminen unabhängig vom Thema oder dem formalen Zusammenhang. Diese Offenlegungspflicht sollte für den Kanzler, Minister:innen, Staatssekretär:innen sowie Abteilungsleitungen gelten. Sie ergänzt also die „Lobby-Fußspur für Gesetze“ und geht darüber hinaus.
Wie genau ist die Regelung zu Lobbytreffen auf EU-Ebene? Was bringt das?
EU-Kommissar:innen, ihre Kabinette sowie die Generaldirektor:innen (in etwa vergleichbar mit den Staatssekretär:innen) müssen bereits seit Ende 2014 ihre Lobbytreffen online veröffentlichen. Die EU-Kommissar:innen sind zudem in den Leitlinien der Zusammenarbeit ausdrücklich dazu aufgefordert, auf Ausgewogenheit bei ihren Lobbytreffen zu achten. Allerdings gibt es keinerlei Kontrollen, ob dies tatsächlich eingehalten wird. Brüssel kann also nur teilweise als Vorbild für Berlin gelten. Die Bundesregierung sollte sich die Regelung auf EU-Ebene dennoch genau anschauen und noch einen Schritt weiter gehen, indem sie eine regelmäßige Prüfung vorsieht, ob Beteiligung tatächlich transparent und ausgewogen erfolgt.