Auf Intervention von LobbyControl hin stellt die Barmer Krankenkassse einen Laufwettbewerb für Schüler ein, der sich bei genauerem Hinsehen als Lockangebot von Unternehmen entpuppte. Beim Projekt „Kindersprint“ wurden seit Anfang 2016 mehr als 25.000 Grundschüler angesprochen und mit ihren Eltern in Einkaufszentren oder Autohäuser gelockt. Die Krankenkasse wirkte dabei – bewusst oder unbewusst – als Türöffner. Eine LobbyControl-Unterstützerin hatte uns auf das Projekt aufmerksam gemacht.
Vor Kurzem machte uns eine LobbyControl-Unterstützerin aus Leipzig auf eine Schul-Aktion der Krankenversicherung Barmer aufmerksam, die uns aufhorchen ließ. Ein Laufwettbewerb in der Schulzeit, an dessen Ende ein Finale in einem Einkaufzentrum stand. Ein ähnliches Projekt hatte vor einigen Jahren für heftige Kritik gesorgt: Bei „Speed4“ hatten Kinder im Unterricht Markenlogos von Unternehmen gesammelt, um diese am Finaltag in Geschenke einzutauschen. Damit kamen Firmenlogos direkt ins Klassenzimmer beziehungsweise in die Sporthalle der Schulen.
Schulen werden zum Lockanbieter für private Werbeevents
Handelt es sich hier um eine Neuauflage dieses Formats? Das wollten wir genauer wissen und fragten bei der Barmer nach. Die Krankenkasse hatte den „Barmer Kindersprint“ seit Anfang 2016 bundesweit an Grundschulen durchgeführt und nach eigenen Angaben mehr als 25.000 Grundschüler erreicht (auf der Webseite des durchführenden Kooperationspartners Laurenz Sport werden für das laufende Schuljahr über 40 Final-Veranstaltungen an unterschiedlichen Grundschulen gelistet). Ein anderer Veranstalter, die expika Sport und Event GmbH aus Leipzig, hat seit August letzten Jahres schon 45 Finalveranstaltungen des Kindersprints durchgeführt. Sie hatte keinen direkten Vertrag mit der Barmer Krankenkasse, sondern mit Laurenz Sports, führte das Event aber ebenfalls unter dem Logo des „Barmer Kindersprints“ durch. Den Finalen gehen immer einige Sprints in Grundschulen voraus. Pro Schulbesuch bezahlt die Barmer 4550 € an den Veranstalter.
Barmer will konkrete Umsetzung vor Ort nicht kennen
Auf Nachfrage von LobbyControl gab die Barmer an, „im Rahmen der Schulveranstaltungen von Kindersprints werden keine Firmennamen oder sonstige Logos platziert. Es gibt keine Wertmarken oder Gutscheine, welche die Kinder sammeln.“
Der uns zugesandte Flyer für das Stadtfinale in Leipzig zeichnete ein anderes Bild. Die personalisierten Flyer für jedes Kind beinhalteten sowohl die Förderer als auch deren Logos und die Aufforderung, am Finale teilzunehmen, um Geschenke von ihnen zu erhalten.
Die Barmer erfüllte hier ein typische Türöffner-Funktion. Der gute Name der Versicherung und der glaubwürdige Einsatz für Bewegungsförderung wurde von anderen Unternehmen genutzt, um Werbung in den besonders sensiblen Bereich Schule zu bringen (lesen Sie mehr zu den Akteuren und Türöffnern in unserer Broschüre zu Lobbyismus an Schulen). Und tatsächlich, sowohl der Geschäftsführer von expika, als auch von Laurenz Sports, arbeiteten bis vor wenigen Jahren mit Speed4 zusammen. Der Kindersprint war also eine Neuauflage im alten Gewand.
Barmer stellt Veranstaltung ein
Wir haben die Barmer mit unseren Erkenntnissen konfrontiert und auf die offensichtlichen Widersprüche zwischen ihren Aussagen und unseren Informationen angesprochen. Vergangene Woche informierte uns die Krankenkasse: Man habe sich entschieden, „den Vertrag zu beenden und damit die Zusammenarbeit mit dem Projektpartner einzustellen.“ Und weiter schreibt sie: „Wenn in den konkreten Maßnahmen vor Ort das Verhältnis zwischen Präventionsauftrag und Werbung an der einen oder anderen Stelle aus den Fugen gerät und Aktionen vor Ort sich zu Werbeveranstaltungen entwickeln, können wir dies als Krankenkasse nicht gut heißen.“ Eine erfreuliche Entscheidung.
Es ist zugleich erschreckend, dass die Barmer mindestens 95 Finalveranstaltungen allein in diesem Schuljahr unter ihrem Namen hat durchführen lassen, ohne zu wissen, was vor Ort passiert. Seit Beginn im Jahr 2016 hat der Wettbewerb laut der Barmer Ersatzkasse deutschlandweit 25.000 Kinder erreicht. Ist vom Hauptveranstalter da wirklich nie ein direkter Vertreter zugegen? Auf der Webseite des Kindersprints wären die problematischen Flyer außerdem auch für die Krankenkasse schnell zu finden gewesen (z.B. hier).
Werbeeffekt oder Lerneffekt?
Dennoch begrüßen wir, dass die Barmer auf unsere Anfrage hin die Praxis überprüft und die Veranstaltung eingestellt hat. Die Agenturen wollen unabhängig voneinander weiterhin Laufwettbewerbe veranstalten. Laurenz Sports gibt an, mit neuem Konzept weiterzumachen, das sich von Expikas Ansätzen unterscheide. Unterstützt von Stadtverwaltungen und organisiertem Sport.
Es wird sich zeigen, was aus den Kindersprints wird. Sie sind jedenfalls nicht das einzige Schulevent, bei dem Kinder durch eine schulische Veranstaltung zum Aufsuchen von Geschäftsräumen eines Unternehmens aufgefordert werden. Eltern sollten im Auge behalten, ob es bei externen Veranstaltungen in Schulen vor allem um einen Lerneffekt geht – oder ob der Werbeeffekt für Unternehmen überwiegt. Dann nämlich sind solche Events in den meisten Schulgesetzen verboten.
Zum Weiterlesen:
- Kindersprint im Autohaus (taz)
- Wie Möbelhäuser und Einkaufszentren den Unterricht kapern (Spiegel Online)
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